Panzer vor serbischer Flagge
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Verteidigung Serbien führt Wehrpflicht wieder ein – Echte Kriegsgefahr oder Vučićs Machthunger?

08. Oktober 2024, 05:00 Uhr

Junge Männer müssen in Serbien ab September 2025 wieder einen, wenn auch kurzen, Grundwehrdienst leisten. Dabei schien die allemeine Wehrpflicht lange Zeit nicht mehr nötig zu sein. Die Wiedereinfürung lässt viele Fragen offen. Macht ein solch kurzer Dienst überhaupt Sinn? Und ist die Kriegsgefahr wirklich höher als früher oder geht es wieder einmal um Machtspiele von Präsident Vučić? Ostblogger Andrej Ivanji ordnet das Geschehen kritisch ein.

Andrej Ivanji
Der Journalist Andrej Ivanji aus Belgrad war Anfang November in Israel. Seine Cousine lebt mit ihrer Familie dort. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Junge Männer in Serbien kennen den Wehrdienst vor allem aus den Anekdoten ihrer Väter. Auch Kriegsgeschichten aus den Jugoslawienkriegen, die in den 1990er Jahren den Vielvölkerstaat Jugoslawien in mehrere Staaten zerrissen. Da die Wehrpflicht 2011 abgeschafft wurde und Serbien eine Berufsarmee aufbaute, dürfte jungen Männern in Serbien aber nicht im Traum eingefallen sein, dass auch sie noch einmal eine Uniform würden anziehen müssen.

Doch das müssen sie anscheinend ab September 2025, denn dann soll die Wehrpflicht wiedereingeführt werden. Das entschied der serbische Generalstab und der immer autokratischer agierende Staatspräsident Aleksandar Vučić gab seinen Segen. Der Präsident lässt sich gern auch als "Oberbefehlshaber" titulieren, obwohl die serbische Verfassung diese Funktion nicht vorsieht, zumindest nicht wortwörtlich. Die Regierung nahm den Vorschlag kurz nach der Ankündigung des Präsidenten an, die Abstimmung im Parlament steht noch aus.

Der serbische Präsident und Oberbefehlshaber Aleksandar Vucic und der serbische Verteidigungsminister Aleksandar Vulin beobachten eine Militärübung auf dem Pester-Plateau im Südwesten Serbiens, 2020.
Präsident Aleksandar Vučić (links) beobachtet eine Militärübung im Südwesten Serbiens, 2020. Bildrechte: imago images/Xinhua

Zweieinhalb Monate Wehrdienst geplant

75 Tage, also zweieinhalb Monate, soll die Ausbildung der Achtzehnjährigen und damit jüngsten Rekruten dauern, verkündete Generalstabschef Milan Mojsilović. Etwas ältere Rekruten bis 30 würden einen kürzeren Wehrdienst leisten müssen, erklärte er, allerdings ohne zu präzisieren wie lange. Pro Jahr sei geplant, rund 20.000 Männer zum Wehrdienst einzuberufen. Für diejenigen, die aus Gewissensgründen keine Waffe in die Hand nehmen wollen, solle es einen 155 Tage langen Ersatzdienst geben, allerdings auch in der Armee. Genaueres dazu, wo und wie junge Männer diesen Dienst leisten würden, führte Generalstabschef Mojsilović allerdings nicht aus.

In Serbien lebten rund 280.000 Männer im wehrpflichtigen Alter, die wegen der Abschaffung des Pflichtdiensts 2011 keine militärische Ausbildung hätten, erklärte General Mojsilović. Die vorhandenen Reservisten hingegen seien recht alt, da sie bereits vor 14 Jahren militärisch ausgebildet worden seien. Wie der Wehrdienst aussehen soll, hat die Armeeführung also skizziert, doch warum soll gerade jetzt eine mit 75 Tagen recht kurze Dienstpflicht eingeführt werden?

Soldaten in Uniform in Serbien
Serbische Soldaten Bildrechte: IMAGO / Pond5 Images

Wehrpflicht in Serbien als Ablenkungsmanöver?

"Das haben sie uns nicht mitgeteilt", sagt der Journalist und Militärexperte Davor Lukač. Er bezeichnet die ganze Prozedur der Wiedereinführung der Wehrpflicht als "oberflächlich", gar "chaotisch", und zählt viele Fragen auf, die ohne Antwort geblieben sind: Nach welchem Prinzip eingezogen werden soll – nach Jahrgängen oder nach einem anderen Kriterium, wer die Gesundheitsuntersuchungen durchführen, und vor allem, wer die Eingezogenen überhaupt ausbilden soll, da es der Armee massiv an Unteroffizieren fehle.

Ungeklärt geblieben sei auch, warum der Wehrdienst gerade 75 Tage dauern solle, sagt Lukač. Vermutlich würden für mehr die Finanzmittel nicht ausreichen, und genügend passende Kasernen gebe es mittlerweile auch nicht mehr. Auch, wie junge Männer mit doppelter Staatsangehörigkeit behandelt würden sowie eine Reihe anderer Fragen bliebe bisher offen.

"Die Verantwortlichen haben das alles ad hoc geplant, ich bezweifle, dass die Armee in einem Jahr für die Wiedereinführung der Wehrpflicht bereit sein wird", sagt Lukač, der die Armeespitze für unfähig hält und das schon mehrfach zum Ausdruck gebracht hat. Die sei nicht zuletzt auf eine politisch bedingte "negative Selektion" zurückzuführen, bei der weniger qualifizierte Kandidaten gegenüber besser geeigneten systematisch bevorzugt werden, weil die Führungsspitzen um ihre Macht fürchten und keine Konkurrenz heranzüchten wollen.

Ein Mann mit braunen Haaren und braunen Pullover auf der linken Bildhälfte salutiert mit einem skeptischen Blick und hochgezogener Augenbraue. Auf der rechten Bildseite befinden sich zwei uniformierte Soldaten mit Helm und Gewehr vor einer Rauchwolke. 30 min
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Da die Staatsspitze nicht in der Lage sei, die Vollendung der Unabhängigkeit des Kosovo zu verhindern und die dort lebenden Serben zu beschützen, rüste man heftig auf. Deshalb wolle man die schiere Anzahl an Soldaten erhöhen und das als propagandistische Machtdemonstration und Ablenkungsmanöver vor immer lauterer Kritik nutzen, hört man aus der Opposition. Tatsächlich würden die Rekruten einfach nur als kostenlose Arbeitskraft dienen, meint Lukač, da professionelle Soldaten es ablehnten, die Kasernen sauber zu machen, Rasen zu mähen, Schlafräume und Toiletten zu putzen.

Wehrpflicht schien in Serbien überflüssig

Früher war das ganz anders. "Gern geht der Serbe zu den Soldaten", lautet ein bekanntes patriotisches Lied, in dem die Kampflust, der Mut und die Vaterlandsliebe serbischer Männer glorifiziert werden. Es ist eine alte Sitte, dass der Vater eine große Feier gibt, wenn ein Sohn einberufen wird – sowohl zu Friedens- als auch zu Kriegszeiten. Da drehen sich Spanferkel am Spieß, Musik spielt und es wird getrunken bis zum Morgengrauen.

Dieser "Abschied in die Armee" wurde auch im sozialistischen Jugoslawien gefeiert, als die jugoslawische Armee noch deutlich stärker war. Für junge Männer galt allgemeine Wehrpflicht, die bis Mitte der 1980er Jahre vierzehn Monate dauerte und dann auf ein Jahr reduziert wurde. Üblich war es, mit 18, gleich nach der Schule, die Uniform anzuziehen.

Doch dann kam 1991 der Bürgerkrieg, den viele Serben als einen Bruderkrieg empfanden. Und hunderttausende junge serbische Männer flüchteten ins Ausland, ließen sich von der Militärpolizei nicht aufspüren – desertierten. Nach dem Sturz Slobodan Miloševićs und der demokratischen Wende im Jahr 2000 bewegte sich Serbien langsam in Richtung EU- und Nato-Mitgliedschaft. Eine allgemeine Wehrpflicht schien unnötig zu sein. Doch die Zeiten haben sich wieder geändert.

Ein Soldat der kroatischen Armee in Kostajnica , 1991
Jugoslawienkriege in den 1990er Jahren Bildrechte: IMAGO / Rainer Unkel

Stimmen für Einführung der Wehrpflicht

Zuverlässige Meinungsumfragen gibt es nicht, doch man kann davon ausgehen, dass tatsächlich die Mehrheit der Serben für die Einführung der Wehrpflicht ist – ganz im Einklang mit dem patriotischen Pathos, das regierungstreue Medien verbreiten. Sie schüren Feindschaft gegenüber dem Westen und betreiben Angstmache vor äußeren Feinden. Unablässig wird dort wiederholt, wie Kroaten, Bosniaken oder Kosovo-Albaner unter der Federführung westlicher Geheimdienste und unter Mithilfe "einheimischer Verräter" Serbien vernichten wollten. Überdies würde die Armee die verwöhnten, unpatriotischen Jüngelchen disziplinieren, heißt es.

"Die Wiedereinführung der Wehrpflicht ist eine gute Entscheidung, weil es den jungen Menschen heutzutage an Disziplin fehlt", sagt der zwanzigjährige Marko. Außerdem sei sie auch eine moralische Pflicht gegenüber dem Staat. Dennoch bemängelt er, die Entscheidungsträger hätten verschwiegen, dass die Einführung des Pflichtdienstes mit der politischen Situation im Kosovo zu tun habe.

Soldaten der serbischen Armee mit Digitall-Tarnuniformen auf dem Kalemegdan in Belgrad
Angehörige der serbischen Armee Bildrechte: IMAGO / Pond5 Images

Angst vor einem möglichen Krieg

Auch der ein Jahr jüngere Damjan, der in Mailand studiert, hat kein Problem mit der zweieinhalb Monate langen Wehrpflicht, doch die Möglichkeit, dass ein Krieg ausbrechen könnte, macht ihm Sorgen. "Wenn jemand tatsächlich dein Land angreift, ist das eine Sache, aber wenn prinzipienlose Politiker das Land in einen bewaffneten Konflikt stürzen, ist das etwas ganz anderes", sagt Damjan, der den Motiven der serbischen Regierung misstraut.

Säbelrasseln und Kriegstrommeln gehören seit über einem Jahrzehnt – seit Beginn der Ära Vučić – zur politischen Folklore Serbiens. Das heißt noch lange nicht, dass Serbien, umringt von Nato-Staaten, sich tatsächlich für einen Krieg rüstet. Doch diese Politik schließt die eigenen Reihen, macht im neuen "Kalten Krieg" aus Serbien einen regionalen Machtfaktor und passt einfach zur autokratischen Machtausübung des "Oberbefehlshabers" der serbischen Armee. Und was ist schon ein Oberbefehlshaber, der niemanden zu befehlen hat?

MDR (usc, baz)

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