Balkan Parlamentswahl im Kosovo: Der Unruhestifter gegen die Kriegskommandanten

15. Februar 2021, 12:46 Uhr

Seit das Kosovo 2008 die Unabhängigkeit von Serbien ausgerufen hatte, blieb keine Regierung bis zum Ende der Legislaturperiode im Amt. Doch selbst für kosovarische Verhältnisse steckt das Land derzeit in einer tiefen politischen und institutionellen Krise. Am Sonntag wird im Kosovo ein neues Parlament gewählt. Als Favorit geht die linksnationale Vetëvendosje, angeführt von Albin Kurti, ins Rennen.

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Der Herausforderer

Die seit Kriegsende 1999 recht eintönige kosovarische politische Szene hatte vor einigen Jahren der Anführer der Studentenproteste in den 1990-er Jahren, Albin Kurti (45), durchgerüttelt. Seine linksnationale Partei Vetëvendosje (Selbstbestimmung) gewann im Oktober 2019 die Parlamentswahlen, nach langen Koalitionsverhandlungen wurde Kurti im Februar 2020 Ministerpräsident.

Der junge, radikale Politiker, der mit gewalttätigen Demonstrationen von sich Reden machte und nicht davor zurückschreckte, eine Parlamentssitzung mit Tränengas zu unterbrechen, versprach, gegen die tiefgreifende Korruption im Kosovo zu kämpfen. Er strebte außerdem die Vereinigung mit Albanien an, wollte Serbien wegen Völkermordes im Kosovo anklagen, den Dialog zwischen Pristina und Belgrad unter der Obhut der Europäischen Union über die Normalisierung der Beziehungen abbrechen und forderte von Serbien, dem Kosovo eine Kriegsentschädigung zu zahlen und seine Unabhängigkeit ohne Wenn und Aber anzuerkennen.

Osteuropa

Steckbrief Kosovo 1 min
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Der Kosovo ist seit 2008 unabhängig. Bis dahin hatte das Land, das kleiner als Thüringen ist, zu Serbien gehört.

Fr 01.07.2016 16:50Uhr 00:30 min

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Der lange Arm Amerikas

Das ging den USA, die 1999 die Luftangriffe der Nato auf Serbien ohne UN-Mandat anführten, zu weit. Sie werteten Kurtis Politik als Bedrohung für die Stabilität der Region. Kurtis zeigte den Amerikanern jedoch die kalte Schulter. Der Sondergesandte von Donald Trump, der ehemalige amerikanische Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, machte daraufhin Druck auf die Demokratische Liga des Kosovo (LDK), dem Koalitionspartner der Vetëvendosje, Kurti die Unterstützung zu entziehen. Und so war es mit der Regierung Kurti nach nicht einmal zwei Monaten vorbei.

Richard Grenell
Der ehemalige US-Sondergesandte für Serbien und Kosovo Richard Grenell Bildrechte: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Darko Vojinovic

Neuer Regierungschef mit hauchdünner Mehrheit

Die LDK bildete ohne Wahlen die neue Regierung. 61 von 120 Parlaments-Abgeordneten "krönten" Anfang Juni 2020 den moderaten LDK-Chef Avdullah Hoti zum neuen Ministerpräsidenten. Nach einer Klage der Vetëvendosje erklärte jedoch das Verfassungsgericht die Wahl Hotis zum Regierungschef für ungültig, weil ein wegen Korruption verurteilter Abgeordneter daran teilgenommen hatte. Danach wurden im jüngsten Staat Europas, mit der jüngsten Bevölkerung und einer Jugendarbeitslosigkeit von über 60 Prozent, vorgezogene Parlamentswahlen ausgeschrieben.

Avdullah Hoti
Kurzzeit-Premier Avdullah Hoti Bildrechte: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Francisco Seco

Das Comeback

Die Vetëvendosje ist laut Meinungsumfragen ein haushoher Favorit. Und Albin Kurti blickt einem Comeback entgegen. Vor allem viele junge Menschen im Kosovo sind der Kriegskommandanten der Kosovo-Befreiungsarmee (UÇK) überdrüssig geworden, die zwei Jahrzehnte nach Kriegsende die Politik dominierten und sich im Amt des Staats- und Ministerpräsidenten abwechselten.

Die jungen Leute wollen Veränderungen

Sich mit der allgemeinen Parole "Freiheit hat keinen Preis" auf ihre Kriegsverdienste berufend, stürzten rivalisierende "Clans" der Kriegskommandanten das Land noch tiefer in die Korruption. Die Parlamentswahlen am 14. Februar werden von vielen Kosovaren nun als die Möglichkeit wahrgenommen, endgültig mit den sogenannten "Kriegsparteien" abzurechnen, die auf dem Erbe des Befreiungskrieges und der UÇK gründen.

Die Kontrahenten

Ins Rennen gehen bei der Parlamentswahl neben Vetëvendosje und LDK drei weitere Parteien: die Demokratische Partei Kosovos (PDK), die Sozialdemokratische Inititaive NISMA und die Allianz für die Zukunft des Kosovo (AAK).

Die Demokratische Partei Kosovos (PDK) von Ex-Staatspräsident Hashim Thaçi gründet ihre Wahlkampagne auf "Schmerz", "Wut" und "Ungerechtigkeit", weil die "Söhne des Kosovo, die für die Freiheit bluteten", vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal angeklagt worden sind. Hashim Thaçi war im November 2020 als Präsident zurückgetreten, weil ihm das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit den Prozess macht.

Ähnlich treten die Sozialdemokratische Inititaive NISMA und die Allianz für die Zukunft des Kosovo (AAK) von Ex-Premier Ramush Haradinaj auf, die sich allerdings mit der Parole "wenn Kosovo nicht Nato-Mitglied wird, und wenn uns Europa isoliert, werden wir uns mit Albanien vereinigen", Kurti und seiner Vetëvendosje als Koalitionspartner anbietet.

Der serbische Faktor

Serbien erkennt das Kosovo nicht an und blockiert mit der Unterstützung Russlands seine Aufnahme in internationale Organisationen. So ist das Kosovo über ein Jahrzehnt nach der Unabhängigkeitserklärung immer noch kein Mitglied der UNO.

Von 120 Parlamentsmandaten sind 20 für Parteien der nationalen Minderheiten reserviert, zehn für serbische Parteien. Wegen der politischen Krise im Kosovo sind die Verhandlungen über die Normalisierung der Beziehungen mit Serbien seit über einem Jahr aufs Eis gelegt worden. Serbische Parteien werden aus Belgrad gesteuert und handeln im Interesse Serbiens, nicht des Kosovo.

Das Verfassungsgericht hat das letzte Wort

Obwohl Albin Kurti der beliebteste Politiker im Kosovo ist und wieder das Amt des Regierungschefs anstrebt, darf er formal persönlich die Wahlliste seiner Vetëvendosje nicht anführen, weil er zu einer Bewährungsstrafe wegen Unruhestiftung 2015 im Parlament verurteilt worden ist. Sollte Vetëvendosje siegen und eine Regierung bilden, wird das Verfassungsgericht entscheiden, ob Kurti das Amt des Ministerpräsidenten überhaupt besetzen darf.

 

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL FERNSEHEN | 14. Februar 2021 | 19:30 Uhr

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