Ukraine als Wahlkampfthema Bulgarien: Waffenlieferungen spalten Gesellschaft
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26. März 2023, 19:18 Uhr
In Bulgarien wird ähnlich wie in Deutschland über Waffenlieferungen an die Ukraine gestritten. Das Land verfügt noch über ein großes Arsenal aus sowjetischer Produktion, das der Ukraine tatsächlich nützen würde, und die bulgarische Rüstungsindustrie produziert nach wie vor die passende Munition. Prorussische Kräfte sind aber strikt gegen Waffenlieferungen. Es ist eines der umstrittensten Themen vor der anstehenden Parlamentswahl Anfang April 2023.
Am 2. April wird in Bulgarien wieder ein neues Parlament gewählt – zum fünften Mal innerhalb von zwei Jahren. Neben Wirtschaftsfragen sind Waffenlieferungen an die Ukraine ein wichtiges Wahlkampfthema, das die Gesellschaft spaltet.
Kopf-an-Kopf-Rennen erwartet, Wahlsieger unklar
Die Meinungsforscher sind sich einig – es wird ein knappes Rennen. Umfragen sehen zwei prowestliche Kräfte auf den Plätzen 1 und 2, wobei der Sieger unklar ist, weil beide ungefähr die gleiche Zustimmung haben. Um Rang 3 wird es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der liberalen Türkenpartei und den prorussischen Populisten geben. Außerdem schaffen aller Voraussicht nach auch die ebenfalls prorussischen Sozialisten den Sprung über die Vier-Prozent-Hürde. Eine Konstellation, die nicht nur die Regierungsbildung schwierig macht, sondern auch eine Einigung über Waffenlieferungen ausschließt.
Eckdaten zur Wahl in Bulgarien am 2. April 2023
Rund 6,5 Millionen Bürger sind aufgerufen, ein 240-köpfiges Parlament zu wählen. Es ist bereits die fünfte Wahl innerhalb von zwei Jahren. Meinungsforscher gehen von einer niedrigen Wahlbeteiligung von etwa 40 Prozent aus. Die Vorwahlanalysen sind eindeutig: Das Votum der Wähler wird Bulgarien auch diesmal keine stabile Regierung bescheren. Meinungsumfragen zufolge werden mindestens fünf Parteien ins neue Parlament einziehen, die sich klar in die Lager prowestlich und moskaunah einteilen lassen. Hinzu kommt das tiefe Misstrauen unter den wichtigsten Parteien, das es nahezu unmöglich macht, nach der Wahl eine regierungsfähige Koalition zu bilden.
Wahl in Bulgarien: Was sagen die Umfragen voraus?
Mit jeweils rund 26 Prozent Unterstützung liegen zwei prowestliche Kräfte in den Umfragen vorn – die Mitte-Rechts-Partei GERB des früheren Langzeitpremiers Bojko Borissow und das liberal-konservative Reformbündnis PP/DB (Wandel fortgesetzt/Demokratisches Bulgarien). Das Meinungsforschungsinstitut Trend sieht den dritten Platz als ebenfalls stark umkämpft an. Mit 13,6 Prozent der Stimmen liegt derzeit die liberale Türkenpartei DPS vor der prorussischen populistischen Formation "Wazraschdane" – zu Deutsch: "Wiedergeburt") mit 12,9 Prozent. Die als frühere Kommunistische Partei historisch mit Moskau verbundene Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) verliert deutlich an Unterstützung und belegt mit nur 7,5 Prozent Zustimmung derzeit den letzten Platz unter den Parteien, welche die Vier-Prozent-Hürde für den Einzug ins Parlament sicher schaffen werden.
Übergangsregierung gegen Waffenlieferungen
Die politische Dauerkrise in Bulgarien – es ist die fünfte Wahl innerhalb von nur zwei Jahren – hat unverhältnismäßig viel Macht in den Händen von Präsident Rumen Radew konzentriert. Die Verfassung erlaubt dem Ende 2021 wiedergewählten Staatschef, das Land mit einem Übergangskabinett zu regieren, wenn das Parlament keine stabile Regierung aufstellen kann. Radew – ein pensionierter Luftwaffengeneral – stieg erst 2016 dank der moskautreuen sozialistischen Partei in die Politik ein. Wegen seiner russlandfreundlichen Haltung fürchten politische Beobachter, dass Bulgarien in einer geopolitischen Grauzone zwischen dem Westen und Russland bleiben wird.
Mehrmals bezeichnete der bulgarische Präsident diejenigen, die die Lieferung von Waffen an die Ukraine fordern, als "Kriegstreiber". Umfragen zeigen, dass fast zwei Drittel der Bevölkerung glauben, Bulgarien würde durch Waffenlieferungen direkt in den Konflikt verwickelt. So verkündete Radew, solange sein Übergangskabinett in Sofia regiert, werde Bulgarien weder Kampfjets, noch Luftabwehrsysteme oder Panzer an Kiew liefern. Beim EU-Treffen zum Munitionsmangel in der Ukraine am 20. März 2023 verweigerte der vom Präsidenten ernannte Verteidigungsminister Dimiter Stojanow in Brüssel die Zustimmung für die gemeinsame Bestellung von Artilleriegeschossen für die ukrainische Armee.
Bulgarien hätte der Ukraine viel zu bieten
Dabei hätte Bulgarien durchaus an der mit EU-Geld finanzierten Munitionsproduktion verdienen können, denn die Verteidigungsindustrie hat eine lange und erfolgreiche Geschichte. "Während des Kalten Krieges war Bulgarien eines der militärisch stärksten Länder in Europa", erinnert der Militärexperte Jordan Boschilow. Er verweist darauf, dass die bulgarische Rüstungsindustrie bis heute eine Ausrichtung hat, die für die Verteidigung der Ukraine sehr nützlich sein könnte: "Die Rüstungsunternehmen des Landes stellen Munition für sowjetische Waffen und andere darauf basierende Produkte her, die in den meisten Fällen von hoher Qualität sind und auf den internationalen Märkten hohe Preise erzielen. Wir hätten die Kapazität, für die Ukraine zu produzieren, aber es fehlt der politische Wille."
Derzeit verkaufen bulgarische Waffenhersteller und -händler ihre Produkte hauptsächlich nach Polen und Rumänien, von wo aus die Waffen dann in die Ukraine weiterexportiert werden. Erst kürzlich stellte sich heraus, dass Bulgarien seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine mit diesen (indirekten) Waffenverkäufen an Kiew Rekordumsätze im Wert von geschätzt mindestens einer Milliarde Euro gemacht hat. Damit waren bulgarische Rüstungsunternehmen eine der reichhaltigsten Quellen für Munition nach sowjetischem Standard für die ukrainische Armee.
Politisch ist das Thema aber äußerst delikat – es ist ein wirtschaftlicher Erfolg, mit dem sich die prorussischen politischen Kräfte im Land lieber nicht brüsten wollen. Mit der strikten Verweigerung von Waffenlieferungen an die Ukraine sind zwei Parteien in den Wahlkampf gezogen, die Umfragen zufolge ganz sicher im nächsten Parlament vertreten sein werden: die Bulgarische Sozialistische Partei (BSP), die 2016 Präsident Radew ins Amt gehievt hatte, und die offen prorussischen Populisten, die im Zuge der politischen Dauerkrise und angesichts der großen Enttäuschung mit den althergebrachten Mainstream-Parteien deutlich an Stimmen zulegen werden.
Verpasste Chance für bulgarische Armee
Mit der Weigerung, Waffen an die Ukraine zu liefern, schießen sich die Bulgaren aber ins eigene Knie. Die bulgarische Luftwaffe besteht hauptsächlich aus sowjetischen MiG-29 und Su-25, die nicht mehr gewartet werden können und demnächst ausgemustert werden sollen. Bald wird Sofia gezwungen sein, NATO-Partner zu bitten, Flüge zum Schutz des bulgarischen Luftraumes im Rahmen des NATO Air Policing zu übernehmen.
Ähnlich sieht es mit den Landstreitkräften aus, berichtet der frühere bulgarische Verteidigungsminister Todor Tagarew im Gespräch mit dem MDR. Er verweist auf die riesigen Waffen- und Munitionsbestände aus Sowjetzeiten, die in Bulgarien noch lagern und der Ukraine gute Dienste erweisen könnten. "Wir haben es versäumt, uns am deutschen Ringtausch zu beteiligen. Dabei hätte Bulgarien mindestens 30-40 Panzer vom sowjetischen Typ T-72 an die Ukraine abgeben können, anstatt zu versuchen, sie teuer zu modernisieren", bereut Tagarew.
Mit der Weigerung, Waffen und Munition für die Verteidigung der Ukraine gegen die russische Invasion zu liefern, und dafür moderne westliche Ausrüstung zu bekommen, isoliert sich das NATO-Land Bulgarien zunehmend und verspielt die Möglichkeit, seine Streitkräfte schnell und kostengünstig zu erneuern. "So verwandeln wir uns unweigerlich in einen Bezieher von kollektiver NATO-Sicherheit, ohne wesentlich dazu beizutragen", resümiert Ex-Verteidigungsminister Tagarew.
Angesichts der Umfragen ist allerdings höchst fraglich, ob Bulgarien seine Blockadehaltung beim Thema Waffenlieferungen aufgeben wird. Denn selbst wenn man diesen Streitpunkt weglässt, dürfte es auch nach dieser Wahl schwierig sein, eine dauerhaft tragfähige Regierungsmehrheit zu finden.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten – Der Osteuropa-Podcast | 25. März 2023 | 07:17 Uhr