Russlands Geschäft mit Erdgas Warum die EU mitverantwortlich für die hohen Gaspreise ist
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04. November 2021, 17:54 Uhr
Der russische Konzern Gazprom und der Kreml werden für die hohen Gaspreise verantwortlich gemacht. Man wolle Druck ausüben, damit Nord Stream 2 eine Betriebserlaubnis erhält. Doch das ist nur die halbe Wahrheit.
In Deutschland und Europa stöhnt längst nicht nur die Industrie unter den rapide gestiegenen Gaspreisen. Während Düngemittel-Hersteller und Stahlwerke ihre Produktion drosseln, müssen sich auch die meisten Verbraucher auf weiter steigende Strom- und Heizkosten einstellen. Vor wenigen Tagen musste sogar der brandenburgische Gas- und Stromanbieter Otima Energie Insolvenz anmelden, weil die Einkaufspreise für Gas nicht vollständig an die Kunden weitergegeben werden können und das Unternehmen deshalb Verluste einfuhr.
Umso mehr richten sich die fragenden Blicke vieler Europäer derzeit nach Russland und auf den russischen Konzern Gazprom. Das Unternehmen allein deckt mit seinen Lieferungen etwa ein Drittel des europäischen Bedarfs. Gazprom steht in der Kritik. Der Konzern habe bislang nicht auf die erhöhte Nachfrage aus der EU reagiert, sagt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Andere Kritiker, wie Grünen-Chefin Annalena Baerbock, werfen Gazprom und damit indirekt auch dem Kreml sogar Erpressung vor. Russland halte zusätzliche Lieferungen zurück, um so eine rasche Betriebserlaubnis für die umstrittene Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 zu erpressen. Russland verzichte für dieses Ziel sogar auf zusätzliche Verkaufserlöse und handele ökonomisch irrational.
Der Kreml und der halbstaatliche Konzern Gazprom kontern hingegen, alle laufenden Verträge würden erfüllt. Im Vergleich zum Vorjahr hat der russische Konzern allein in Deutschland bislang sogar etwa ein Viertel mehr Gas verkauft. Allerdings hat der Konzern keine weiteren zusätzlichen Lieferungen angeboten. Staatschef Wladimir Putin hat Gazprom zwar angewiesen, mehr Gas in die konzerneigenen Speicher auf europäischem Boden zu pumpen, das allerdings bedeutet nicht, dass auch mehr Gas verkauft wird.
Gazprom: Von der EU zur Bindung der Gaspreise an die Börsenpreise gedrängt
Um zu verstehen wie der russische Gaskonzern tickt, lohnt sich ein Blick darauf, wie der Gashandel zwischen Russland und Europa funktioniert. Das meiste Gas liefert Russland entsprechend langfristiger Verträge zwischen dem Exportmonopolisten Gazprom und europäischen Energieunternehmen. Das Liefervolumen wird dabei in einem Korridor mit Höchst- und Mindestmengen festgelegt. Die Preise in diesen Verträgen sind jedoch nicht konstant, sondern hängen in weiten Teilen von aktuellen Preisen an europäischen Börsen ab. Steigt der Börsenpreis, bekommt Gazprom mehr Geld für seine Exporte. Sinkt der Börsenpreis, verdient Gazprom weniger. Die EU und auch Gazproms europäische Kunden haben über Jahre auf diese Bindung gepocht, die die Preise für Europa transparenter und günstiger machen sollte. Der Anteil von Gazproms europäischen Verträgen, die an die Börsenpreise gebunden sind, stieg seit 2010 von 15 auf 87 Prozent.
Zudem verkaufte Gazprom in der Vergangenheit immer mal wieder kleinere Mengen überschüssigen Gases an den Börsen. Wenn nun Politiker zusätzliches Gas aus Russland einfordern, dann könnte Gazprom diesem Wunsch theoretisch mit solchem zusätzlich angebotenen Gas nachkommen. Für Russland wäre das jedoch ungünstig. Die hohen Gaspreise an der Börse lassen Gazproms Gewinne auch ohne zusätzliche Gasangebote sprudeln. Dagegen könnte ein zusätzliches Angebot an den Gasmärkten – wie von den Europäern gewünscht – den europäischen Börsenpreis schnell fallen lassen und Gazproms gesamte Exporteinnahmen verhageln.
Börsenpreise schwanken extrem stark
Gazproms Zurückhaltung an den Märkten folgt also durchaus einer wirtschaftlichen Logik."Warum sollten wir zusätzliches Gas fördern, nur um durch Börsen-Verkäufe den Exportpreis für unseren gesamten Export zu senken?", beschreibt Igor Juschkow, Experte der Moskauer Stiftung für nationale Energiesicherheit, die Situation aus Gazproms Sicht. Zudem sei es völlig unklar, wie viel Gas die Europäer zu den aktuellen Preisen kaufen könnten.
Bei Gazprom sieht man das Problem in der Struktur des Gasmarktes. Der Anteil des an den europäischen Märkten gehandelten Gases mache nur etwa 30 Prozent des gesamten EU-Verbrauchs aus, während der Rest über langfristige Verträge mit Preisbindung bedient wird. "Die Preise an den Börsen reagieren deswegen überproportional selbst auf kleine Ungleichgewichte bei Angebot und Nachfrage", meint Sergej Komlew, der bei Gazproms Exportsparte die Abteilung für internationale Verträge leitet. Ein recht geringes Defizit sorgt also für stark angewachsene Einnahmen bei Gazprom. Genauso schnell könnte der Preis aber auch kollabieren, würde zusätzliches Gas auf den Markt strömen.
Europa will den Gasmarkt weiter liberalsieren
Europa hingegen möchte die Liberalisierung des Marktes und den Börsenhandel weiter vorantreiben. So hat der polnische Gaskonzern PGNiG angekündigt, seinen Vertrag mit Gazprom im kommenden Jahr auslaufen zu lassen und Gas an den Börsen einzukaufen. Zumindest in der Vergangenheit hat Europa vom Börsenhandel mehrheitlich profitiert. Etwa als die europäischen Gaspreise zu Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 günstiger waren als in Russland selbst.
Wie lange Gazprom noch von der für den Konzern günstigen Situation profitiert, ist ungewiss. Sergej Kapitonow, Gasexperte der privaten Management-Schule Skolkowo, hat in einer seiner jüngsten Analysen darauf hingewiesen, dass die hohen Preise auch die Nachfrage in Europa schmälern könnten. Ein Nebeneffekt wäre, dass Investitionen in alternative Energien beschleunigt werden könnten.
Hoffnung auf Entspannung brachte letztendlich die jüngste Anweisung von Russlands Präsident Putin an die halbstaatliche Gazprom, ab nächste Woche mehr Gas in seine eigenen Speicher in Europa zu pumpen. Damit stünde zumindest theoretisch mehr Gas zum Verkauf an europäische Kunden bereit. Wie viel davon Gazprom tatsächlich über die geltenden Verträge hinaus anbieten wird, wird sich allerdings erst zeigen müssen.
Quelle: MDR
Dieses Thema im Programm: MDR Aktuell - Das Nachrichtenradio | 26. Oktober 2021 | 12:47 Uhr