Zwei Männer bei einer Passportkontrolle
Symbolbild: Passkontrolle bei einer Einreise in den Schengenraum am Flughafen. Bildrechte: IMAGO/Belga

EU-Innenminister stimmen in Brüssel ab Bald ohne Passkontrolle nach Kroatien, Rumänien und Bulgarien reisen?

08. Dezember 2022, 13:46 Uhr

Wer nach Rumänien, Bulgarien oder Kroatien reist, muss sich an der Grenze ausweisen. Das könnte bald Geschichte sein, denn die drei Länder wollen dem Schengenraum beitreten. Über eine Aufnahme soll am Donnerstag in Brüssel beim Treffen der EU-Innenminister entschieden werden. Doch Österreich und die Niederlande bezweifeln, dass es der richtige Zeitpunkt für eine Erweiterung ist. Während Rumänien und Bulgarien bangen müssen, gilt die Aufnahme von Kroatien als gesetzt.

Dem Bukarester Wirtschaftsdozent Cristian Paun fallen gute Gründe für den Beitritt seines Landes zum Schengenraum ein. Für den Handel wäre es spürbar einfacher, wenn die Kontrollen und Staus an den Binnengrenzen zu Ungarn und zu Bulgarien wegfielen.

Doch Paun warnt im Interview mit der MDR-Osteuroparedaktion auch vor einem Beitritt seines Landes zum Schengenraum: "Wir sind schon jetzt wegen der Korruption das schwarze Schaf der EU. Ich will nicht, dass Rumänien ein noch schwärzeres Schaf wird, weil es die Außengrenzen nicht schützen kann, wie es sollte."

EU: Rumänien, Bulgarien, Kroatien technisch gut gerüstet

Mit gut 1.700 Kilometern hat Rumänien in Osteuropa eine der längsten Abschnitte der EU-Außengrenze zu schützen. Weil das Land aber nicht zum Schengenraum gehört, gibt es die nächsten Passkontrollen bereits an der Grenze zu Ungarn und Bulgarien. Eine Art doppelter Schutz also, der beim Beitritt zum Schengenraum entfallen würde. Im Oktober und November inspizierten EU-Vertreter mehrere Grenzkontrollpunkte in Rumänien und Bulgarien.

Das Ergebnis: Beide Länder sind technisch bestens ausgerüstet und erfüllen damit das einzige Kriterium, das über einen Beitritt in den Schengenraum entscheidet. Doch mögen die Grenzen technisch gesehen sicher sein, entscheidend sei, wie zuverlässig die rumänischen Gesetzeshüter arbeiteten, meint Wirtschaftsexperte Paun: "Stellt sich jemand die Frage, ob in einem korrupten Land wie Rumänien, Zöllner und Grenzer die Technik effizient nutzen werden, um Personen und Waren zu prüfen?"

Hafen in Constanta gilt als Einfallstor für Drogen und Müll

Rumänische Spezialpolizisten bewachen Säcke mit Kokain während einer Pressekonferenz.
2019: Rumänische Spezialpolizisten bewachen beschlagnahmtes Kokain. Bildrechte: imago images/Xinhua

Wirtschaftsexperte Cristian Paun ist mit seinen Zweifeln nicht allein. Journalisten von Radio Europa Libera und dem rumänischen Online-Portal G4.Media fanden zuletzt an Grenzkontrollpunkten heraus, dass die Technik – wie Scanner für Lkw und Container – zwar vorhanden, oft aber kaputt sei, nicht repariert werde oder von Zöllnern gar nicht bedient werden könne. 2019 kam es zu einem wiederholten Ausfall von Überwachungskameras an der Schwarzmeerküste – ausgerechnet in dem Moment, in dem fast zwei Tonnen Kokain nach Rumänien geschmuggelt wurden. Der illegale Drogenhandel fiel später nur auf, weil die schwer beladenen Boote kippten und das Kokain verloren. Später wurde es es an Land gespült.

Auch Rumäniens größter Hafen in Constanta sorgte in der Vergangenheit für Negativschlagzeilen beim Thema Korruption. Er gehört neben Häfen in Kroatien, Slowenien, Bulgarien und Griechenland zur sogenannten maritimen Balkanroute, über die in den vergangenen Jahren tonnenweise Kokain aus Lateinamerika und Heroin aus dem Nahen Osten geschmuggelt wurde. In einer Studie der in Wien ansässigen Organisation "The Global Initiative – Verein gegen transnationale organisierte Kriminalität" (GI-TOC) wird der Hafen von Constanta auch als Einfallstor für geschmuggelte Zigaretten, gefälschte Markenprodukte aus China und für illegale Mülltransporte aus Westeuropa ausgemacht.

Ist Osteuropa anfälliger für Korruption?

Hafen von Constanta, Kontrolle eines Containers
Grenzer finden im Mai 2021 bei einer Kontrolle eines Containers im rumänischen Hafen von Constanta Müll aus Norwegen, der illegal in Rumänien entsorgt werden sollte. Bildrechte: imago images/Le Pictorium

Sie hätten beim Hafen von Constanta den Eindruck gehabt, "dass er im Untersuchungszeitraum in der Hand eines korrupten Netzwerkes aus lokalen Behörden und Zollbeamten war und damit anfällig für organisierte Kriminalität aus dem Ausland," sagt GI-TOC-Studienautor Ruggero Scaturro im MDR-Interview. Wer die Studie von Scutarro liest, erfährt, wie Verbrecherbanden ihre Transportwege nach Westeuropa aussuchen, und wie Hafenleitungen verhindern könnten, dass sich kriminelle Netzwerke in ihren Häfen breit machen.

Sind womöglich die Zöllner und Grenzer in den osteuropäischen Häfen von Rumänien, Bulgarien oder Kroatien anfälliger für Korruption als das Personal in westeuropäischen Häfen? Analyst Scaturro verneint entschieden: "Bei Korruption gibt es keine geografische Komponente. Es hängt immer davon ab, ob sich korrupte Beschäftigte finden lassen. Die Mengen an Drogen, die beispielsweise durch die Häfen im belgischen Antwerpen und niederländischem Rotterdam gehen, sind einfach unglaublich."

Schengenbeitritt von Rumänien und Bulgarien schon einmal 2011 verhindert

Derzeit konzentrieren sich die EU-Innenminister ausschließlich auf das Korruptionsgeschehen in Rumänien, Bulgarien und Kroatien, da sie am Donnerstag in Brüssel entscheiden sollen, ob die drei Länder künftig zum Schengenraum gehören. Von den Niederlanden, Schweden und Österreich gab es zuletzt große Vorbehalte.

Mitte Oktober forderte das niederländische Parlament seine Regierung auf, vorläufig keiner Aufnahme von Bulgarien und Rumänien zuzustimmen. Korruption und organisierte Kriminalität in diesen beiden Ländern stellten eine Gefahr für die Sicherheit der Niederlande und der EU dar, hieß es damals im Parlamentsbeschluss. Das niederländische Außenministerium teilte am Dienstag auf MDR-Anfrage mit, dass man auf jeden Fall den Beitritt von Bulgarien "für verfrüht" halte.

Für Bulgarien aber auch für Rumänien gleicht diese Einschätzung einem Déjà-vu. Schon 2011 sprachen sich die Niederlande aus denselben Gründen gegen einen Schengenbeitritt der beiden osteuropäischen Länder aus – auch Deutschland, Frankreich und Finnland waren dagegen. 2011 sagte der damals amtierende niederländische Einwanderungsminister Gerd Leers, dass das Schengen-System auf Vertrauen basiere und man sich frage, ob man den beiden Ländern den Schlüssel zur Außentür geben sollte, die sie dann bewachen müssten.

Politikanalystin: Rumänien hat sich verändert

2011 sei die Kritik der Niederlande noch konstruktiv gewesen und habe Dinge in Bewegung gebracht, meint die Politikexpertin Bianca Toma vom Think Tank "Romanian Center for European Policies" in Bukarest im Gespräch mit dem MDR. Dass die Niederlande jetzt dieselben Zweifel wieder anführen, hält Toma für nicht berechtigt: "Es gab in Rumänien einen sichtbaren Wandel."

Tatsächlich kann die DNA – eine Sonderstaatsanwaltschaft im Kampf gegen Korruption – seit 2011 auf erfolgreiche Ermittlungen und Verurteilungen verweisen, auch wenn ihre Arbeit derzeit auf Sparflamme läuft. 2015 und 2017 kam es zudem in Rumänien zu massiven Anti-Korruptionsprotesten, die die Regierungen zu Veränderungen zwangen. "Die gute Nachricht ist, dass Rumänien inzwischen Antikörper gebildet hat. Es gibt eine wachsame Zivilgesellschaft, solide funktionierende Institutionen, die bei Rechtswidrigkeiten reagieren", sagt Toma.

Kriterien für Schengen-Erweiterung einfach verändert

Hinzu kommt: Der Beitritt eines EU-Landes zum Schengenraum ist so etwas wie eine Formsache. Schon jetzt können Rumänen, Bulgaren und Kroaten als EU-Bürger in der Union visafrei reisen und in jedem EU-Land arbeiten. Einziger Unterschied für sie: Bei der Ein- und Ausreise in die drei Länder muss man sich ausweisen. EU-Staaten, die dem Schengenraum beitreten wollen, müssen lediglich an ihren Grenzen technisch gut gerüstet sein – ein Aufnahmekriterium, das gut messbar ist. Dass die Anwärter auch einen erfolgreichen Kampf gegen Korruption führen, so wie ihn das niederländische Parlament fordert, ist nirgendwo offiziell als Aufnahmebedingung festgelegt.

Politikanalystin Bianca Toma hält es deshalb für bedenklich, dass der Beitritt immer noch daran gekoppelt wird. "Es kann nicht sein, dass andere Schengenmitglieder ständig im eigenen Ermessen weitere Kriterien festsetzen und damit die Entscheidung aufschieben. Das schafft einen heiklen Präzedenzfall für andere Abstimmungen in der EU."

Eine Reform der Aufnahmekriterien hat es in den vergangenen elf Jahren nicht gegeben. Auch gab es keine Debatte, wie man einen erfolgreichen Anti-Korruptionskampf messen sollte. "Schauen Sie sich Italien an", sagt Politikanalystin Bianca Toma, "dort kämpft man auch heute noch gegen die Mafia und das organisierte Verbrechen. Ein Anti-Korruptionskampf ist auf lange Zeit angelegt."

Österreich hält Schengenraum für "kaputtes System"

Durch die Aufnahme von Bulgarien, Rumänien und Kroatien würde im neuen Jahr ein von der türkischen Grenze bis nach Skandinavien reichender Raum ohne Personenkontrollen geschaffen. Kürzlich erinnerte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson daran, dass Schengen "eine der größten Errungenschaften der EU" sei, und dass auch diese drei Länder jetzt schnellstens aufgenommen werden sollten.

Im österreichischen Innenministerium sieht man das ganz anders. Dort heißt es auf MDR-Anfrage zu einer Schengenraum-Erweiterung: "Ein kaputtes System zu erweitern, kann nicht funktionieren." Wien treibt die Sorge um, dass über die Balkanroute wieder mehr Menschen ins Land kommen. Allein in diesem Jahr habe man rund 100.000 Migranten an der österreichischen Grenze registriert. Das zeige, dass der Außengrenzschutz schon jetzt nicht funktioniere, heißt es aus Wien.

Welche Szenarien gibt es für den 8. Dezember in Brüssel?

  • Die besten Karten für eine Aufnahme hat das EU-Land Kroatien. Zwar kritisieren Menschenrechtsorganisationen, dass das Land mit Push-Packs gegen Migranten vorgehe, doch für die Mitgliedschaft ist das offenbar kein Hinderungsgrund. Ein Schengenbeitritt würde den Tourismus weiter ankurbeln, Passkontrollen zu Slowenien würden entfallen. Zudem tritt Kroatien einer weiteren Zone bei: Es wird am 1. Januar 2023 den Euro einführen.


  • Schwierig gestaltet sich die Aufnahme von Bulgarien und Rumänien, deren Beitritt im Doppelpack abgestimmt werden soll. Beide Länder haben eine gemeinsame Grenze. Bei einer zeitlich getrennten Aufnahme müsste sie zusätzlich technisch ausgerüstet werden. Die Kosten will man sich sparen. Möglicherweise werden beide Länder unter Auflagen aufgenommen, so wie schon 2007 beim EU-Beitritt.


  • Österreich und die Niederlande könnten sich beim Votum der Stimme enthalten, weil sie von der Schengenerweiterung nicht vollständig überzeugt sind. Die Regierungen in Wien und Amsterdam könnten ihr Gesicht wahren und würden gleichzeitig das Votum nicht blockieren.

Der rumänische Präsident Klaus Iohannis nannte vor Tagen ein weiteres denkbares Szenario: Möglicherweise werde die Abstimmung beim Treffen am Donnerstag noch einmal verschoben – um ein oder zwei Monate. Eine neue jahrelange Wartezeit werden sich weder Bukarest noch Sofia gefallen lassen.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL FERNSEHEN | 10. November 2022 | 21:45 Uhr

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