Belarus Lukaschenko und die Jugend - Die Generation "500 Dollar"
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09. September 2016, 12:22 Uhr
In einigen Ländern heißen junge Leute, die lange im "Hotel Mama" wohnen, "Parasitensingles", in anderen "Bumerang-Kinder". In Belarus (Weißrussland) ist das die Generation "500 Dollar" - eine Summe, die vielen jungen Belarussen als Inbegriff eines himmlischen Zustandes erscheint.
Soziologen dieser osteuropäischen Republik haben herausgefunden, dass moderne Belarussen nicht jede Arbeit annehmen, sondern nur gut bezahlte. Die Vorstellungen von "gut bezahlter Arbeit" gehen allerdings bei den Arbeitgebern und Arbeitnehmern ziemlich weit auseinander, so die Forscher. Und wenn die jungen Leute sich unter Wert taxiert fühlen, bleiben sie lieber gleich in Obhut der Eltern.
Gerade auf der Suche nach dem "langen Dollar" gibt es in Weißrussland einen großen Run auf Hochschuldiplome. Man nimmt an, dass ein Arzt, Ingenieur oder Jurist mehr bekommt als ein Facharbeiter und dazu nicht einmal am Fließband stehen muss. Wenn im sowjetischen Belarus die Anzahl der Studenten und Lehrlinge in den Berufsschulen fast gleich hoch war, sind es jetzt viermal mehr Studenten als angehende Arbeiter.
Hoher Abschluss, geringer Verdienst
Das Land braucht aber nicht so viele diplomierte Spezialisten und die Verdienste, wie junge Absolventen im ersten Arbeitsmonat feststellen, sind nicht so üppig wie gedacht. Deshalb landen Diplomierte vorwiegend im Handel und im Dienstleistungssektor.
Noch vor kurzem beherrschte die Republik eine Altersgruppe, die drei Jobs hatte, weil sie auch viel verdienen wollte. Aber "verdienen" ist eben und nicht "erhalten". Narzissmus, Faulheit und Infantilismus bescheinigen einheimische Wissenschaftler der heutigen Generation. Sie glauben angeblich nur an "Vitamin B", Seilschaften und Beziehungen, um etwas zu erreichen, und gehen jedem Konflikt "mit den Oberen" aus dem Weg, weil sie überzeugt sind, dass sie niemals Recht bekommen würden. Doch ist dieses Phlegma wirklich nur Arbeitsscheu und Bequemlichkeit oder Enttäuschung über die geringen Möglichkeiten der Selbstverwirklichung?
Was wollt Ihr denn noch?
Viele junge Belarussen sind durchaus bereit, hart zu arbeiten. Nicht aber "für irgendeinen Onkel", sondern für sich selbst. Etwa 80 Prozent der jungen Weißrussen sehen ihre Perspektive in der Gründung eines eigenen Unternehmens. Obgleich nicht in Belarus.
Wie gesagt: Es gibt in Weißrussland so gut wie keine Arbeitslosigkeit, dafür sichere medizinische Versorgung und sichere Renten als Überbleibsel der früheren sozialistischen Zeiten. Die Lage erscheint noch markanter angesichts des Zustandes in einigen europäischen Ländern, wo jeder zweite Jugendliche ohne Arbeit ist. Was wollt ihr denn noch? fragte einmal sichtlich entnervt der Präsident des Landes, Alexander Lukaschenko. Dessen ungeachtet wollen junge Belarussen auswandern. In den fremden Ländern erhoffen sie sich bessere Rahmenbedingungen für die Realisierung eigenen Potentials.
Befragungen belegen, dass weniger eine konkrete als eine diffuse Unzufriedenheit mit dem Leben im Land herrscht. Konkret ist die Rede von Schwierigkeiten bei der Gründung eines Unternehmens, fehlenden verlässlichen gesetzlichen Rahmen für das Unternehmertum, die Unflexibilität der Banken und Korruption der Behörden. Viele sind der Meinung, dass man hier nur mit einem illegalen Business Geld verdienen könnte.
60 Prozent sind bereit, das Land zu verlassen
Alexander Lukaschenko versteht die Aufregung nicht. Ende 2014 sagte er: "Heute sind einige sauer - es fehle dies und das. Ich bin überzeugt: Wenn jemand ein normales Leben führen und seine Kinder, seine Familie ernähren will - er hat alles dafür, man muss sich nur noch bewegen." Und die jungen Leute "bewegen sich" - ins Ausland.
"Es ist praktisch unmöglich, hier echt reich zu werden", so oder so ähnlich wird oft für Ausreise argumentiert. Nur 40 Prozent der jungen Weißrussen glauben, dass sie in der Lage sind, einen anständigen Job in Belarus zu finden, 60 Prozent sind bereit, das Land zu verlassen. Das sind etwa eine Million Menschen, stellte die soziologische Untersuchung "Jugend von Belarus auf dem Arbeitsmarkt" eines Forschungsinstituts aus Litauen fest. Als Hauptausreiseziele gelten die USA und die Europäische Union. Das Beispiel des benachbarten Polen und Litauen lässt die Träume hoch fliegen. Wenn aber tatsächlich Koffer gepackt werden, dann sind es nur zwischen ein- und dreitausend pro Jahr. Eine überwältigende Mehrheit, so die Statistik, landet nicht in der EU, sondern in Russland.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | 29. März 2015 | 16:05 Uhr