Interview LGBT in Polen: "regierungsfinanzierte Homophobie"

17. August 2020, 05:00 Uhr

Polen machte in den vergangenen Monaten immer wieder Schlagzeilen, weil sogenannte LGBT-freie Zonen eingerichtet werden. Dutzende Regionalparlamente und Kreistage unter PiS-Führung hatten Resolutionen gegen "Homo-Propaganda" beschlossen und Orte für LGBT-frei erklärt. Bartek Staszewski wurde international bekannt, weil er Schwule, Lesben oder Transsexuelle vor Ortsschildern der "LGBT-freien Zonen" fotografiert. Der Aktivist über Polizeigewalt und die angespannte Situation in seinem Land.

Aktivist Bartek Staszewski mit einem Schild mit der Aufschrift "LGBT-freie Zone"
Der Aktivist Bartosz Staszewski wirbt für seine Fotoaktion "LGBT-freie Zone". Bildrechte: Bartek Staszewski

Die transsexuelle Margot sitzt seit über 1,5 Wochen in Untersuchungshaft. Die LGBT-Aktivistin hängte eine Regenbogenfahne an verschiedene Denkmäler in Warschau, darunter Nikolaus Kopernikus und eine Christusfigur. Die Nachricht von der Inhaftierung hatte Proteste in Warschau ausgelöst, die Polizei ging gewaltsam gegen die Demonstranten vor und nahm 48 LGBT-Aktivisten vorübergehend fest. Herr Staszewski, wie haben Sie die Proteste wahrgenommen?

Ich war bei den Protesten dabei und habe selbst Polizeigewalt erlebt. Die Polizei packte mich am Nacken und ich hatte das Gefühl, dass meine Augen rausfallen. Es war sehr brutal und mit eigenen Augen hatte ich solche Brutalität bis dahin noch nie gesehen. Das passierte alles während unseres friedlichen Protestes! Es gab keine Form der Mediation, wie sonst auf friedlichen Protesten üblich. Die Polizei kam und verprügelte uns. Wir wurden herumgeschuppst wie Puppen. Ich bin überzeugt, dass vielen Menschen jetzt die Hände, Beine, Nacken schmerzen. Ganz zu schweigen von den Leuten, die die Nacht in Untersuchungshaft verbringen mussten. So etwas gab es bislang noch nicht in Polen.

Polizei schützt ein Auto.
Polizei schützt ein Auto. Bildrechte: imago images/Eastnews

Die meisten Aktivisten und Aktivistinnen, die festgenommen wurden, wurden bereits wieder entlassen. Małgorzata Szutowicz alias Margot sitzt jedoch immer noch in Untersuchungshaft. Nun gab es in Warschau bereits viele Solidaritätsbekundungen. Die Freilassung von Margot wird gefordert. Sie wird auf den Demonstrationen teils schon heroisiert. Wer ist Margot?

Margot ist für uns ein Symbol für Widerstand für das, was gerade in Polen passiert. Seit die Regierung LGBT-Menschen nicht mehr schützt, braucht es Leute wie Margot, die ohne Kompromisse, die LGBT-Community repräsentieren.   

Aktivistin Malgorzata Szutowicz alias Margot, vor ihrer Verhaftung in Warschau
Margot gehört zur Aktivistengruppe "Stop Bzdurom" ("Stoppt den Unsinn"). Sie wird verdächtigt, mehrere Warschauer Denkmäler mit LGBT-Flaggen behängt zu haben. Außerdem wird sie beschuldigt, im Juni ein Auto mit homophoben Slogans beschädigt zu haben.  Bildrechte: Verfügbar für Kunden mit Rechnungsadresse in Deutschland und Österreich. | Czarek Sokolowski

Andrzej Duda wurde am 12. Juli knapp mit 51,2 Prozent der Stimmen erneut zum polnischen Präsidenten gewählt. Der Sieg Dudas dürfte die Vormachtstellung der regierenden PiS mindestens bis zur Parlamentswahl 2023 festigen. Wie hat sich die Stimmung in Polen für die LGBT-Community seit der Wahl verändert?

Was sich seit der Wiederwahl Dudas verändert hat? Wir haben eine systematische von der Regierung finanzierte Homophobie und Transphobie im Land. Das ist eine Regierung, die sich Menschen aus der LGBT-Community als schwarzes Schaf gesucht hat.

2019 haben wir erstmal massive Propaganda und Hass gegenüber LGBT-Menschen ausgehend von der Regierung erlebt (Anm. d. Red. 2019 fanden Parlementswahlen in Polen statt) – alles mit Hilfe des staatlichen Fernsehens. Seit Fall des Kommunismus in Polen war die LGBT-Community noch nie solchen Angriffen und Hass insbesondere von Seiten der Politiker ausgesetzt. Wir haben es hier mit etwas so Heftigem zu tun, das wir bislang so nicht kannten. Am Ende bleibt uns nur der Gang zur EU.

Fühlen sie sich noch sicher in Polen?

Nein, ich persönlich fühle mich in Polen nicht sicher. In vergangener Zeit wurde ich oft Hassobjekt für Leute gerade aus der rechten Szene, die behaupten, dass meine Aktion eine Fake-News-Aktion sei. Ich wurde Opfer eine Aktion, die mich mit Provokationen in Verbindung bringt. Leute drohen mir, mich zu töten. Alles, was mir bleibt, ist es der Polizei zu melden.

Der Aktivist Bartosz  Staszewski auf einer Demo im polnischen Lublin am 15.06.2020
Der Aktivist Bartosz Staszewski auf einer Demo im polnischen Lublin im Juni 2020. Er hat Angst, macht aber weiter. Bildrechte: imago images/Eastnews

Hängen Sie den Aktivismus deswegen nun an den Nagel?

Die Stimmung, die gegen Aktivisten und Aktivistinnen gemacht wird, ist schrecklich. Es wird immer schlimmer. Aber natürlich werden wir weiterkämpfen. Wir lassen uns nicht einschüchtern – ähnlich wie die Solidarność in den 80er Jahren, die friedlich den Kommunismus zu Fall gebracht hat, so wird auch unsere Regenbogen-"Solidarität" (Anm. d. Red. im Orginial "Solidarność") die homophobe und transphobe Regierung stürzen.

*LGBT Die Abkürzung LGBT (oder LGBTQ oder LGTBQ+) steht für lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle, transgender, queere, intersexuelle und asexuelle Menschen. Sie stammt aus dem Englischen (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender and Queer). Die Kürzel sollen alle Arten von Sexualität zusammenfassen, die von der so genannten Heteronormativität abweichen.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 15. August 2020 | 07:20 Uhr

Ein Angebot von

Mehr aus Land und Leute

Mehr aus Osteuropa