Nahostkonflikt Schwindet Russlands Einfluss im Nahen Osten?
Hauptinhalt
18. Juni 2024, 10:16 Uhr
Russland hat seit seinem militärischen Eingreifen in Syrien einiges an Einfluss im Nahen Osten gewonnen. Doch der Krieg zwischen Israel und der Hamas stellt den Kreml vor neue diplomatische Herausforderungen: Er will seine bisherigen Erfolge in der Region sichern und neue Verbündete finden. Ob ihm dies wirklich gelingt, bleibt fraglich.
Russlands Politik im Nahen Osten galt lange als großer Erfolg des Kremls auf der internationalen Bühne, da Moskau seinen Einfluss in der Region erheblich ausbauen konnte.
Geschickte Diplomatie des Kreml
Das entscheidende Ereignis, das Russlands Rückkehr in die Region markierte, war die russische Militäroperation in Syrien im Jahr 2015. "Danach hat sich Russland in Syrien etabliert. Es hat dort zwei Militärstützpunkte, was man nicht einfach so ignorieren kann", erklärt die russisch-israelische Nahost-Expertin und Journalistin Marianna Belenkaja, die seit knapp 20 Jahren aus der Region berichtet und die in Russland zur ausländischen Agentin erklärt wurde.
Seitdem ist Russland ein einflussreicher Akteur im Nahen Osten. Dem Kreml gelang es, geschickt zwischen zwei verfeindeten Lagern zu manövrieren: Israel auf der einen und den arabischen Staaten auf der anderen Seite. Moskau schaffte es, seine Positionen in der arabischen Welt zu festigen und gleichzeitig freundschaftliche Beziehungen zu Israel zu pflegen und sogar auszubauen. Doch jetzt, wo im Gazastreifen Krieg herrscht, ist die Stimme Russlands kaum hörbar. Während die USA versuchen, aktiven Einfluss auf den Konflikt zwischen Palästina und Israel zu nehmen, kommen aus dem russischen Außenministerium nur Allgemeinplätze.
Dennoch gelinge es Russland, seine, wenn auch wackelige, Position in der Region zu halten, glaubt der russische Nahost-Experte und Journalist Ruslan Sulejmanow: So habe Russland erreicht, dass sich die arabischen Länder den westlichen Sanktionen gegen Moskau nicht angeschlossen haben. "Selbst das NATO-Mitglied Türkei hat weder Sanktionen verhängt noch den Luftraum für Russland gesperrt ", betont Sulejmanow, der lange Jahre als Nahost-Korrespondent der russischen Nachrichtenagentur TASS arbeitete, bis er aus Protest gegen den Angriff auf die Ukraine von diesem Posten zurücktrat und Russland inzwischen verlassen hat.
Tatsache ist aber auch, dass sich die russisch-israelischen Beziehungen verschlechtert haben. Ein Grund dafür, so Belenkaja, sind Ressentiments gegen die ganze israelische Regierung, die an der Macht war, als Russland seinen Krieg gegen die Ukraine begann - und die das Vorgehen Russlands als Kriegsverbrechen bezeichnete. Gleichzeitig erinnert die Journalistin daran, dass Russland im Unterschied zu den USA nie über ernsthafte politische, wirtschaftliche oder militärische Druckmittel gegen Israel bei der Lösung des palästinensisch-israelischen Konflikts verfügte. Deshalb gebe es heute keine aktive Tätigkeit russischer Diplomaten in der Region.
Schulterschluss mit arabischen Staaten
Allerdings versucht der Kreml Belenkaja zufolge weiterhin sein Spiel fortzusetzen, indem er im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Interessen und Anliegen der arabischen Länder unterstützt. Unter anderem setze sich Russland gemeinsam mit diesen Staaten für eine internationale Friedenskonferenz zur Lösung des Nahostkonflikts ein. Russland ist zudem nach wie vor Mitglied des Nahost-Quartetts zu dessen Beilegung, zu dem auch die USA, die UNO und die EU gehören. Es sei jedoch schwer vorstellbar, dass sich westliche Diplomaten mit russischen an einen Verhandlungstisch setzen würden, betont Belenkaja.
Offiziell befürwortet Russland das Ende der aktiven Eskalationsphase des Nahostkonflikts. Der schwelende Konflikt im Nahen Osten sei jedoch für Russland günstig, weil er die Aufmerksamkeit vom Krieg in der Ukraine ablenke und militärische Ressourcen der EU binde, so Belenkaja. Ruslan Sulejmanow stimmt dieser Schlussfolgerung zu: Russland habe keinen wirklichen Einfluss auf den Konflikt, aber die Pattsituation komme dem Kreml zugute: "Die westlichen Länder konzentrieren sich nicht mehr so sehr auf den Krieg in der Ukraine, sie müssen an mehreren Fronten sein."
Russland in der Bittstellerrolle
Gleichzeitig bemerkt Belenkaja ein Ungleichgewicht in den Beziehungen Russlands zu den arabischen Ländern seit Beginn des Ukraine-Krieges: Russland sei jetzt stärker auf die arabischen Länder angewiesen als sie auf Russland. So flössen sogenannte graue Importe beispielsweise über die arabischen Länder, den Iran und die Türkei nach Russland. Dabei handelt es sich um Waren, die ohne Zustimmung des westlichen Markeninhabers oder des offiziellen Herstellers, der sich aus Russland zurückzog, in das Land eingeführt werden.
Besonders umfangreich ist die Zusammenarbeit mit dem Iran, der eines der Länder ist, die sich nicht von Russland abgewandt haben. Jetzt wird sogar ein umfassendes Abkommen über strategische Partnerschaft vorbereitet. Ähnliche Dokumente hat der Iran bereits mit China und Venezuela unterzeichnet.
Wechselt der Iran die Fronten?
Allerdings könnte der Iran Belenkaja zufolge die Fronten wechseln, wenn der Westen es ihm nur ausreichend schmackhaft macht: Die USA könnten dem Iran beispielsweise eine Rückkehr zum Atomabkommen anbieten und die Sanktionen aufheben. Bei diesem Szenario würden die Iraner Russland den Rücken kehren. Im Moment sei die Zusammenarbeit mit Russland für Teheran allerdings ein zusätzliches Druckmittel in den Beziehungen zum Westen, so die Journalistin.
Auch auf russischer Seite hat die Bereitschaft zu Kooperation mit dem Iran Grenzen. Obwohl Moskau Drohnen aus dem Iran erhält, die es an der Front in der Ukraine so dringend braucht, hat es gleichzeitig keine Eile, Su-30-Flugzeuge an die Iraner zu verkaufen. "Das liegt daran, dass Moskau nicht will, dass russische Waffen gegen Israel gerichtet werden. Diese Gefahr besteht, wenn der Iran russische Waffen erwirbt“, erklärt Sulejmanow. Der Experte betont jedoch, dass Russland auf die iranischen Shahed-136-Drohnen angewiesen ist, zu denen es keine Alternative gibt. Daher sei Moskau gezwungen, Teheran in einem gewissen Umfang nachzugeben.
Putin versteht islamische Welt zu wenig
Es schien, dass Moskau, indem es im UN-Sicherheitsrat oft pro-palästinensische Positionen unterstützt, große Sympathien in der arabischen Welt und in islamischen Staaten gewinnt. Deshalb traf der Terroranschlag in der Crocus City Hall bei Moskau, der vom afghanischen Ableger des Islamischen Staates verübt wurde und bei dem über 140 Menschen starben, die russische politische Elite wie aus dem Nichts. Diese Überraschung zeigt, dass der Kremlchef die Komplexität des globalen Südens möglicherweise nicht vollständig versteht. Die Annäherung an den Iran oder die enge Zusammenarbeit mit Assad bedeuten nicht zwangsläufig, dass Russland von allen islamischen Staaten als Freund betrachtet wird.
"Putin hat offensichtlichen Unsinn geredet, als er behauptete, Russland sei so gut mit der arabisch-islamischen Welt befreundet, dass keine Bedrohung von diesen Ländern ausgehe. Er versteht nicht, dass die arabisch-islamische Welt nicht einheitlich ist, sondern gespalten, und dass es viele Konflikte unter Muslimen gibt. Wenn Russland mit einigen Muslimen befreundet ist, müssen andere Muslime darüber nicht notgedrungen erfreut sein", so Sulejmanow.
Mit dem Beginn des Krieges in der Ukraine hat die russische Politik im Nahen Osten bedeutende Veränderungen erfahren. Unter dem Druck westlicher Sanktionen versucht Russland, die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Ländern wie den Vereinigten Arabischen Emiraten, der Türkei oder dem Iran auszubauen. Dabei gerät es jedoch in gewisse Abhängigkeit von seinen neuen-alten Partnern. Nach Ansicht von Sulejmanow ist eine klare östliche Wendung in der russischen Politik zu beobachten, der Kreml bezeichnet einige Länder in der Region sogar als seine Verbündete. Doch trotz dieser Bemühungen scheint Moskau an seine einstige Politik der Balance im Nahen Osten nicht mehr anknüpfen zu können.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 11. Juni 2024 | 08:12 Uhr