Menschen stehen neben einem VW Golf dahinter ist der Kühlturm eine Braunkohlekraftwerkes zu sehen 1 min
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Braunkohle Schmutzige Energie: Wie Abgase im Kosovo die Menschen vergiften

15. Januar 2025, 05:00 Uhr

In Sachen Luftverschmutzung spielt Kosovos Hauptstadt Pristina manchmal in einer Liga mit den am stärksten belasteten Hauptstädten der Welt Peking und Neu Delhi. Zumindest im Winter bei ungünstiger Wetterlage. Doch so gesundheitsschädlich die schlechte Luft ist, so abhängig ist Kosovo von seinen veralteten Braunkohlekraftwerken. In deren direkter Nähe fehlt buchstäblich die Luft zum Atmen.

Vjosa Çerkini
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Gerade mal zehn Kilometer von Pristina, der Hauptstadt Kosovos, entfernt, liegt die kleine Stadt Obiliq. Nach Meinung vieler schlägt aber hier, und nicht in der Hauptstadt, das wahre Herz des Landes, wird doch von dort das Lebenselixier ganz Kosovos ins Land gepumpt: elektrischer Strom. Ein Ortsteil von Obiliq ist die Roma-Siedlung Plementina. Der 60-jährige Avni Ibrahimi, Hausmeister in einer Schule, besitzt dort ein Haus für seine Familie. Dazu gehören, dem kosovarischen Standard entsprechend, seine Frau, seine erwachsenen fünf Kinder und deren Kinder, die alle unter einem Dach leben. Ibrahimis jüngster Enkel ist gerade vier geworden. Der Garten ist umgeben von einer Mauer, ideal zum Fußball spielen für die Enkelkinder.

Eigenheimbesitzer Avni Ibrahimi auf der Straße in Plementina (Kosovo)
Eigenheimbesitzer Avni Ibrahimi auf der Straße in Plementina Bildrechte: Vjosa Çerkini/MDR

Leben im Schatten der Braunkohlekraftwerke

Für kosovarische Verhältnisse hat es die Familie nicht schlecht – ein guter lokaler Standard, könnte man meinen. Doch wenn man nach Süden schaut, merkt man, dass gar nichts gut ist. Jeden Tag sieht Ibrahimi die Abgasschwaden der nahen Braunkohlekraftwerke in seine Richtung ziehen, und jeden Tag muss seine Frau Safete den braunen Dreck der Abgase von den Treppen und dem Podest vor ihrer Haustüre wischen. Die Kraftwerke sind die wichtigste Energiequelle Kosovos – sie decken über 90 Prozent des Strombedarfs des Landes.

"In Plemetina ist die Luftverschmutzung ein Problem. Wir leben direkt neben den Kraftwerken, in der Zugrichtung der Abgase, und müssen mit der schlechten Luftqualität an 365 Tagen des Jahres leben", sagt Ibrahimi. "Die Luftverschmutzung ist mittlerweile schon Alltag für uns, oft bemerken wir sie nicht einmal mehr", ergänzt er. Die Fahrt nach Plementina macht deutlich: Dort wohnen nur die Ärmsten der Armen. Wer es sich leisten kann, zieht weg aus der Zugrichtung der Abgaswolke. Je näher man dem Haus von Avni kommt, desto schlechter wird die Straße. Schließlich hat sie gar keine Asphaltdecke mehr, ist übersät mit Löchern und im Unkraut am Straßenrand haben sich Unmengen Müll verfangen. Fragt man die Kosovaren nach Obiliq, fallen ihnen sofort die Kraftwerksanlagen Kosova A und B ein, aber keiner denkt an eine günstige Wohnmöglichkeit.

Straßenszene Plementina (Kosovo), einem Dorf im Schatten eines Braunkohlekraftwerks
Die Romasiedlung Plementina bei Obliq liegt im Schatten zweier Braunkohlekraftwerke. Bildrechte: Vjosa Çerkini/MDR

Das Schwarze Loch der Stromproduktion

Das Kraftwerk A stammt aus den 1960er Jahren, die Anlage Kosovo B wurde Mitte der 1980er Jahre gebaut. Gleich neben den Kraftwerken befindet sich die fünftgrößte Braunkohlelagerstätte der Welt, die im Tagebauverfahren einfach abzubaggern ist. Die alte Anlage A führte jahrelang als trauriger Spitzenreiter die WHO-Liste der schädlichsten Kraftwerke der Welt an, aber auch die jüngere Anlage B ist nur unwesentlich besser, weil auch sie ohne Filter gebaut wurde. Obiliq ist ein "schwarzes Loch". Als Mitte der 2010er Jahre der alten Anlage A Elektrofilter für 25 Millionen Euro spendiert wurden, waren die Auswirkungen nur kosmetisch, weil die dreimal so große Anlage B keine Filter bekam. Dabei könnten Filter den Feinstaub um das 35-fache reduzieren.

Der Umweltaktivist und Ökologe Adhurim Hoxha aus Pristina wirft dem Staat vor, nicht genug zu tun, um die Luft sauber zu halten. "Die Filter der Kohlekraftwerke werden nicht gewartet, deshalb ist die Luft so schlecht in Pristina, Obiliq und Plementinae." 2020 kündigte der Chefdiplomat der EU, Joseph Borell, bei seinem Antrittsbesuch 76 Millionen Euro für den Filtereinbau in die Anlage B an. Doch dann kam die Corona-Pandemie, das Projekt wurde verschoben. Ob das angespannte Verhältnis zwischen Pristina und der EU schuld daran ist, dass das Projekt bis heute nicht mehr angegangen wurde, kann man nicht mit Sicherheit sagen. Pristina warf der EU vor, im Konflikt zwischen Kosovo und Serbien parteiisch für Serbien zu sein. Jedenfalls rieselt der braune Staub immer noch auf Plementina.

Eine Person läuft im Vordergrund eines Braunkohlekraftwerks.
Die Braunkohlekraftwerke von Obliq verpesten die Luft. Eine Abschaltung kommt aber nicht in Frage – sie decken 90 Prozent des Strombedarfs von Kosovo. Bildrechte: IMAGO / ZUMA Press

Fahrverbot als Notmaßnahme in Pristina

Pristina, die Hauptstadt Kosovos, führt im Winter, wenn das Wetter ungünstig ist, regelmäßig die von Überwachungsagenturen wie IQAir erstellte Liste der schmutzigsten Hauptstädte der Welt an – noch vor Peking oder Neu-Delhi. Nach massiven Protesten von Umweltaktivisten verhängte die Stadt 2018 kurzerhand für eine knappe Woche ein generelles Fahrverbot. Die Kraftwerke abzuschalten ging nicht, also versuchte man wenigstens die Abgase des Autoverkehrs zu eliminieren. Und die sind "gehaltvoll", weil museumsreife Autos mit Dieselmotoren, wie der VW Golf I oder das erste Modell des VW Passat, beide noch aus den 1970er Jahren stammend, das Straßenbild in Kosovo prägen.

Bei der jährlichen technischen Hauptuntersuchung für Autos ist eine Abgasprüfung nicht vorgesehen. So darf weiterhin beim Anlassen erst mal eine Rußwolke am Auspuff entstehen, bevor die Autos losrollen. Pristina hat sich anscheinend mit der schlechten Luftqualität abgefunden, stellte aber immerhin Infotafeln auf, die die Bürger auffordert, eine Atemschutzmaske zu tragen, um sich zu schützen. Die ohnehin hohe Luftverschmutzung steigt von Herbst bis Frühjahr nochmal dramatischen an, wenn in den Häusern die Öfen angemacht werden. Geheizt wird vor allem mit Holz. Aus Geldmangel beschaffen die meisten das Brennmaterial erst dann, wenn es kalt wird. Das Holz ist dann frisch geschlagen und feucht, erzeugt also viel Rauch.

Bewohner der Siedlung Plementina (Kosovo)
Die meisten Bewohner von Plementina heizen mit Öfen. Im Winter ist die Luft deshalb noch beißender als sonst. Bildrechte: Vjosa Çerkini/MDR

In Plemetina kennt Avni Ibrahimi die Zusammenhänge, und doch ist er ähnlich wie seine Nachbarn Gefangener dieses Systems. Sie haben keine Zentralheizung, nur einen Kohleherd in der Wohnküche, den sie mit Braunkohle beheizen. "Die Luft wird dadurch noch schlechter und stinkt beißend nach Rauch, und obendrein war die Kohle dieses Jahr auch noch nass", erzählt Ibrahimi. Er wird nachdenklich und sagt: "Kein Wunder, dass unser Jüngster den ganzen Winter über schon Husten hat."

Feinstaub macht Lungen kaputt

Der Lungenarzt Dr. Musa Hoxha, Direktor der Lungenabteilung am Universitätsklinikum in Pristina, kennt das Problem: "Am schädlichsten sind die winzigen Partikel mit einer Größe von unter 2,5 Mikrometern, die so klein sind, dass sie durch die Lungenbläschen ins Blut gelangen." Diese Feinstaubpartikel, im Fachjargon auch PM2,5 genannt, sind praktisch unsichtbar. Sie sind 30 mal dünner als ein menschliches Haar und etwa so groß wie Bakterien.

Die Auswirkungen des Feinstaubes kann der Lungenarzt Hoxha an den Krankenzahlen ablesen: "Die Bewohner von Gebieten wie Plementina sind Menschen, die das größte Risiko haben, an chronischen Krankheiten wie Asthma oder Lungenkrebs zu erkranken." Auch die Familie des Hausmeisters und Eigenheimbesitzers Avni Ibrahim ist betroffen – seine Mutter starb mit 54 Jahren an Lungenkrebs.

Ein Junge steht mit verschränkten Armen und Blick in die Kamera vor einem Kraftwerk.
Die Braunkohlekraftwerke von Obliq vergiften die Anwohner – Kinder entwickeln einen Dauerhusten, Erwachsene sterben verfrüht an Lungenkrebs. Bildrechte: IMAGO / ZUMA Press

Obwohl sich Kosovo verpflichtet hat, bis 2050 seine Energie klimaneutral zu produzieren, ist der Betrieb der Braunkohlekraftwerke unter Volllast heute noch fast alternativlos. Die Maximalleistung der Kraftwerke ist nur geringfügig höher als der landesweite Verbrauch. Zwar gibt es die ersten Anlagen für erneuerbare Energien, doch die können kaum die notwendigen Abschaltungen zur Wartung der Braunkohlanlagen kompensieren. Eine 100-MW-Photovoltaik-Anlage, die an einer der Abraumhalden von Obiliq geplant ist, könnte unter optimalen Bedingen bei Sonnenschein etwas weniger als zehn Prozent des durchschnittlichen Tagesbedarfes decken. Bislang kann sich die Regierung zwischen den potentiellen Lösungen des Energieproblems Kosovos noch nicht entscheiden: Möglich wäre ein Gaskraftwerk, das über eine Gaspipeline aus Nordmazedonien versorgt wird, ein neues, modernes und klimafreundlicheres Kohlekraftwerk oder der alleinige Ausbau erneuerbarer Energien.

Trotz der leicht zurückgehenden Einwohnerzahl Kosovos wächst der Energiehunger des Landes. Gerade zu Stoßzeiten müsste der staatliche Energiekonzern KEK eigentlich Strom aus dem Ausland dazu kaufen, doch der ist teuer und KEK bekommt kein Geld dafür. Stromausfälle sind deshalb an der Tagesordnung – zum Teil mehr als zehn Stunden lang. Keine guten Aussichten für Avni Ibrahimi – und vermutlich noch nicht einmal für seine Enkelkinder.

MDR (usc/baz)

Stadtansicht von Pristina 4 min
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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 18. Januar 2025 | 07:17 Uhr

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