Älterer Mann mit schütterem grauem Haar in weißenm Hemd mit blauer Krawatte
Prof. Dr. Dr. med habil. Wolfgang Würfel Bildrechte: Kinderwunsch Centrum München MVZ

"Babytourismus" in Tschechien Interview Wolfgang Würfel: "Der Wunsch der Eltern ist nachvollziehbar"

17. April 2019, 16:47 Uhr

Prof. Dr. Dr. med habil. Wolfgang Würfel ist Gründungsmitglied des "Kinderwunsch Centrums München" und bekannt als "der Mann für die Härtefälle". Seit 1985 gibt es die Klinik und in den Akten stehen viele Erfolgsfälle. 20.000 Kinder wurden mithilfe der Klinik geboren. Professor Würfel sieht die "Abwanderung" der Paare ins Ausland kritisch – auch wenn er sie nachvollziehen kann. Das Embryonenschutzgesetz in Deutschland sollte seiner Meinung nach dringend überarbeitet werden.

Professor Würfel, rund 3.000 deutsche Paare fahren jedes Jahr nach Tschechien, um sich einer Kinderwunschbehandlung zu unterziehen. Was halten Sie von dieser Art "Babytourismus"?

Dieser sogenannte Babytourismus ist nachvollziehbar. Er bezieht sich heutzutage im Wesentlichen auf die Eizellspende, die in Deutschland strafrechtlich verboten ist. Das brennende Problem ist die Frau über 40 mit Kinderwunsch. Erste Schwangerschaft. Ein ganz dringendes Problem – wir sitzen gerade an einem Buch darüber. In den letzten 25 Jahren hat die Zahl der Erstgebärenden jenseits der 40 von ungefähr vier Prozent auf jetzt elf Prozent zugenommen. Dabei geht es nicht um die Eizellspende, sondern nur um die soziodemografische Darstellung.

Jenseits der 42, 43 sind die Voraussetzungen für ein Kind mit eigenen Eizellen definitiv schlecht. Die Eizellen werden nicht neu gebildet und sind so alt wie die Frauen selber. Die Frauen wiederum fühlen überhaupt keine körperlichen Einschränkungen und können gar nicht verstehen, warum sie nicht jetzt ein Kind bekommen sollen.

Damit ist die Eizellspende ein ganz brennendes Problem geworden. Generell die Frage, wie es eine Frau mit 42, 43 Jahren noch schafft, eine Familie zu gründen. Vor diesem Hintergrund ist es sehr verständlich, dass dieser Tourismus stattfindet, weil die Leute ja definitiv gar keine andere Wahl haben.

Welche Probleme sind aus Ihrer Sicht mit dem "Babytourismus" verbunden?

Ich sehe da einige. Zum einen ist eine Schwangerschaft mit der Eizellspende eine Schwangerschaft mit einem komplett fremden Embryo. Der Mann ist genetisch fremd und die Eizelle ist auch genetisch fremd. Der Embryo ist also zu 100 Prozent fremd und  das führt zu einer deutlichen Häufung von Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen. Es wird deshalb dringend geraten, bei der Eizellspende nur noch Einlings-Schwangerschaften anzustreben. Mit der Zwillingsschwangerschaft wird es dann noch komplizierter. Ein weiteres Problem: In Deutschland muss die genetische Herkunft dokumentiert werden. Das ist im Ausland oft nicht der Fall – im Gegenteil – es wird sogar negiert und es findet keine psychosoziale Beratung statt, weil es ja etwas ist, was in Deutschland verboten ist. Und damit kommen die Leute in eine Art "Nirgendwoland" und wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen und wer für was verantwortlich ist.

Das ist in der Zwischenzeit in den Kreißsälen in Deutschland zu einem ganz massiven Problem herangewachsen. Und der Umstand, dass die Paare damit im Wesentlichen alleine sind, ist schon kritikwürdig. Deshalb engagiert man sich in der psychosozialen Beratung mehr und mehr dafür, die Eizellspende in Deutschland zuzulassen, zumal, und das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, die Embryonenspende in Deutschland ja möglich ist.

Aber handelt es sich dabei nicht um einen Graubereich?

Genau – aber es ist möglich. Es gibt geborene Kinder. Inzwischen etwa 25. Und auch die Samenspende ist kein Problem in Deutschland. Es wird mit der Zeit sehr schwer vermittelbar, warum nicht auch die Eizellspende erlaubt ist. Alle Vorbehalte gegen das Gedeihen der Kinder, gegen die Familien, in denen die Kinder aus Eizellspende aufwachsen, haben sich ja durch viele Studien als nicht haltbar erwiesen. Da gibt es keine Nachteile. Aus meiner Sicht ist die Zeit sicherlich reif dafür, über eine geordnete Freigabe der Eizellspende in Deutschland nachzudenken. Sonst wird dieser  Befruchtungstourismus weiter zunehmen.

Was ist denn der offizielle Grund, warum die Eizellspende hier in Deutschland nicht erlaubt ist?

Da muss man in die Annalen der Beratungen für das Embryonenschutzgesetz gehen. Damals gab es große Ängste, dass durch diesen Dammbruch etwas nicht mehr im Griff gehalten werden kann. Und so entstand ein sehr defensives Gesetz. Und da hat man gesagt: Gut, innerhalb einer Paarbeziehung ist die künstliche Befruchtung in Ordnung, wenn nicht anders möglich. Aber bitte nicht unter der Hinzuziehung Dritter. Da hat man einfach Angst gehabt, dass man irgendwelche Dinge, durchaus im Sinne des Kindeswohls, initiiert,  die in die völlig falsche Richtung gehen. Das waren die Grundgedanken, die eine große Rolle gespielt haben. Wir sind jetzt jedoch 28 Jahre weiter und es gibt viele Erfahrungen, auch im internationalen Bereich. Diese Ängste haben sich als haltlos erwiesen. Deswegen ist aus dieser Sicht eine Revision dringend erforderlich.

Was halten Sie davon, dass die Kliniken in Tschechien zum Teil mit Erfolgsquoten von 60 bis 70 Prozent werben?

Für die Eizellspende sind die Schwangerschaftsraten tatsächlich sehr hoch. Man greift auf die Eizellen einer 20-jährigen oder 25-jährigen Frau zurück. Und Frauen in dem Alter haben traumhaft hohe Schwangerschaftsraten. Das steht natürlich in einem extremen Kontrast zu dem, was wir hier machen. Das Durchschnittsalter der Frauen, die wir hier behandeln, liegt zwischen 37 und 38 Jahren. Und wenn sie jetzt eine Eizellspende machen, dann verjüngen sie quasi die Frau auf 20 oder 25 Jahre. Dann  haben sie natürlich diese hohen Schwangerschaftsraten. Betrifft aber wohlweißlich nur die Eizellspende – alle anderen Maßnahmen laufen im Ausland laut Statistik nun wirklich nicht besser ab.

Was sollte sich aus Ihrer Sicht in Deutschland verändern?

Die Zeit für ein Fortpflanzungsgesetz in Deutschland ist natürlich überfällig. Wir haben einen Flickenteppich von Gerichtsurteilen, zum Teil widersprüchlicher Art, und von unterschiedlichen Aussagen von Landesärztekammern. Das ist ein krudes Durcheinander, überhaupt nicht auf der Höhe der Zeit. Der zweite Punkt ist, und da gehört sicher die Eizellspende mit dazu, über eine vernünftige Legalisierung in einem vernünftigen Rahmen nachzudenken und das in eine vernünftige Form zu gießen. Die ganze künstliche Befruchtung kommt aus einem sehr mechanistischen Denken: Da nehme ich eine Eizelle aus dem Eierstock, der Eileiter ist kaputt. Ich befruchte sie außerhalb, setze einen Embryo ein und gut ist es. Dabei muss man sich aber immer vor Augen halten: Reproduktion ist ein ganz kompliziertes Netzwerk aus hormonellen Abläufen, genetischen Abläufen, immunologischen Abläufen. Und das heißt im Klartext: weg von diesen rein mechanistischen Vorstellungen hin zu einer Betrachtung des gesamten Reproduktionsvorganges mit seinen ganzen Facetten und seinen ganzen Pathologien, die es da geben kann, damit wir allen Situationen einigermaßen gerecht werden.

Sie haben vielen Paaren zu Kindern verholfen, mussten aber auch einigen die Hoffnung nehmen. Lieben Sie Ihren Job? Oder haben Sie auch schon bereut, diesen Weg der Medizin eingeschlagen zu haben?

Es war eine gute Entscheidung, diesen Weg zu gehen. Ich würde es wieder machen. Aber nur unter der Prämisse, dass man weiterhin versucht, in alle Ecken und Enden hineinzukriechen. Denn die Geschichte der Reproduktionsmedizin ist noch nicht geschrieben. Ganz bestimmt nicht. Da werden wir noch viel lernen müssen – in vielerlei Hinsicht. Und wenn man das weiterverfolgt, dann ist das weiterhin eine sehr spannende Angelegenheit. Natürlich gibt es auch schon Reproduktionsmedizin "light" – wo man bekannte Verfahren nur noch anwendet – das würde mich jetzt weniger interessieren. Für mich ist spannend, warum sind die Dinge so, warum klappt dies nicht, warum funktioniert jenes nicht, warum kriegt man das nicht gebacken? Und wenn das als Anspruch erhalten bleibt, dann würde ich den Weg wieder gehen.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Heute im Osten - Die Reportage | 17. Oktober 2020 | 18:00 Uhr

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