Leben ohne Wohnung Kroatien: Obdachlos, wo andere Urlaub machen
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18. Januar 2023, 17:39 Uhr
Viele Deutsche zieht es in den Ferien Jahr für Jahr an die kroatische Küste. Doch von den Urlaubern weitgehend unbemerkt wächst im "Ferienparadies" die Zahl der Menschen ohne Wohnung – aber auch die Hilfsangebote werden mehr.
Irgendwann kamen nicht nur Drogensüchtige sondern auch Obdachlose. Das sagt Varja Bastiančić, die seit bald 20 Jahren Heroinabhängigen dabei hilft, ihre Sucht zu überwinden. Unter anderem betreibt ihre Organisation "Institut" in den Küstenstädten Pula und Poreč deshalb je einen Tagestreff. "Da ein Teil der Drogenabhängigen obdachlos ist, haben die zu den Obdachlosen gesagt: 'Kommt doch mit ins Tageszentrum, da könnt ihr duschen, eure Sachen waschen, etwas essen, kommt einfach mal mit", erzählt Bastiančić im Gespräch mit der MDR-Osteuroparedaktion. Die Probleme der Menschen beim Tagestreff kennt sie gut, denn sie war selbst einmal heroinsüchtig und hat auf der Straße gelebt.
Wir lösen hier die Frage der menschlichen Würde, nämlich die der Übernachtung. Allein darum geht es.
In zwei Wochen eröffnet Bastiančićs Verein in Pula die erste Notschlafstelle in Istrien, die im Gegensatz zum lokalen Obdachlosenheim vom Roten Kreuz die Menschen ausschließlich für die Nacht aufnimmt. Bastiančić werde oft gefragt, ob denn nicht viele betrunken dort ankommen würden. "Sicher", erwidere sie dann immer, "aber wir bearbeiten mit dem Übernachtungshaus nicht die Frage, warum sie obdachlos sind oder was sie in ihrer Obdachlosigkeit tun. Darum geht es überhaupt nicht. Wir lösen hier die Frage der menschlichen Würde, nämlich die der Übernachtung. Allein darum geht es." Einige Grundregeln gelten in jedem Fall, betont sie: Gewalt oder Beleidigungen werde man keinesfalls dulden, und auch nicht, dass jemand Drogen, Alkohol oder Waffen in die Notschlafstelle mitbringt.
Offizielle Obdachlosen-Statistik greift zu kurz
Die Inflation stieg in Kroatien im Dezember 2022 auf über 13 Prozent und bereits seit Beginn der Corona-Pandemie nimmt die Zahl der Menschen in Wohnungsnot laut dem kroatischen Netzwerk für Obdachlose zu. Die meisten Menschen leben in der Hauptstadt Zagreb auf der Straße. Offizielle Stellen melden landesweit über 500 Obdachlose, das Hilfsnetzwerk allerdings geht von etwa 2.000 Menschen aus, die ohne jegliche Unterkunft sind. All diejenigen, die ohne Strom und Wasser oder in Garagen, Wohnwagen oder leer stehenden Gebäuden leben, sind da noch nicht einmal mitgezählt. Auch wer zwar auf der Straße schlafen muss, aber nicht bei den Einrichtungen der staatlichen Sozialfürsorge angemeldet ist, kommt in der Statistik nicht vor. Die landesweit 420 Plätze in Notunterkünften können jedoch nur diejenigen nutzen, die auch registriert sind.
Ob obdachlos oder nicht – wer nicht arbeiten kann, dem steht in Kroatien eine staatliche Unterstützung von 130 Euro monatlich zu. Allerdings sei es unmöglich, davon zu leben, erklärt Dejan Travica. Er leitet in der Hafenstadt Rijeka den Verein "Oaza" (dt. Oase), der in einer Notunterkunft 15 Männern und in einer Wohngruppe fünf bis sechs Frauen zeitweise ein Dach über dem Kopf sichert. "Die Sozialhilfe reicht nicht einmal für Lebensmittel und schon gar nicht fürs Wohnen", kritisiert Travica. "200 Euro, das ist der niedrigste Preis, für den man in Rijeka eine Wohnung bekommt oder gerade einmal ein Zimmer. Für eine kleine 1-Raum-Wohnung gehen die Preise bei 300 Euro los." In letzter Zeit bekomme der Verein spürbar mehr Unterstützungsanfragen von Menschen, die akut davon bedroht sind, ihre Wohnung zu verlieren.
Wohnungen für Touristen anstatt für Einheimische
In den Urlaubsgebieten an der Küste sind Wohnungssuchende noch mit einem anderen Problem konfrontiert: Eine steigende Zahl von Vermietern überlässt während der Saison Wohnungen lieber zahlungskräftigen Urlaubern, anstatt sie dauerhaft zu niedrigeren Preisen an Einheimische zu vermieten.
Sorgen bereitet vielen Hilfsorganisationen wie dem Netzwerk der Obdachlosenhilfe oder der Caritas außerdem, dass immer mehr kranke und ältere Menschen um ihre Wohnung bangen. In den Tagestreffs von Varja Bastiančićs Verein suchen in letzter Zeit vermehrt Rentner Hilfe, die keinen Strom und kein Wasser mehr haben und denen im Monat gerade einmal 50 bis 60 Euro für Essen bleiben. "Jeder kann so leicht sein Dach über dem Kopf verlieren", sagt Bastiančić und zeigt sich empört, wie sehr Obdachlose in Kroatien ausgegrenzt würden.
Günstiger Wohnraum in Pula fällt weg
In Pula, wo es als einzigem Ort in Istrien Hilfsstrukturen für Obdachlose gibt, verschärften nicht nur die Preissteigerungen die Wohnsituation für die Ärmsten. Im Frühjahr 2022 wurde das ehemalige Wohnheim der insolventen örtlichen Werft verkauft. Bis dato lebten dort etwa 110 Alleinstehende, unter ihnen auch viele ehemalige Obdachlose, die im Heim für etwa 80 Euro im Monat kleine Zimmer bekamen. "Ein Teil der Leute landete wieder auf der Straße", sagt Varja Bastiančić. "Einige haben sich zurechtgefunden, sich zusammengetan, ein anderer Teil der Leute aber eben nicht."
Im Herbst räumte die Stadt dann einen von Obdachlosen ohne Genehmigung genutzten Unterschlupf am Rande der Stadt. Beide Ereignisse bestätigten Bastiančić in ihrem Entschluss, ein Übernachtungshaus zu eröffnen. Ein Kraftakt, so die Vereinsleiterin, der ohne die Unterstützung vom Staat, einer Stiftung, Privatfirmen und vielen einzelnen Menschen aus Pula nicht möglich wäre.
In den Räumen der zukünftigen Notschlafstelle sind im Moment noch Freiwillige mit Bauarbeiten beschäftigt. Im Obergeschoss liegen schon gespendete Möbel, Matratzen, Bettzeug, Hygieneartikel und Kleidung bereit. Anfang Februar können die ersten Obdachlosen zum Übernachten kommen, auch ohne bei der staatlichen Sozialfürsorge registriert zu sein. Ob die 15 Betten genügen werden, weiß Varja Bastiančić nicht. "Im Verein haben wir aber gemeinsam entschieden, dass alle rein können, egal, wie viele hier auftauchen werden. Niemand muss draußen bleiben."
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR Aktuell | 21. Januar 2023 | 07:15 Uhr