Musik Rapper in Russland: Der Kreml versteht keinen Spaß
Hauptinhalt
27. Dezember 2021, 05:00 Uhr
Lange hat die russischen Fangemeinschaft auf die neuen Alben der Rapper Noize MC und Oxxxymiron gewartet. Kaum sind die erschienen, ermittelt das Ermittlungskomitee der Russischen Förderation gegen die Musiker – eine Behörde, die direkt Kremlchef Wladimir Putin unterstellt ist. Anlass der Ermitlungen: ein angeblicher Brief von russischen Patrioten.
Seit Tagen amüsiert sich die russische Netzgemeinde über einen Fauxpas der russischen Ermittlungsbehörde, der allerdings für die Beteiligten durchaus ernste Konsequenzen haben könnte. Die Rede ist von den beiden russischen Rap-Musikern Noize MC und Oxxxymiron, die international bekannt sind, sowie dem Blogger und Aktivisten Dmitrij Jakuschew.
Offener Brief vom Patriotenverein auf Blog veröffentlicht
Anfang Dezember hatte Jakuschew in seinem Blog eine Beschwerde veröffentlicht, die ihm von einem Verein zugespielt worden sei, der sich "Gruppe der Patrioten Russlands" nennt. Der Text, als offener Brief verfasst, fordert den Chef des Ermittlungskomitees der Russischen Förderation, Alexander Bastrykin, dazu auf, die Texte der beiden Musiker genauer unter die Lupe zu nehmen.
Sie sollten auf verbotene Inhalte wie Extremismus und Verhöhnung der Justizbehörden geprüft werden. "Sie sind nicht nur ein großer Patriot Russlands, sondern auch ein sehr findiger und erfolgreicher Verteidiger des Vaterlandes", heißt es in den ersten Sätzen des Briefes an Bastrykin. "Wir möchten Ihre Aufmerksamkeit auf die verbrecherische Tätigkeit der Rapper Oxxxymiron und Noize MC lenken", heißt es weiter. Die beiden Künstler seien eine "nationale Bedrohung" für Russland und "gefährlicher als die Nato-Erweiterung".
Russlands Ermittlungskomitee, eine Behörde, die nicht der Generalstaatsanwaltschaft sondern direkt Kremlchef Wladimir Putin unterstellt ist, reagierte prompt und veröffentlichte umgehend eine Mitteilung auf seiner Webseite. Behördenchef Alexander Bastrykin habe angeordnet, die Vorwürfe seitens der "Patrioten Russlands" genauestens zu überprüfen.
Bekannte Rapper im Visier
Die Nachricht versetzte die Öffentlichkeit und Russlands soziale Netzwerke in Aufregung. Oxxxymiron und Noize MC zählen zu den bekanntesten Rappern des Landes und haben erst vor Kurzem ihre neuen Alben präsentiert – nach einer längeren Produktionspause. Beide gelten als regimekritisch und sind vor allem bei der Jugend beliebt.
Blogger: "Eine Parodie auf unsere Zeit"
Das Problem: Jakuschews offener Brief war frei erfunden. Der Blogger wollte damit eine gängige Praxis in Russland aufs Korn nehmen, bei der Ermittlungsbehörden nach einer Beschwerde seitens einer konservativen Organisation, etwa eines Veteranenverbandes, umgehend den einen oder anderen Künstler ins Visier nehmen. Nur wenige Stunden nach seinem ursprünglichen Post veröffentlichte der Blogger eine Klarstellung. Eine Beschwerde, so Jakuschew, habe es nie gegeben. "Der Brief ist extra idiotisch formuliert, eine Parodie auf unsere Zeit", heißt es im Blog. Auch die "Gruppe Patrioten Russlands" habe es nie gegeben. Also alles nur ein Spaß.
Erste Rapper verlassen Russland
Doch offenbar hatte die Satire den Nerv der Zeit etwas zu genau getroffen. Denn auf den ersten Blick wirkt alles wie die Fortsetzung einer repressiven Kampagne gegen Russlands Rap-Künstler, die bereits vor einigen Wochen im Land ihren Anfang genommen hat. Ende November hatte der wohl bekannteste russische Rapper, Morgenstern, das Land verlassen, nachdem der Chef des Ermittlungskomitees Bastykin ihm persönlich vorgeworfen hatte, den Konsum von Drogen in seinen Songs zu verherrlichen. Nur wenige Tage später hatte ein anderer Interpret der Rapszene mit dem Künstlernamen Eljay ebenfalls Russland den Rücken gekehrt, nach dem auch gegen ihn ein Verfahren wegen Drogenpropaganda eröffnet wurde.
Beschwerde muss untersucht werden
Sowohl Rapper Oxxxymiron als auch Künstler Noize MC haben die Verwirrung um ihre Texte und die Fake-Beschwerde bislang nicht kommentiert. Juristen gehen jedoch davon aus, dass die Ermittlungsbehörden die Songtexte nun jedoch tatsächlich auf Gesetzesverstöße prüfen müssen. "Eine solche Beschwerde kann nicht mehr zurückgenommen werden", meint Igor Trunow, Chef des Verbandes russischer Anwälte. Nun müssten linguistische Gutachten angefertigt werden. Extremismus wird in Russland mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft.
Ausgang der Ermittlungen völlig offen
Dass die beiden Stars tatsächlich etwas zu befürchten haben, bleibt allerdings fraglich. Schließlich hatte sich sogar der staatliche Erste Kanal in einer Late Night Show über den Vorfall amüsiert. Ähnlich sieht es auch Blogger Dmitrij Jakuschew. "Meine politische Erfahrung sagt mir, dass die beiden Dank des großen Echos nichts mehr zu befürchten haben", schrieb Jakuschew in einem seiner jüngsten Blogeinträge. Die Einzigen, die etwas zu befürchten hätten, seien er selbst und die Mitarbeiter der Behörde, die auf seinen Blogeintrag hereingefallen sind.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL Hörfunk | 30. April 2021 | 10:00 Uhr