Interview Polen: Warum die Beziehung zu Deutschland so schwierig ist
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08. November 2021, 11:02 Uhr
Politisch herrscht zwischen Berlin und Warschau derzeit eine Eiszeit. Es gibt einfach zu viele Differenzen, vor allem bei den Themen Klimaschutz, Migration, europäische Integration und Russland. Politiker der regierenden PiS-Partei machen kein Hehl aus ihrer antideutschen Einstellung, erinnern ständig an den Zweiten Weltkrieg und schüren Ressentiments. Auf der zwischenmenschlichen Ebene ist das Verhältnis deutlich entspannter: Polen und Deutsche finden sich sympathischer als noch vor 30 Jahren, als der Nachbarschaftsvertrag zwischen den beiden Ländern unterzeichnet wurde. Über das schwierige Verhältnis haben wir mit der Vize-Direktorin des Deutschen Polen-Instituts, Agnieszka Łada-Konefał, gesprochen.
Es heißt, die deutsch-polnischen Beziehungen seien auf einem Tiefpunkt angekommen. Warum ist das so?
In der Tat sprechen viele von einer Eiszeit. Man muss aber differenzieren. Politisch sind die Beziehungen tatsächlich schlecht, es gibt keine gemeinsamen Initiativen und fast keine direkte Kommunikation. Das kommt daher, dass viele Politiker der Regierungspartei PiS, aber auch regierungsnahe Experten und Journalisten, in ihrer Rhetorik antideutsch eingestellt sind. Und je mehr antideutsche Äußerungen aus Warschau kommen, desto mehr sind die deutschen Partner verwirrt, sie verstehen das nicht. Auch wenn deutsche Initiativen von Warschau abgelehnt werden, sind die deutschen Partner verunsichert, ob die Zusammenarbeit überhaupt erwünscht ist. Das ist eine Spirale: Wenn die eine Seite nicht mitmachen will, dann ist die andere Seite auch demotiviert.
Wirtschaftlich allerdings entwickelt sich alles sehr gut. Das bestätigen alle Wirtschaftsleute, dass die deutschen Investoren in Polen sehr zufrieden sind und dass sich auch immer mehr polnische Investoren auf dem deutschen Markt erfolgreich entwickeln. Und auch in der Handelsbilanz sehen wir, dass Polen immer wichtiger für Deutschland wird.
Unsere Gesprächspartnerin Dr. Agnieszka Łada-Konefał ist Politikwissenschaftlerin und stellvertretende Direktorin am Deutschen Polen-Institut in Darmstadt. Sie spezialisiert sich auf die deutsch-polnischen Beziehungen, die polnische Außen- und Europapolitik und die Wahrnehmung Polens im Ausland.
Die PiS spielt in ihrer Deutschland-Politik immer die Geschichtskarte. Warum ist das so und ist das 76 Jahre nach Kriegsende noch berechtigt?
Die Polen haben immer noch das Gefühl, dass die Opfer, die sie im Krieg getragen haben, nicht wahrgenommen werden – generell im Ausland, nicht nur in Deutschland. Aber wenn es um die Deutschen geht, das damalige Volk der Täter, dann ist dieses Gefühl noch stärker ausgeprägt und viele Polen verstehen verschiedene Zeichen, die aus Deutschland kommen, als Beweise dafür, dass man ihre Opfer nicht ernst nimmt. Und natürlich ist es sehr einfach, mit dieser Karte zu spielen – innenpolitisch. Die polnische Regierung macht das immer dann, wenn es innenpolitisch gerade Probleme gibt, das ist ein Ablenkungsmanöver. Dabei wird aber nicht nur auf den Krieg verwiesen, sondern auch auf angebliche Probleme im heutigen Deutschland – zum Beispiel mit Flüchtlingen oder der Corona-Pandemie. Dahinter steckt die Strategie zu zeigen: Es gibt im Ausland viel größere Probleme als bei uns. So kann man die innenpolitischen Probleme ein bisschen verdecken, sie stehen dann nicht im Mittelpunkt der Berichterstattung.
Hat das Einfluss auf die polnische Bevölkerung?
Das hat sehr wohl Einfluss. Man merkt, dass sich antideutsche Ressentiments unter der PiS-Regierung verstärkt haben. Ich bereite seit Jahren das Deutsch-Polnische Barometer vor. Das ist eine repräsentative Umfrage, in der wir fragen, wie sich die beiden Nationen wahrnehmen und welche Assoziation sie mit dem Nachbarland verbinden. Und die polnischen Assoziationen mit Deutschland sind sehr historisch geprägt. Jede dritte Assoziation hat etwas mit der Geschichte, vor allem mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun. Das ist eine enorm große Zahl und sie ist gerade in den letzten Jahren gestiegen.
Beziehungen zwischen zwei Ländern – das ist aber nicht nur die "große" Politik, das sind auch zwischenmenschliche Beziehungen. Und auch Vorstellungen, die man von der anderen Nation hat. Wie sieht es hier aus?
Hier haben wir in den letzten 30 Jahren wirklich sehr viel erreicht. Im Polen-Barometer stellen wir u.a. die Frage: Würden Sie einen Deutschen als Chef, Nachbarn oder Schwiegersohn akzeptieren? Wenn man sie vor 20 Jahren in Polen stellte, als wir damit begonnen haben, da hat die Mehrheit nicht sofort Ja gesagt. Ein Deutscher als Chef oder Nachbar wurde damals noch als Bedrohung wahrgenommen. Heute sagen mehr als 80 Prozent der Polen: Ja, ich hätte nichts dagegen.
Auch die Deutschen haben heute ein besseres Bild von Polen als noch vor 30 Jahren. Sie sehen es als ein touristisch attraktives Land, in dem sie gerne ihren Urlaub verbringen. Es ist nicht mehr das Land der billigen Zigaretten oder Autodiebe, sondern ein modernes Land mit sehr schönen Landschaften, wo man sehr attraktiv Freizeit verbringen kann.
Umgekehrt sind die Polen heute nicht mehr so "verliebt" in Deutschland wie vor Jahren. Deutschland stand für den westlichen Lebensstandard, dieser Lebensstandard ist aber inzwischen auch in Polen ein Stück weit Realität geworden. Heute kann man auch in Polen auf modernen Autobahnen Auto fahren, um nur ein Beispiel zu nennen.
In der polnischen Presse kann man aber auch die Ansicht finden, dass die deutsch-polnischen Beziehungen selbst 30 Jahre nach dem Nachbarschaftsvertrag "postkolonial" seien. Wie sehen Sie das?
Es ist etwas dran, aber ich würde das nicht "postkolonial" nennen. Es gibt natürlich Deutsche, die "von oben herab" auf Polen schauen – aber nicht mehr so viele wie vor 30 Jahren. Da standen die Deutschen in der Rolle: Wir zeigen den Polen, wie man es macht. Jetzt braucht man das in Polen nicht mehr. Manche Deutschen haben das vielleicht aber noch nicht mitbekommen. Das gilt aber auch umgekehrt: Man hat sich auch in Polen daran gewöhnt, dass man Deutschland bewundert und dass man von den Deutschen in der Tat einiges lernen konnte. Manche Polen haben aber schnell das Gefühl: Die Deutschen wollen uns wieder belehren. Deshalb müssen die Deutschen in der Kommunikation mit Polen aufpassen, weil sie teilweise sehr belehrend rüberkommen. Aber auch Polen müssen auf ihre Kommunikation achten: Manche haben sich an dieses Schüler-Lehrer-Verhältnis gewöhnt und sind nicht in der Lage, mit Deutschen selbstbewusst und auf Augenhöhe zu reden. Also beide Seiten haben hier noch eine Lektion zu lernen.
Wenn wir zum Schluss noch auf die "große Politik" blicken: Wie wird sich das Verhältnis nach dem Abgang von Angela Merkel aus Ihrer Sicht entwickeln?
Angela Merkel kannte Ost-Mitteleuropa, sie hatte sehr ähnliche Erfahrungen im Sozialismus gemacht. Deshalb konnte sie die polnische, tschechische und ungarische Mentalität verstehen. Sie zeigte diesen Ländern gegenüber Verständnis und interessierte sich dafür, wie man dort denkt. Sie hat auch immer aufgepasst, dass sich diese Länder nicht als EU-Mitglieder zweiter Klasse fühlen. Merkel ist nun weg, das allein wird schon eine Veränderung bedeuten.
Dazu kommt, dass die ganze Generation von Politikern, die dieses historische Verständnis oder das Gefühl hat, Polen gegenüber verpflichtet zu sein, langsam weg ist. Die jüngeren deutschen Politiker denken viel pragmatischer: Wenn Polen mit uns zusammenarbeiten will, dann arbeiten wir gut zusammen – wenn nicht, dann haben wir andere mögliche Partner. Die Deutschen werden sich in so einem Fall keine besondere Mühe mehr geben. Die Beziehungen werden korrekt sein, aber nicht besonders tief.
Das wäre natürlich ein trauriges Szenario für die deutsch-polnischen Beziehungen, weil sie ein großes Potenzial haben. Es gibt ja genug Bereiche, wo man sehr gut zusammenarbeiten könnte: bei der Infrastruktur in Europa, bei Energieprojekten, beim Klimaschutz. Aber gerade das sind Gebiete, auf denen es recht viele Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Ländern gibt. Wenn sich die neue Bundesregierung stark für Klimaschutz einsetzt, sind das aus Sicht der jetzigen polnischen Regierung wirklich radikale Vorschläge. Auch die Antworten auf die Herausforderungen sind unterschiedlich: Wenn Polen aus der Kohleverstromung aussteigen soll, muss man Ersatz finden. In Polen plant man deshalb, eigene Atomkraftwerke zu bauen, während man in Deutschland die Atomkraftwerke gerade ausschaltet. Grundsätzlich ist der Bedarf für Zusammenarbeit da, es müssen aber beide Seiten wollen. Die große Frage ist, ob sie zueinanderfinden.
Das Interview führte MDR-Redakteur Cezary Bazydło.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 06. November 2021 | 06:30 Uhr