Apotheke in Warschau
Volle Regale, aber wichtige Medikamente fehlen trotzdem. Bildrechte: MDR/Magdalena Gwóźdź-Pallokat

Gesundheitssystem Polen: Wie die Mafia für Medikamentenmangel sorgt

13. Februar 2020, 10:04 Uhr

In Polen sind die Regale der Apotheken auf den ersten Blick zwar gut gefüllt. Trotzdem gehen Patienten oft leer aus, wenn sie bestimmte Medikamente kaufen wollen. Dann war die Medikamentenmafia wieder schneller.

Anna Czubak arbeitet in einer Warschauer Apotheke. Öfter muss sie dabei Patienten vor den Kopf stoßen. Der Satz "haben wir leider nicht und können wir auch nicht bestellen" ist ihr inzwischen zur unangenehmen Routine geworden. "In erster Linie versuchen wir, dem Patienten zu helfen. Zuallererst suchen wir nach einem Ersatzmittel, aber leider ist es meistens so, dass der Medikamentenmangel Arzneien betrifft, deren Patentschutz noch nicht abgelaufen ist. Und das bedeutet, dass sich kein Ersatzprodukt finden lässt", erklärt sie. Manchmal hilft die App "KtoMaLek" (auf deutsch: "Wer hat ein Medikament"). Sie zeigt an, welche Apotheken das gesuchte Medikament noch im Angebot haben. Doch was tun, wenn das Ergebnis negativ ist? Anna Czubak vermutet, dass die betroffenen Patienten zu ihrem Arzt zurückkehren und sich andere Medikamente verschreiben lassen.

Die Pharmazeutin Anna Czubak in einer Apotheke in Warschau.
Die Pharmazeutin Anna Czubak wird sogar auf der Straße angesprochen, ob sie nicht "etwas tun könne". Bildrechte: MDR/Magdalena Gwóźdź-Pallokat

Patienten sprechen Apotheker privat an

Viele der Patienten, die in die Apotheke kommen, sprechen Anna Czubak auch außerhalb ihrer Dienstzeit an, etwa auf dem Nachhauseweg. Sie hoffen herauszufinden, wann das nötige Medikament verfügbar sein wird. "Sie sprechen mich mit meinem Vornamen an, glauben, dass es an mir liegt, dass ich Einfluss darauf habe, wann sie ihr Medikament bekommen". Und gewissermaßen stimmt das sogar: "Manchmal bekommen wir zwei Packungen von einem Präparat und einigen uns mit den Patienten, wer es am nötigsten braucht. Diejenigen, die zu Hause noch Vorräte haben, erklären sich manchmal bereit, zu warten", erzählt die Pharmazeutin.

Welche Medikamente fehlen und warum?

In ganz Polen müssen Apotheker einräumen, dass sie bestimmte Medikamente nicht bestellen können. Dabei geht es oft um lebenswichtige Arzneien, darunter Medikamente für Asthmapatienten, Herzkranke oder Diabetiker. Auch Schilddrüsenhormone fehlen, die sehr viele Patienten täglich einnehmen müssen. Das Gesundheitsministerium hat auf seiner Seite eine Liste mit über 400 Medikamenten und medizinischen Produkten (Stand: Dezember 2019) veröffentlicht, bei denen die Gefahr besteht, dass sie ausgehen.

Die Gründe dafür sind ganz unterschiedlich: Die Wirkstoffe für viele Medikamente kommen aus China, ihre Qualität ist sehr unterschiedlich. Außerdem bestimmen einige Pharmaunternehmen, wieviele Medikamente eine Apotheke im Monat bekommt. Große Apothekenketten haben da natürlich einen Vorteil. Das größte Problem beim Medikamentenengpass scheint aber darin zu bestehen, dass Arzneien gar nicht erst in polnischen Läden landen, sondern von organisierten Strukturen illegal in den Westen verkauft werden. Vor allem nach Deutschland, Schweden und Großbritannien.

Wie kommen die Medikamente aus Polen in den Westen?

Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass sich an den mafia-artigen Machenschaften Ärzte, Apotheker und Großhändler beteiligen. "Umgekehrte Lieferkette" wird das Prozedere genannt und funktioniert wie folgt: Die Apotheke verkauft die Medikamente nicht an die Patienten, sondern an Großhändler, die die Arzneien in den Westen schaffen.

"Die Beteiligten kommen so an großes Geld", sagt Tomasz Jędrzejewski, ein Warschauer Apothekenbesitzer. 2018 wurden 20 Menschen festgenommen, einige von ihnen verdienten mit dem Schmuggel bis zu 600.000 Zloty monatlich (umgerechnet ca. 150.000 Euro). "Einige von diesen Medikamenten werden gegen gefälschte Rezepte erworben oder als angebliche Grundausstattung für medizinische Einrichtungen gekauft. Diese Einrichtungen gibt es in Wahrheit gar nicht oder sie wurden extra für diesen Zweck gegründet. Die Medikamente, die oft aus dem Westen kommen, werden also dorthin zurückgebracht. Manchmal werden sie nicht mal ausgepackt und kehren sofort zurück", erklärt Jędrzejewski.

Tomek Jędrzejewski in seiner Apotheke in Warschau.
Tomek Jędrzejewski in seiner Apotheke in Warschau. Er kennt das Problem, dass Medikamente nicht in seiner Apotheke, sondern im Ausland landen. Bildrechte: MDR/Magdalena Gwóźdź-Pallokat

Warum sind Medikamente in Polen so billig?

Dabei geht es um Medikamente, die auf dem polnischen Markt viel günstiger sind als zum Beispiel in Deutschland. Zum einen ist dies die Folge von Verhandlungen mit Herstellern, zum anderen gibt es für gewisse Medikamente (gelistet im "Verzeichnis für erstattungsfähige Arzneimittel") eine Preisbremse. In Deutschland dagegen haben die Pharmahersteller mehr Möglichkeiten, höhere Preise zu verlangen.

Während Patienten in Polen für Medikamente, die erstattungsfähig sind, 30 bis 50 Prozent zuzahlen, müssen sie Arzneien, die nicht gelistet sind, zu 100 Prozent selbst bezahlen. Der polnische Staat verhandelt regelmäßig mit den Herstellern über die Preise. Polen hat sich zum Ziel gesetzt, die Preise möglichst niedrig zu halten. Das heißt: Die Medikamentenpreise sind im EU-Vergleich im Land sehr gering. Genau das führt am Ende jedoch dazu, dass durch die Geschäfte der Medikamentenmafia viele Arzneien eben nicht erhältlich sind.

Wie kann man den illegalen Export stoppen?

Das polnische Gesundheitsministerium kennt das Problem. Doch ergreift es auch Maßnahmen, um zu verhindern, dass künftig Patienten trotz eines Rezeptes Apotheken nicht mehr mit leeren Händen verlassen müssen? Ja, meint Wojciech Andrusiewicz, Pressesprecher des polnischen Gesundheitsministeriums, und erklärt: "Wir haben neue Regelungen eingeführt, damit der illegale Export von Medikamenten nicht so einfach ist. Es ist jetzt beispeilsweise verboten, eine Apotheke, einen Großhandel und eine medizinische Einrichtung unter dem Dach eines Unternehmens zu betreiben. Das wird jetzt strenger kontrolliert"

Ein Beispiel: Wenn ein Arzt für seine Praxis beispielsweise 1.000 Packungen von einem Medikament bestellt und seine Unterschrift auf so einer Bestellung steht, muss er damit rechnen, dass er sich strafbar macht, wenn diese Medikamente für andere Zwecke als die angegebenen, also Gebrauch in der medizinischen Einrichtung, verwendet werden. Jede falsche Angabe (die auch ein Fehler sein könnte) kann einer Strafe unterliegen.

Fortschritte sieht auch Apothekenbesitzer Jędrzejewski. "Es ist heute besser als noch vor fünf Jahren. Man hat gewisse Kontrollmechanismen eingeführt, aber den Schmuggel völlig zu bekämpfen, wird schwierig sein", sagt er. Jędrzejewski erwartet, dass künftig die Preise der Medikamente steigen und schrittweise an die in Westeuropa angeglichen werden. Dies wäre das einzig wirksame Mittel gegen die Medikamentenmafia. Jedoch zum Nachteil der Patienten.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN "Hauptsache Gesund" | 06. Februar 2020 | 21:00 Uhr

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