Seuche Afrikanische Schweinepest in Kroatien: Tausende Bauern vor dem Ruin
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04. November 2023, 07:17 Uhr
Als zwei Bauern Ende Juni einige verendete Schweine auf ihren Höfen ganz im Osten Kroatiens finden, denken sie sich weiter nichts dabei. Sie können nicht ahnen, dass sich daraus ein wahrer Polit-Thriller entwickelt, der die nächste Parlamentswahl beeinflussen könnte, tausende Existenzen bedroht und einem Minister einen unerwarteten Geldregen beschert. Die gefürchtete Afrikanische Schweinepest dezimiert die Tierbestände im Osten des Landes.
Die Behörden wurden schnell hellhörig, als sie von den scheinbar grundlos verendeten Schweinen erfuhren. Es wurden Proben entnommen und nach einigen Tagen hatte man die Gewissheit – es handelte sich tatsächlich um die ersten Fälle der Afrikanischen Schweinepest (ASP) in Kroatien. Nur einen Tag später waren alle 44 Schweine auf beiden Höfen gekeult und es wurde alles desinfiziert. Man war sich aber bewusst, dass die Seuche, einmal angekommen, kaum noch einzudämmen ist. Lange war Kroatien verschont geblieben von der tückischen Krankheit, die seit 2014 in Europa grassiert und Schweine qualvoll verenden lässt, für den Menschen jedoch ungefährlich ist. Das Problem für den Menschen ist wirtschaftlicher Natur – wird die ASP auch nur bei einem Tier festgestellt, wird der gesamte Schweinebestand eines Hofes gekeult, was für Schweinezüchter oft den Ruin bedeutet.
Schweinezüchter vor dem Aus
Ostkroatien, eine der ärmsten Regionen des Landes, lebt von der Landwirtschaft und fast jeder Hof hält einige Schweine, oft nur für den Eigenbedarf. Große, "industrielle" Schweinezuchten findet man in Kroatien eher selten, meist sind es kleinere Familienbetriebe mit nur wenigen Tieren. Statistisch gesehen entfallen von den knapp 1 Million Schweinen in Kroatien mehr als die Hälfte auf kleine Zuchten mit bis zu fünf Tieren. Lediglich ein Viertel der gut 63.000 Schweinehalter besitzt mehr als zehn Tiere.
Marko Majer aus der Nähe von Vukovar hatte eine für kroatische Verhältnisse respektable Schweinezucht. Von seinen 40 Schweinen wurden neun positiv auf ASP getestet, weshalb kurzerhand seine ganze Zucht gekeult wurde. Marko kann den Verlust noch immer nicht verschmerzen. "Mir geht es dabei nicht ums Geld, sondern um meine Schweine. So wie jemand Katzen oder Hunde hat, so hatte ich Schweine. Ich möchte keine Entschädigung dafür, ich hätte lieber einige meiner Tiere behalten", sagt Marko aufgewühlt. Er hatte noch Glück im Unglück, denn die Schweinezucht betreibt Marko nur nebenher, doch für viele Kleinbauern sind ein paar Schweine alles, was sie haben – nun stehen sie vor den Trümmern ihrer Existenz.
Müssen alle Schweine gekeult werden?
Da das Virus für den Menschen nicht gefährlich ist, verstehen viele Bauern nicht, warum der komplette Bestand getötet werden muss, wenn lediglich ein paar Tiere infiziert sind. Landwirtschaftsministerin Marija Vučković verteidigt das harte Durchgreifen: "Kein Tierarzt in Kroatien oder in der Welt glaubt, dass, wenn ein Tier infiziert ist, die anderen gesund bleiben können. Es heißt nicht umsonst Pest." Die Ministerin betont, dass alle Schweinezüchter für die getöteten Tiere entschädigt werden sollen, doch wann und wieviel Geld fließen wird, ist noch unklar.
Seit die Schweinepest am 26. Juni in Kroatien bestätigt wurde, haben mehr als 500 bäuerliche Kleinbetriebe ihre Schweinezuchten verloren. Antun Golubović, Vorsitzender des Ausschusses für Schweinezucht der Kroatischen Landwirtschaftskammer, sieht schwarz für die Zukunft: "Ich fürchte, dies wird die Zahl der Schweinezüchter halbieren, da es sich meist um ältere Menschen handelt. Ein Jahr ab dem letzten Virusnachweis oder dem Keulen des letzten Schweines dürfen die Höfe keine neuen Tiere halten." Viele können sich nach einem Jahr Verdienstausfall keine neuen Tiere mehr leisten. Er selbst hat mittlerweile all seine Schweine verloren und büßt dadurch 65 Prozent seiner Einnahmen ein. "Ich muss weiterhin meine Steuern und Abgaben zahlen, aber könnte locker Insolvenz anmelden."
Minister profitiert von der Schweinepest
Während die Bauern vor den Trümmern ihrer Existenzen stehen, verhilft die Afrikanische Schweinepest manchen zu unerwarteten Profiten. In ganz Kroatien erfüllt nur eine einzige Firma alle staatlichen Vorgaben, um fachgerecht Tierkadaver zu entsorgen – Agroproteinka. Jetzt, wo mehrere Zehntausend gekeulte Schweine entsorgt werden müssen, ist das ein äußerst lukratives Geschäft.
Der kroatische Außenminister Gordan Grlić Radman hatte das Glück, 20 Prozent der Anteile an dieser Firma von seinem Vater zu erben, noch vor seinem Amtsantritt 2019. Doch führte Grlić Radman die Dividenden, die Agroproteinka an ihn ausgeschüttet hat, nicht in seiner Vermögenserklärung an. Dieser "Fehler", wie es der Minister lapidar nennt, beläuft sich laut Recherchen des Portals Index.hr auf 2,1 Millionen Euro.
Agroproteinka spendet natürlich regelmäßig an die Regierungspartei HDZ und befand sich 2020 unter den Top-5 der großzügigsten Spender. Während sich der Minister mit Formalitäten und Dividenden herumschlagen muss, wurden mittlerweile mehr als 25.000 Schweine gekeult und fachgerecht entsorgt.
Traditionelle Schlachtfeste verboten
Die Schweinepest bedroht jedoch nicht nur menschliche Existenzen, auch ein Stück ostkroatischer Tradition steht auf dem Spiel: das Schlachtfest, genannt "Kolinje". An den ersten kälteren Tagen versammelt sich die ganze Bauernfamilie, um die Schweine zu schlachten und direkt vor Ort zu verarbeiten. Gewärmt vom lokalen Schnaps, portioniert man das Fleisch, die Wurst wird verarbeitet und die Grieben gekocht. Früher war dies eine der seltenen Gelegenheiten für die Bauern, an Fleisch und Wurstwaren zu kommen – deshalb führt man diese Tradition mit Stolz fort.
Die Traditionalisten haderten schon mit den neuen, verschärften Regeln für das Schlachten zu Hause nach dem EU-Beitritt, die vor allem Hygiene- und Tierschutzbestimmungen betreffen. Doch dieses Jahr wurde das Schlachtfest wegen der Schweinepest gänzlich verboten, was traditionsbewusste Bauern in der ostkroatischen Region Slawonien auf die Barrikaden treibt. Tomislav Pokrovac, der schon die Bauernproteste 2013 anführte, kündigte großangelegte Protestaktionen an: "Wir wollen das Töten der gesunden Tiere stoppen. Das gibt es nirgendwo sonst. Ich bin kein Befürworter von Revolutionen, Unruhen und ähnlichem, aber diese Art der Bekämpfung der Schweinepest muss aufhören, denn dadurch wurden einige Dörfer in Slawonien buchstäblich von Schweinen gesäubert."
Rigide Auflagen auch für Kleinbauern
Der letzte Sargnagel für die Schweinezucht bzw. Haltung kam letzte Woche, als das Landwirtschaftsministerium beschloss, dass alle Höfe die ein vorgeschriebenes Minimum an Hygiene- und Haltungsnormen nicht erfüllen, bis Ende November alle Schweine schlachten müssen – egal ob ASP dort vorkommt oder nicht. Das bedeutet u.a., dass die Schweine Ohrmarken haben müssen, eine vollständige und nachvollziehbare Dokumentation für jedes Tier existiert, die Unterkunft eingezäunt sein muss, damit die Schweine nicht in Kontakt mit Wildtieren kommen können, sowie dass Desinfektionsbarrieren im Eingangsbereich der Zucht existieren. Ferner müssen die Tiere künstlich befruchtet werden und dürfen nicht mit Nahrungsmitteln tierischen Ursprungs gefüttert werden. Diese Vorgaben gelten auch dann, wenn die Schweine nur für den Eigenbedarf gehalten werden – für den typischen kroatischen Kleinbauern sind sie aber aus finanziellen Gründen kaum zu erfüllen.
"Ich bin kein Anhänger von Verschwörungstheorien, aber diese Anordnung ist entweder durch Fahrlässigkeit oder Unwissenheit zustande gekommen – oder jemand hat dies absichtlich getan, um großen Konzernen oder der Importlobby entgegenzukommen", kommentierte Marijan Pavliček, Parlamentsabgeordneter der ultrakonservativen "Kroatischen Souveränisten", in einem Fernsehinterview.
Politisches Erdbeben durch Schweinepest?
Seine Partei werde sich den geplanten Demonstrationen der Schweinezüchter anschließen und im Parlament Unterschriften für den Rücktritt der Landwirtschaftsministerin sammeln. Dabei rechne er mit einer parteiübergreifenden Zustimmung: "Wir rechnen mit der Unterstützung aller Oppositionsparteien, vor allem der Abgeordneten aus Slawonien, unabhängig von ihrer ideologischen Zugehörigkeit, denn es geht um das Überleben oder Verschwinden Slawoniens", so Pavliček.
Damit entwickelt sich die Afrikanische Schweinepest in Kroatien von einem veterinärmedizinischen zu einem sozialen und politischen Problem, das der regierenden HDZ das Wahlergebnis in Slawonien nächstes Jahr vermasseln könnte. Vor allem populistische, konservative Parteien werden bei den lokalen Bauern und ihren Familien durch Kritik an den strengen Maßnahmen der Regierung Stimmen holen. Doch ein Mitglied der Regierungspartei HDZ wird auch im Fall einer Wahlschlappe Grund zur Freude haben – Außenminister Grlić Radman. Schließlich wird die Dividende von Agroproteinka nach der Entsorgung von so vielen Schweinen auch nächstes Jahr sicherlich mehr als großzügig ausfallen.
Unser Autor Marijan Vrdoljak ist gebürtiger Deutscher, aufgewachsen in Kroatien. Nach dem Journalistikstudium in Zagreb arbeitete er hauptsächlich für Fernsehsender aus dem In- und Ausland. Seit 2014 ist er selbstständiger Producer und spezialisiert auf deutschsprachige Fernsehproduktionen in Kroatien. Er arbeitet unter anderem für das ZDF Studio in Wien und als Kroatien-Korrespondent für Eurotopics.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten – Der Osteuropa-Podcast | 04. November 2023 | 07:17 Uhr