Auswirkungen der Corona-Pandemie Kosovo, Europas erstes Land ohne gedruckte Tageszeitungen
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10. Mai 2021, 12:47 Uhr
Handel, Bildung, Medizin: Durch die Pandemie verändern sich viele Branchen derzeit in atemberaubendem Tempo – vor allem in Sachen Digitalisierung. Auch Zeitungen sind davon betroffen. Seit Jahren schwindet ihre Auflage, immer mehr Menschen lesen digital. Im kleinen Kosovo hat das in der Pandemie zu einem Umbruch geführt. Es ist das erste Land Europas, in dem es keine gedruckten Tageszeitungen mehr gibt.
Stolz, aber auch ein wenig wehmütig besucht der Journalist Agron Bajrami die Druckerei seiner Zeitung. Bis vor kurzem wurde hier täglich die "Koha Ditore" gedruckt, die größte Tageszeitung des Kosovo. Bajrami ist ihr Chefredakteur. Nun aber steht die Druckerpresse still, denn "Koha Ditore" erscheint jetzt nur noch online. "Schon vor der Pandemie fiel die Zahl der Leser immer weiter und wirtschaftlich war es nicht mehr darstellbar, eine gedruckte Zeitung zu veröffentlichen", sagt Agron Bajrami. "Also haben wir uns darauf konzentriert, unsere Leser von der gedruckten zur digitalen Ausgabe zu bringen."
Corona-Pandemie als Beschleuniger
Rund 10.000 Exemplare verkaufte "Koha Ditore" bis 2020 täglich. Im kleinen Kosovo mit seinen knapp zwei Millionen Einwohnern war sie damit die auflagenstärkste Tageszeitung. Doch ebenso wie die vier Konkurrenten hat auch sie mittlerweile ihre gedruckte Ausgabe eingestellt. Corona habe die Probleme der Branche jedoch nicht verursacht, sondern nur beschleunigt, sagt Bajrami. "Was sonst fünf Jahre gedauert hätte, ist nun in fünf Monaten passiert. Die Pandemie hat uns gezwungen, schneller zu handeln als gewohnt, weil die Probleme immer größer wurden. Der Druck wurde über Nacht riesig. Aber ich denke, wir waren uns schon vor der Pandemie darüber bewusst, dass wir diesen Weg irgendwann gehen müssen."
Agron Bajrami meint den zunehmenden Konsum digitaler Medien, der auf die massenhafte Verbreitung von Smartphones und auf das flächendeckende Internet im Land folgte. Hinzu kommt, dass Kosovo die jüngste Bevölkerung Europas hat. Über die Hälfte der Menschen ist unter 30 Jahre alt. Darum schreitet die Digitalisierung hier besonders schnell voran.
Die Älteren ihrer Informationsquelle beraubt
Und dann kam auch noch der Lockdown. Über vier Monate konnten die Menschen kaum ihr Haus verlassen und Zeitungen kaufen. Das Publikum wanderte ins Internet ab oder saß vor den Fernsehern, die Anzeigekunden zogen sich zurück. Damit war das Ende der Printmedien in Kosovo besiegelt.
Doch nicht allen fällt die Umstellung leicht. Imer Mushkolaj ist ebenfalls Journalist und Vorsitzender des kosovarischen Presserats. Er würde am liebsten weiterhin zu seinem Morgenkaffee in der Tageszeitung blättern und bedauert die Entwicklung insbesondere im Hinblick auf die ältere Bevölkerung: "Leider sind wir heute das einzige Land Europas – oder vielleicht der Welt – ohne gedruckte Tageszeitung. Die meisten hier sind online. Aber die ältere Generation wird ihrer primären Informationsquelle beraubt – eben der gedruckten Tageszeitung."
Schwere Umgewöhnung
Das kann auch Ibrahim Gashi bestätigen. Seit 35 Jahren betreibt er im Zentrum der Hauptstadt Priština einen Kiosk, an dem er Zeitungen und Zeitschriften verkauft. An die neue Realität muss nicht nur er sich erst noch gewöhnen, sondern auch seine Kunden. "Die regelmäßigen Leser haben schon mitbekommen, dass es keine gedruckte Ausgabe mehr gibt", erzählt Gashi. "Aber mindestens einmal die Woche kommt trotzdem jemand und fragt, ob es nicht vielleicht doch wieder eine Zeitung geben wird."
Ohne staatliche Unterstützung, die in der Corona-Krise höchst unwahrscheinlich scheint, sieht hier jedoch keiner einen Weg zurück. Zumal das Zeitungssterben ein globales Phänomen ist. Allein in Deutschland sank die Auflage gedruckter Tageszeitungen in den vergangen 30 Jahren um fast 60 Prozent. Kosovo mag das erste Land der Welt ohne gedruckte Tageszeitung sein, jedoch bestimmt nicht das letzte.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Aktuell | 07. Mai 2021 | 17:45 Uhr