Ukraine Donbass: Vom überschaubaren Protest zum blutigen Dauerkrieg
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28. Juli 2020, 11:40 Uhr
Ein neuer Waffenstillstand in der Ostukraine scheint zu halten, obwohl sich beide Seiten vorwerfen, ihn bereits gebrochen zu haben. Seit 2014 Separatisten im Osten der Ukraine in den Großstädten Donezk und Luhansk sogenannte "Volksrepubliken" ausgerufen haben, wird im Donbass gekämpft. Bislang starben mehr als 13.000 Menschen.
Am Anfang standen das besetzte Gebäude der Gebietsverwaltung in Donezk und zwei bis dreitausend Demonstranten davor. Mehr nicht. Und das in einer Stadt mit etwa einer Million Einwohner. Eine selbst ernannte "Volkswehr" hatte die "Volksrepublik Donezk" ausgerufen - und Russlands Präsidenten Wladimir Putin um Hilfe gebeten. In Kiew sei nach der Revolution auf dem Maidan-Platz eine "Junta" an der Macht, so argumentierte die selbst ernannte "Volkswehr". Und diese Junta trachte ihnen, den russisch sprechenden Menschen im Osten der Ukraine, nach dem Leben.
Mäßige Begeisterung für Aufstand in den "Volksrepubliken"
Tatsächlich standen viele Menschen in Donezk und der umliegenden Donbass-Region der neuen Regierung in Kiew kritisch gegenüber. Doch die Unterstützung für die "Volkswehren" und "Volksrepubliken" hielt sich anfangs in Grenzen. Die Szenen im Zentrum von Donezk wirkten im Frühjahr 2014 wie ein absurdes Theaterstück, eine lustlose Kopie der Demonstrationen von Kiew im Winter zuvor.
Jemand hatte Autoreifen als Barrikaden vor dem besetzten Verwaltungsgebäude aufgestapelt. Es gab Redner und ein improvisiertes Musikprogramm, ein Zelt stand irgendwo in den Grünanlagen, mit einer improvisierten Rotkreuzflagge notdürftig als Lazarett ausgewiesen. Drumherum ging das Stadtleben in der ostukrainischen Stahlmetropole seinen gewohnten Gang. Kaum etwas deutete in diesen ersten Tagen im April 2014 auf das hin, was folgen sollte: ein jahrelanger zermürbender Krieg.
Fatale Kettenreaktion mit blutigem Höhepunkt
Doch dann besetzten die Volkswehren beinahe täglich immer neue Verwaltungsgebäude im Donbass, dem Erz- und Kohlerevier an der Grenze zu Südrussland. In Luhansk nahmen sie die Geheimdienstzentrale ein, in Horliwka die Polizeistation und schließlich in Slowjansk auch die Polizeistation und die Stadtverwaltung. So wurde die Stadt kurzzeitig zur Hochburg der prorussischen Kämpfer im Donbass.
Ebenso schnell wie die Volkswehren machte sich nun die Angst breit in der übrigen Ukraine. Angst, dass Russland die Situation zu einem Einmarsch und einer Annexion nutzen könnten. So, wie es wenige Wochen zuvor auf der Halbinsel Krim geschehen war.
Die neue Regierung in Kiew schickte Truppen, und es begannen verlustreiche Kämpfe, die zu einem ersten blutigen Höhepunkt im Mai 2014 führten: der Schlacht um den Flughafen von Donezk. Schon damals gab es Hinweise russischer Verwicklungen in die Kämpfe. Ein internationales Journalistenteam konnte den Rücktransport gefallener russischer Kämpfer aus dem Donbass nach Russland dokumentieren. Moskau bestreitet allerdings bis heute, dass es die Separatisten mit seinen Soldaten und schweren Waffen unterstützt habe.
Zerstrittene Volksrepubliken am Tropf Moskaus
Ohne die Unterstützung aus Russland hätten die selbsternannten Volksrepubliken bis heute kaum überlebt – militärisch nicht und wirtschaftlich erst recht nicht. Nur mit Geldern aus Russland konnten Donezk und Luhansk Renten und Gehälter auszahlen. Und es war Moskau, das den Separatisten half, eine schlagkräftige Armee aufzustellen. Offiziell heißt sie "Volksmiliz" und umfasst verschiedenen Schätzungen zufolge rund 20.000 Kämpfer in Donezk sowie 15.000 Mann in Luhansk.
Die Kämpfer stammen zumeist aus der lokalen Bevölkerung. Die Mehrzahl der Offiziere dagegen kommt aus Russland. Offiziell haben sie in der russischen Armee gekündigt, sind "im Urlaub" oder "freiwillig" zum Kämpfen in der Ostukraine. Ihre Expertise hilft den Separatisten, den militärischen Status Quo aufrecht zu erhalten. Die Frontlinie des Krieges hat sich innerhalb der letzten zwei Jahre nur minimal verändert.
In "außenpolitischen" Fragen geben sich die beiden Volksrepubliken einmütig, im Inneren trennt sie jedoch vieles. Zwischen den beiden "Volksrepubliken" gibt es eine Grenze und strenge Zollkontrollen. Alle bisherigen Versuche, die beiden als "Neurussland" oder "Kleinrussland" zu vereinen, sind gescheitert.
Ungewisse Zukunft
Die Diskussion um einen möglichen Einsatz von UN-Friedensstiftern im Donbass ist mittlerweile wieder abgeklungen. So bleibt das Minsker Abkommen vom Februar 2015 vorerst die einzige Grundlage für eine Beilegung des Konflikts. Das Abkommen, zustande gekommen unter Vermittlung des damaligen französischen Präsidenten François Hollande und Bundeskanzlerin Angela Merkel, konnte Schlimmeres verhindern und einen flächendeckenden Krieg in der Region stoppen. Frieden für die Menschen in der Ostukraine brachte das Abkommen jedoch nicht.
Auch der neue ukrainische Präsident Selenskyj, seit 2019 im Amt, hat bislang keinen entscheidenden Impulse für eine Ende des Krieges in der Ostukraine setzen können. Der Konflikt dauert inzwischen mehr als sechs Jahre an – und er hat mehr als 13.000 Menschen das Leben gekostet. 30.000 Menschen wurden verwundet.
Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im: TV | 01.11.2018 | 19:30 Uhr
Dieses Thema im Programm: MDR Aktuell Radio | 27. Juli 2020 | 12:30 Uhr