Eskalation auf dem Balkan Serbien vs. Kosovo: Was hinter dem Streit um KFZ-Kennzeichen steckt
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02. Oktober 2021, 04:16 Uhr
Mit viel Mühe und durch die Vermittlung der EU ist eine militärische Eskalation zwischen Serbien und dem Kosovo verhindert worden. Der Anlass ist banal: Das Kosovo will serbische KFZ-Kennzeichen nicht anerkennen. Doch worum geht es wirklich bei dem Konflikt? Unser Ostblogger Andrej Ivanji aus Belgrad beantwortet die wichtigsten Fragen.
"Wir haben einen Deal!", schrieb der Westbalkan-Beauftragte der EU, Miroslav Lajcak, am Donnerstag auf Twitter. Serbien und das Kosovo haben ihren aktuellen Konflikt vorerst beigelegt. Der Anlass für den heftigen Streit zwischen den Nachbarstaaten ist auf den ersten Blick reichlich banal: Es geht um KFZ-Kennzeichen. Die kosovarische Regierung erkennt serbische KFZ-Kennzeichen nicht mehr an und verpflichtet seit rund einer Woche Fahrzeughalter aus Serbien, bei der Einreise in das Kosovo provisorische kosovarische KFZ-Kennzeichen anzubringen.
Zwischenzeitlich eskalierte der Streit derart, dass Belgrad vier Panzerfahrzeuge an die Grenze verlegte und Kampfjets hat auffliegen lassen. Die Regierung des Kosovo ließ Polizeieinheiten in serbischen Siedlungsgebieten aufziehen. Inzwischen haben sich die Parteien darauf verständigt, die Barrikaden abzuräumen und jeweiligen Sondereinheiten abzuziehen, während die KFOR-Truppen für Sicherheit sorgen. Für die Nummernschilder wurde eine Aufkleberlösung gefunden.
Was genau steckt hinter diesem Streit um Autonummernschilder?
Hier geht es im Kern um die Unabhängigkeit des Kosovo, die Serbien auf keinen Fall anerkennen will. Deshalb wird jedes Symbol dieser Unabhängigkeit – etwa auch KFZ-Kennzeichen – bekämpft. So müssen Fahrzeuge aus dem Kosovo bereits seit Jahren bei der Einreise nach Serbien mit provisorischen Kennzeichen ausgestattet werden. Auf der anderen Seite möchte die Regierung des Kosovo genau diese Unabhängigkeit durchsetzen. Der kosovarische Regierungschef, Albin Kurti, ist zudem erst seit März im Amt und ein ziemlicher Draufgänger. Er will nun seinerseits unter Beweis stellen, dass er alles für die Unabhängigkeit tut. Deshalb hat er die Praxis mit den KFZ-Kennzeichen nun einfach umgedreht, um deutlich zu machen: Das Kosovo ist ein eigener Staat. Kurti hat auch schwer bewaffnete Sondereinheiten in den größtenteils von Serben bewohnten Norden entsandt, worauf die Serben Grenzübergänge blockiert hatten. Am Ende ist das Ganze jedoch ein großes Schauspiel mit sehr viel Säbelrasseln, bei dem die Bevölkerung auf beiden Seiten leidet.
Stichwort Schauspiel: Wie wird dieser Streit in der Bevölkerung Serbiens und des Kosovo wahrgenommen?
Derzeit gibt es kein anderes Thema in der Region, das Thema wird hoch emotional verhandelt. In Serbien gilt das Kosovo als serbisches Kernland und Wiege des Serbentums, es ist politischer Selbstmord, öffentlich einzugestehen, dass das Kosovo verloren sei. Deshalb machen Präsident Aleksandar Vučić und andere Politiker kräftig Stimmung gegen die Regierung in Prishtina. Auch die serbische Presse spuckt größtenteils nationalistische Töne und spricht vom Versuch der Albaner, die Serben im Kosovo einzuschüchtern und zu vertreiben. Das ist gefährlich, aber es funktioniert: Die Stimmung gleicht einem Pulverfass, das Volk versammelt sie um Präsient Vučić. Die Kosovaren hingegen scharen sich um ihren Premierminister, der als harter Hund und als unbestechlich gilt. Das kommt vor allem bei den Jungen gut an.
Jetzt ist eine bewaffnete Eskalation abgewendet worden, aber das zugrunde liegende Problem ist ja noch da. Wie kann es da eine Lösung geben?
Das ist gar nicht so einfach, denn die Grundfrage ist doch: Erkennt man das Kosovo als Staat an oder nicht? Und so lange in dieser Frage die Fronten so verhärtet sind, wie sie es nun mal sind, sehe ich da keine Lösung. Selbst die EU ist in der Frage der Unabhängigkeit des Kosovo gespalten. Die meisten Mitgliedsstaaten – unter ihnen Deutschland – haben das Kosovo als unabhängigen Staat anerkannt. Eine Minderheit aber – unter ihnen Spanien und Rumänien – hat das nicht getan, um den separatistischen Bestrebungen im eigenen Land keinen Auftrieb zu geben. Solche Konflikte werden immer wieder aufbrechen, weil sie stellvertretend für das Grundproblem sind. Wenn es nicht um KFZ-Kennzeichen geht, geht es um etwas anderes.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Aktuell | 29. September 2021 | 19:30 Uhr