Serbien Lithiumabbau in Serbien: Umweltschützer rufen zum Volksaufstand auf

08. August 2024, 17:42 Uhr

Die Anzahl der Proteste und der Demonstranten, die sich in Serbien dem Abbau von Lithium widersetzen, hat Umweltschützer und die Regierung gleichermaßen überrascht. Während Umweltschützer zum Volksaufstand aufrufen, weil sie eine Verseuchung biblischer Ausmaße befürchten, sieht die Regierung in der Förderung des Rohstoffes eine historische Chance für die serbische Wirtschaft.

Fotomontage Mann vor Fahne
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Am 19. Juli tauchte Bundeskanzler Olaf Scholz überraschend zu einer Stippvisite in Belgrad auf, um dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić in seinem Vorhaben beizustehen, in Serbien Lithium zu fördern. Seitdem gingen in Dutzenden Städten quer durch das Land mehrere Tausend wütende Menschen auf die Straße. "Nur über unsere Leichen", riefen sie und auch: "Raus aus Serbien", "Wir sind keine deutschen Versuchskaninchen", "Deutschland will Serbien in seine Kolonie verwandeln", "Verrat"...

Wieder wollten die Deutschen in Serbien Gruben graben, brüllte einer der Redner in der Stadt Šabac – eine Anspielung auf deutsche Kriegsverbrechen während der Besatzung im Zweiten Weltkrieg. Sogar ein Hakenkreuz, mit einem Foto von Scholz kombiniert, war auf der Demo zu sehen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (rechts am runden Tisch unter der Deutschland-Flagge, SPD), spricht neben Aleksandar Vucic, Präsident von Serbien bei einem Gipfeltreffen zu kritischen Rohstoffen.
19. Juli 2024: Beim Serbien-EU-Gipfel zu kritischen Rohstoffen ging es um den Abbau von Lithium im Jadar-Tal. Bildrechte: picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Olaf Scholz als Garant für Umweltverträglichkeit

Das Lithium-Thema bringt die Gemüter in Serbien zum Kochen, denn das Land hat das global bedeutende, für Akkus notwendige Leichtmetall in großen Mengen. Und Deutschland und die Europäische Union brauchen es in noch größeren Mengen, damit die Agenda 2030 umgesetzt werden kann – schließlich will Deutschland bis zu diesem Zeitpunkt 15 Millionen Elektroautos bauen.

Nicht weniger wichtig ist, dass die EU die Abhängigkeit vom chinesischen Lithium reduzieren will und sich das als strategisches Ziel gesetzt hat. Es steht also einiges auf dem Spiel. Und Staatspräsident Vučić kann jede Unterstützung, auch in Form eines Scholz-Besuchs, gut gebrauchen, um das Projekt in Westserbien durchzuboxen, denn laut einer Meinungsumfrage sind 55 Prozent der Serben entschieden gegen den Abbau von Lithium. Sie befürchten verheerende Folgen für die Umwelt. Die Proteste sind eine Folge dieser Stimmung.

Menschen nehmen an einer Demonstration teil.
Massenproteste gegen den geplanten Lithium-Abbau in Serbien Bildrechte: picture alliance/dpa/AP | Darko Vojinovic

Nun kamen also der Vizepräsident der EU-Kommission, Maroš Šefčovič, und Scholz zusammen nach Belgrad und unterzeichneten ein Abkommen, das eine umweltverträgliche Förderung des Leichtmetalls im Jadar-Tal ermöglichen soll – eine EU-Partnerschaft mit Serbien zum Abbau des für Elektroautos so wichtigen Lithiums.

Beide Politiker versicherten, dass Serbien nicht nur als Rohstoffexporteur betrachtet wird, sondern dass im Land die ganze Produktionskette entstehen soll – vom Bergwerk über die Herstellung von Akkus und Kathoden bis zur Produktion von Elektroautos. Und diese "historische Chance" dürften sich die Serben nicht entgehen lassen. Scholz' Rolle in diesem Spektakel war es, den Serben als glaubwürdiger Garant dafür zu dienen, dass die Natur bei dem Vorhaben unberührt bleiben wird.

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (l)und der serbische Präsident Aleksandar Vucic
Bundeskanzler Scholz beim EU-Serbien-Gipfel zu kritischen Rohstoffen: Der deutsche Regierungschef sollte als eine Art Umweltverträglichkeitssiegel für den geplanten Lithium-Abbau dienen. Bildrechte: picture alliance/dpa/AP | Darko Vojinovic

Antiwestliche Stimmung erschwert Lithium-Pläne

Nur reichen diese Garantien den Serben, die während der zehnjährigen Herrschaft von Vučić über auf Linie gebrachte Medien systematisch gegen den Westen aufgebracht wurden, jetzt nicht aus. Bis vor kurzem schürte die regimenahe Boulevardpresse deutschlandfeindliche Verschwörungstheorien, wonach der BND Chaos in Serbien auslösen wolle, um den Machthaber Vučić zu stürzen, weil er sich, so unerschütterlich mutig wie er sei, weigere, die Unabhängigkeit von Kosovo anzuerkennen sowie Sanktionen gegen Russland zu verhängen.

Alle Lithium-Gegner, all die Teilnehmer einzelner Demonstration in der Provinz, sollen am 10. August nach Belgrad zu einer Großkundgebung kommen, die allen zeigen soll, was die Serben von dem Vorhaben halten. Es soll eine Warnung an die serbische Regierung sein. Umweltschützer beteuern, dass sie bereit seien, wenn es sein muss, bis zum bitteren Ende zu kämpfen und ihren Grund und Boden auch physisch zu verteidigen.

Stürzt ein "Bauernaufstand" Präsident Vučić?

Einer von ihnen ist der Parlamentsabgeordnete Aleksandar Jovanović "Ćuta", Anführer der Partei Ökologischer Aufstand, die in der 250-köpfigen Nationalversammlung ganze drei Abgeordnete stellt. "Am 10. August wird in Belgrad ein Bauernaufstand stattfinden. Wir werden unsere Äcker, unser Wasser und die eine Million Liter Milch für unsere Kinder verteidigen, die im Jadar-Tal erzeugt wird. Vor allem aber unsere Würde", gibt er sich im Gespräch mit dem MDR selbstsicher.

Jovanović zufolge wird Serbien geopolitisch aus zwei Richtungen bedroht. Vom Osten wolle Chinas Machthaber Xi Jinping den Serben ein Joch aufsetzen, und vom Westen Bundeskanzler Scholz. Die Regierung habe Serbien für eine Handvoll Lithium geopfert. Doch die Serben würden sich wehren – sie seien auch zu radikalen Maßnahmen wie Straßen- und Bahnblockaden bereit, so Jovanović.

"An Vučić liegt es, wie es weitergehen wird. Sollte er versuchen, den ökologischen Aufstand mit Gewalt zu unterdrücken, könnte dieser auch darüber bestimmen, wer dieses Land in Zukunft regieren wird", droht Jovanović. Sicher sei, meint er, dass sich ein großer Teil der Serben mit diesem Lithiumvorhaben nicht abfinden werde, koste es, was es wolle.

Eine wunderschöne Aussicht auf das Tal des Flusses Jadar im Westen Serbiens in der Nähe der Stadt Loznica
Im Jadar-Tal im Westen Serbiens lagern große Mengen Lithium. Das Leichtmetall wird in Unmengen für die Batterien von Elektroautos gebraucht. Bildrechte: IMAGO / Pond5 Images

Serbien droht Gewalt-Ausbruch

Es ist schon der zweite Lithiumaufstand in Serbien. 2022 gab Vučić nach monatelangen Straßenblockaden nach. Er hatte es nicht gewagt, mit Polizeigewalt gegen die Demonstranten vorzugehen, und so verabschiedete die Regierung damals eine Verordnung, die den Abbau von Lithium in Serbien verbietet. Es war die einzige politische Niederlage des serbischen Machthabers seit seinem Machtantritt.

Wenige Tage vor dem Scholz-Besuch wurde das Rad aber zurückgedreht, die neue Regierung annullierte die Verordnung und gab wieder grünes Licht für das ambitionierte Lithium-Projekt. Wer formal Regierungschef in Serbien ist, ist nach landläufiger Meinung egal, alle Entscheidungen treffe ohnehin Vučić.

Und so hoffen Umweltschützer und Opposition nun, den Druck auf der Straße dermaßen ausweiten zu können, dass Vučić wieder zum Rückzug gezwungen wird. Doch die Umstände sind diesmal anders. Vučić hat nun Deutschland, die EU und die USA an seiner Seite. Vertreter der Regierung kündigten schon an, was passieren wird, wenn jemand diesmal versucht, eine internationale Verkehrsader zu blockieren: Man werde das aufgrund der gesetzlichen Vorschriften mit Polizeigewalt verhindern – so wie in jedem europäischen demokratischen Land.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 03. August 2024 | 07:19 Uhr

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