Diplomatie Gibt es noch Verhandlungen mit Russland?
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26. März 2023, 19:01 Uhr
Seit mehr als einem Jahr greift Russland die Ukraine an – zehntausende Menschen sind gestorben. Kurz nach dem Beginn der Offensive gab es Waffenstillstandsverhandlungen, die dann abgebrochen wurden. Doch gibt es aktuell noch Gespräche?
- Gespräche gibt es derzeit nur über Gefangenenaustausche und den Getreide-Deal.
- Putin braucht für seinen Machterhalt wohl einen Sieg.
- Bundesregierung hat "anlassbezogen Kontakt mit russischen Vertretern".
Als der chinesische Präsident Xi Jinping kürzlich in Moskau war, spielte auch der sogenannte Friedensplan für die Ukraine eine Rolle. Es gab erwartungsgemäß Lob von Russlands Präsident Wladimir Putin. Aus Deutschland kamen dagegen ganz andere Reaktionen: Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte, es sei leider ein Positionspapier vorgelegt worden, das den Angreifer und das Opfer nicht benannt habe "und damit aus meiner Sicht eben auch keinen wirklichen Beitrag zum Frieden leisten kann“.
Kritik an dem chinesischen Plan hatte es zuvor schon aus der Ukraine gegeben. Es sieht also eher nicht danach aus, dass es auf chinesische Initiative hin bald einen Waffenstillstand oder Frieden in der Ukraine geben könnte. "China kann eher keine Vermittlerrolle spielen, dazu steht das Land zu sehr auf Seiten Russlands", sagte dazu Susan Stewart dem MDR. Stewart gehört zur Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).
Kaum Kontakte zwischen Russland und Ukraine
Doch welche diplomatischen Kontakte gab und gibt es überhaupt zwischen der Ukraine und Russland? Direkte Gespräche gab es vor allem kurz nach dem russischen Angriff. Damals lastete enormer politischer Druck auf der Ukraine. Schließlich trafen sich noch Ende Februar Delegationen der Ukraine und Russlands zu Gesprächen an der Grenze zu Belarus. Anfang März kamen schließlich die Außenminister der Ukraine und Russlands, Dmitro Kuleba und Sergej Lawrow, unter Vermittlung der Türkei in Antalya zusammen. Greifbare Ergebnisse gab es nicht, Mitte Mai kündigten beide Staaten die Waffenstillstandsverhandlungen offiziell auf.
Susan Stewart sieht den Grund dafür vor allem im russischen Verhalten. "Damals kamen die schrecklichen Kriegsverbrechen unter anderem in Butscha ans Licht", sagte sie. Parallel dazu sei die ukrainische Position aufgrund der Waffenlieferungen aus dem Westen gestärkt worden.
Im Herbst verbot die ukrainische Regierung per Dekret sogar Verhandlungen mit Wladimir Putin. Der Grund: Zuvor hatte Russland vier ukrainische Gebieten im Süden und Osten der Ukraine annektiert.
Gefangenenaustausche und Getreide-Deal funktionieren – noch
Allerdings sprachen seit dem Sommer beide Seiten punktuell miteinander. Zum einen im Rahmen des sogenannten Getreide-Deals, der im Juli 2022 geschlossen und seither immer wieder verlängert wurde – zuletzt allerdings nur noch um 60 Tage. Vermittelt hatten ihn im Sommer 2022 die Türkei und die Vereinten Nationen. Mit dem Deal wird sichergestellt, dass ukrainisches Getreide per Schiff über das Schwarze Meer exportiert werden kann – trotz russischer Belagerung.
Regelmäßig tauschen Russland und die Ukraine zudem Gefangene aus; zuletzt im Februar unter Vermittlung der Vereinigten Arabischen Emirate. Dabei ist aber nicht klar, ob es direkte Kontakte oder nur Gespräche über Dritte gibt. Zudem gab es indirekt Kontakt über die Internationale Energieatombehörde (IAEA), die sich lange um den Zugang zum Atomkraftwerk Saporischschja bemühen musste.
"Dieser operative Austausch zeigt, dass Verhandlungen zumindest im Prinzip möglich sind", sagt Russland-Experte Alexander Graef. Er forscht am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) in Hamburg. Allerdings: Trotz dieser direkten und indirekten Kontakte hätten sich die Positionen seit Monaten nicht bewegt.
Solange Russland und die Ukraine die Erwartung haben, den Krieg auf dem Schlachtfeld zu entscheiden, werden die Staaten nicht politisch verhandeln.
Verhandlungen seien angesichts der vielen Toten aber nötig. "Wichtig ist, dass es erstmal einen Waffenstillstand gibt und die militärische Lage eingefroren wird."
Ein Ende des Konflikts bedeutet das aber noch lange nicht. "Wir müssen uns bewusstmachen, dass uns dieser Konflikt noch über Jahre oder sogar Jahrzehnt begleiten wird", sagt Graef.
Ukraine-Krieg könnte noch lange dauern
Und Susan Stewart von der SWP sagt: "Wir dürfen nicht die unterschiedlichen Ebenen vergessen, auf denen sich beide Staaten bewegen. Die Ukraine sieht sich als Staat an sich bedroht. In Russland wird der Krieg als Kampf mit dem kollektiven Westen dargestellt. Dem Regime um Wladimir Putin geht es vor allem um die eigene Existenz. Putin braucht für seinen Machterhalt in jedem Fall irgendeine Art von Sieg." Und noch ein Problem sieht sie aus ukrainischer Sicht. In der Ukraine gebe es kein Vertrauen darin, dass Putin sich an irgendeine Art von Übereinkunft halten würde. "Dafür bräuchte es Sicherheitsgarantien – aber es ist noch völlig unklar, worauf sich die möglichen Garantiemächte würden einigen können."
Auch Stewart geht deshalb davon aus, dass die Kämpfe noch lange weitergehen. "Es sei denn, der Westen beendet die Unterstützung der Ukraine oder schränkt sie ein", sagt Stewart. Dann sei die Ukraine wohl zu Verhandlungen gezwungen, es würde dann aber auf einen Diktatfrieden hinauslaufen. Eine andere Möglichkeit sei, dass es in Russland einen Umsturz von Teilen der Elite gebe. Das sei derzeit aber sehr unwahrscheinlich. "Zudem wäre in einem solchen Fall nicht klar, ob die neue Führung den Krieg überhaupt beenden oder sogar noch brutaler vorgehen würde."
Waffenstillstand: Wer könnte vermitteln?
Doch wer könnte einen Frieden oder zumindest einen Waffenstillstand vermitteln? Hervorgetan hat sich bisher vor allem die Türkei, Initiativen oder Ankündigungen gab es auch von Brasilien, Israel oder nun eben China. Von den Vereinten Nationen gab es hingegen kaum Initiativen.
Deutschland scheidet derzeit wohl als Vermittler aus. Die Bundesrepublik betont stets, dass es keine Verhandlungen über Kiews Kopf hinweg geben dürfe. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat seit dem russischen Angriff am 24. Februar vergangenes Jahr insgesamt sechs Mal mit Putin gesprochen – das bisher letzte Mal im Dezember. Danach wurde jedes Mal öffentlich über die Gespräche informiert, allerdings nur mit einer kurzen Mitteilung. Auf MDR-Anfrage teilte eine Regierungssprecherin zudem mit, dass Vertreter des Bundeskanzleramtes "anlassbezogen Kontakt mit russischen Vertretern" haben. Was das konkret bedeutet, erläuterte sie nicht.
Von der Regierungssprecherin hieß es zudem, dass man sich weiterhin intensiv für eine diplomatische Lösung einsetze. "Zugleich teilt die Bundesregierung die Einschätzung von VN-Generalsekretär Guterres, dass es für die Durchführung von Friedensgesprächen der Bereitschaft aller Parteien bedarf. Bedauerlicherweise führt Russland seinen Angriffskrieg mit größter Brutalität fort und hat deutlich gemacht, dass es kein Interesse an ernsthaften Gesprächen oder Friedensverhandlungen hat."
Auswärtiges Amt: Ukraine entscheidet über Verhandlungen
Im Auswärtigen Amt wird auf MDR-Anfrage nach diplomatischen Kontakten auf einen engen Austausch mit den Partnern verwiesen – "sowohl bilateral als auch im Rahmen internationaler Organisationen und multilateraler Foren, vor allem in der NATO, der EU und den G7". Die Bundesregierung unterstreiche dabei stets die souveräne Entscheidung der Ukraine über Zeitpunkt und Inhalt möglicher Verhandlungen mit der Russischen Föderation.
Welche Kontakte es etwa auf Botschafter-Ebene gibt, bleibt unklar. Nach MDR-Informationen gab es dazu auch im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages zuletzt keine weiteren Informationen. Für Alexander Graef scheidet Deutschland ohnehin als Vermittler aus, da die Bundesrepublik enger Partner der Ukraine sei. "Eine Vermittlerrolle kann eigentlich nur einnehmen, wer Vertrauen in der Ukraine und Russland hat – und da ist die Auswahl doch sehr klein", sagt Graef.
Umfrage: Mehrheit wünscht sich Gespräche
Allerdings bleibt auch umstritten, inwieweit es überhaupt Verhandlungen geben kann oder soll. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur im Februar sprachen 67 Prozent dafür aus, dass Russland und die Ukraine Gespräche über die Beendigung des Krieges aufnehmen sollen. Und in einer Befragung von MDRfragt kam heraus, dass 77 Prozent der Teilnehmer die diplomatischen Anstrengungen, um den Krieg zu beenden, nicht weit genug gehen.
Die Linken-Bundestagsfraktion hatte kürzlich einen Antrag in den Bundestag eingebracht, der eine Verhandlungsinitiative Deutschlands zusammen mit anderen Staaten forderte. Der Antrag wurde abgelehnt. Der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Gregor Gysi, hatte vor wenigen Tagen im Sender Phoenix zudem vorgeschlagen, Putin zu einem Waffenstillstand zu bewegen. Im Tausch sollten die Waffenlieferungen des Westens an die Ukraine gestoppt werden. "Das würde Putin unter Druck setzen, denn wenn er Nein sagt, sagt er automatisch: liefert weiter Waffen. Wenn er Ja sagt, wird zumindest nicht mehr geschossen, es gibt keine Toten, keine Verletzen und keine Zerstörung mehr und dann müssten komplizierte Friedensverhandlungen beginnen", sagte Gysi.
Forderungen nach Verhandlungen kamen auch immer wieder von Sachsens CDU-Ministerpräsidenten Michael Kretschmer. Zum Jahrestag von Russlands Angriff auf die Ukraine sagte er der Leipziger Volkszeitung: "Wichtig sind auch diplomatische Initiativen und Verhandlungen zur Beendigung des Krieges. Die Logik des Krieges und der Gewalt muss durchbrochen werden. Das Sterben muss endlich aufhören".
Hardt: Liegt an Russland, den Krieg zu beenden
Kretschmer war für seine Forderungen allerdings auch in der eigenen Partei heftig kritisiert worden. Anders als Kretschmer sieht es der außenpolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt. Er sagte dem MDR, dass eine pragmatische Herangehensweise beim Thema Gespräche zwar wichtig sei. "Wir dürfen aber nicht vergessen, wer der Aggressor ist. Es liegt an Russland, diesen Krieg zu beenden. Putin wird nur zu Zugeständnissen bereit sein, wenn er in die Defensive gerät. Deshalb ist es vor allem wichtig, dass wir die Ukraine weiter mit Waffenlieferungen unterstützen."
Unterdessen wurde bekannt, dass US-Außenminister Antony Blinken langfristig Verhandlungen über die künftigen Grenzen der Ukraine nicht ausschließt. Die Entscheidung darüber liege aber bei den Ukrainern, betonte er am Donnerstag vor einem Parlamentsausschuss in Washington. Jeder eventuelle Friedensschluss müsse "gerecht und dauerhaft" sein.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 21. März 2023 | 18:14 Uhr