Coronavirus-Blog Osteuropa Polen: Reisegutscheine fürs Volk
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14. Mai 2020, 17:37 Uhr
Das Coronavirus hat auch den Alltag der Menschen in den meisten Ländern Osteuropas verändert. In manchen Staaten wurden drastische Maßnahmen ergriffen, in anderen geht man noch sehr entspannt mit der Pandemie um. In diesem "Tagebuch" berichten unsere Ostblogger und andere Korrespondenten regelmäßig über die Lage in ihren Heimatländern.
14. Mai | Polen: Wahlkampf mit Urlaubs-Coupons
Hallo aus Warschau. Ich bin Monika Sieradzka. Das Leben in Zeiten von Corona ist auch für uns Polen nicht leicht. Aber unsere Regierung lässt sich nicht lumpen: Sie belohnt uns für unser Durchhaltevermögen mit Reisegutscheinen. Oder steckt etwa die verschobene Präsidentschaftswahl dahinter? Die regierende PiS-Partei hatte ja schon mit ihrem Kindergeld "500 Plus" sehr erfolgreich Wahlkampf gemacht und die Parlamentswahlen für sich entschieden. Nun heißt der Köder also "1000 Plus". Geboten werden Urlaubsgutscheine für Ferien in Polen. Der Deal: Gibt man 1000 Zloty (240 Euro) für seinen Polen-Urlaub aus, erstattet der Staat 90 Prozent des Geldes. Die Tourismus-Coupons werden ab dieser Woche verteilt. In den Genuss der Gutscheine kommen allerdings nur diejenigen, die weniger als den monatlichen Durchschnittslohn (1140 Euro) verdienen. Nach Schätzungen der Regierung sind das rund 60 Prozent aller arbeitenden Polen.
Die PiS hat es eilig mit ihren Wahlgeschenken in bar, denn in der Corona-Krise muss man mit einer Inflation und mit höheren Hotelpreisen rechnen. Also besser jetzt das Geld verschenken, solange es noch etwas wert ist. Sonst könnte die Wut der Wähler, die immer mehr unter den Einschränkungen leiden, den Wahlausgang bestimmen und den Sieg des derzeitigen Favoriten und Amtsinhabers Andrzej Duda gefährden.
1.000 Zloty ist nicht viel Geld, doch ein paar preiswerte Übernachtungen kann man damit ohne weiteres bezahlen. Eigentlich war das Programm als Stimulus für den einheimischen Tourismus gedacht, doch nun wird darüber nachgedacht, es auf die Nachbarn aus der Visegrad-Gruppe zu erweitern. Bei der Ankündigung des Programms lobte die PiS die Slowakei, Ungarn und Tschechien wortreich: das Ansteckungsrisiko dort sei deutlich niedriger als in Westeuropa und den USA, deshalb dürften die Polen ihre nächsten Nachbarn im Sommer möglicherweise auch besuchen. Das Gefühl einer Geborgenheit im "guten" Ostblock, weit weg vom "bösen" Westen, ist sofort wieder da. Auch die Urlaubscoupons kommen bekannt vor. Die wurden im Sozialismus in den Betrieben verteilt. Und auch damals war der Urlaub nur im Ostblock möglich.
4. Mai 2020 | Mit viel Lärm gegen die Diktatur
Hallo, ich bin Andrej Ivanij aus Belgrad. In Serbien treten im Laufe der Corona-Krise immer deutlicher der autoritäre Charakter der Staatsmacht sowie der zunehmende Personenkult um den Präsidenten Aleksandar Vučić zu Tage. Dagegen regen sich nun massenhaft Proteste. Jeden Tag Punkt 20:05 Uhr gehen Menschen auf ihre Terrassen oder zu den Fenstern und schlagen kräftig mit Kochlöffeln auf Töpfe und Pfannen, pusten in Trillerpfeifen oder spielen laut Musik. "Mit Lärm gegen die Diktatur" heißt die Aktion, die am 26. April startete und sich mittlerweile auf viele serbische Städte ausgedehnt hat.
Der dissonante Protestchor soll am harmonischen Bild kratzen, das die serbischen Medien vom "geliebten Volksführer" und dem "dankbaren Volk" verbreiten. Vučić hatte am Sonntag den Sieg im Kampf gegen das Coronavirus verkündet und die Aufhebung des Ausnahmezustandes für den Donnerstag angekündigt. Serbische Minister und diverse Fachleute loben in regimetreuen Medien seine "weise Führung" und überschlagen sich in Dankestiraden.
Gleichzeitig spotten die Politiker über den lärmenden Bürgerprotest. Sie versuchen ihn als eine politische Aktion der Opposition abzuwerten, die sich, wie es heißt, "in ihrer Ohnmacht mit dem Coronavirus verbündet habe" und "den Tod von Menschen" herbeisehne, nur um "Vučić zu stürzen". Vučić selbst demonstriert öffentlich Verständnis für die Bürger, die ihm zufolge nur "im kollektiven Hausarrest nervös" geworden seien.
Doch viele Bürger protestieren nicht nur wegen der massiv eingeschränkten Bewegungsfreiheit, sondern auch weil der ohnehin überdominante Präsident Vučić seit dem Beginn des Ausnahmezustands den gesamten politischen und öffentlichen Raum beherrscht. Sie protestieren, weil die Autokratie, die sich bislang hinter einer demokratischen Fassade versteckte, nun unverhohlen ihr wahres Gesicht zeigt. Der Personenkult um den Präsidenten ist in der Krise immer größer geworden. Er wird in den Staatsmedien als ein Führer präsentiert, der unermüdlich für das Wohlergehen seines Volkes, gegen die Pandemie, aber auch gegen finstere Mächte, böse Tycoons, Spione, Kriminelle oder ausländische Söldner kämpft.
Angesichts der Parlaments- und Kommunalwahlen, die Ende Juni stattfinden werden, reagiert Vučićs Serbische Fortschrittspartei (SNS) gereizt auf die spontanen und kreativen Anti-Diktatur-Proteste in der Bevölkerung: Um 20.30 Uhr gehen seit Kurzem SNS-Aktivisten mit Fackeln in den Händen in organisierten Aktionen auf die Dächer von Häusern und spielen über große Lautsprecheranlagen aufgezeichnete Beleidigungen gegen Führer der Oppositionsparteien ab. Die orangeroten Feuer in der Nacht, die bedrohlich wirkenden Männer mit Kapuzen und mit Fackeln in den Händen, – all das erinnert die Menschen hier an faschistische Schlägerbanden aus finsteren Zeiten. Der Puls der serbischen Gesellschaft schlägt zunehmend höher.
1. Mai 2020 | Politiker öffnet heimlich sein Restaurant für VIPs
Hallo, ich bin Denis Trubetskoy aus Kiew. Eigentlich sind ja auch in der Ukraine wegen der Corona-Pandemie alle Restaurants geschlossen. Doch daran scheinen sich nicht alle zu halten. Journalisten haben aufgedeckt, dass manche Elite-Restaurants in Kiew trotz des Lockdowns für ausgewählte VIP-Kunden geöffnet sind. Pikant ist vor allem, dass einer der Restaurantbetreiber nicht nur Abgeordneter der Regierungspartei "Diener des Volkes" ist, sondern auch zum engeren Kreis von Präsident Wolodymyr Selenskyj gehört. Der Unternehmer Mykola Tytschtschenko, ein enger Freund des Chefs des Präsidialbüros Andrij Jermak, zählt ohnehin schon zu den skandalumwitterten Politikern der Ukraine. Der 47-Jährige nimmt gerne an Schlägereien im Parlament teil, außerdem soll er Medienberichten zufolge Zusatzzahlungen an Abgeordnete organisiert haben, eine Art schwarze Kasse.
Dennoch hält Selenskyj an Tytschtschenko fest. Er wird sogar als möglicher Kandidat für das Amt des Kiewer Bürgermeisters gehandelt. Damit dürfte es nun jedoch schwieriger werden, nachdem die Journalisten der Antikorruptionssendung "Naschi Groschi" ("Unser Geld") sein Spitzenrestaurant "Weljur" etwas mehr als eine Woche lang beobachtet haben. "Es ist eindeutig, dass das Restaurant offen hat. Für VIPs, für eigene Leute - für derart eigene, dass pro Stunde im Schnitt zehn Menschen reinkommen", hieß es in dem Beitrag. Tytschtschenko selbst rechtfertigt sich mit der Behauptung, im "Weljur" tage ab und zu sein Wahlstab. "Ich schäme mich dafür, dass meine wenigen Gäste hungrig das Restaurant verlassen. So bin ich normalerweise nicht. Aber die Zeit diktiert ihre Gesetze", schrieb der Gastronom auf Instagram.
Die Bilder zeigen dagegen, wie aus dem "Weljur" schwer alkoholisierte Abgeordnete wanken. Als die Polizei am Dienstag, einen Tag nach der Ausstrahlung, das Restaurant überprüfte, fand sie dort selbstverständlich keine Gäste mehr. Doch der Skandal lässt den Unmut nicht nur bei den Gastronomen des Landes hochkochen, die gleiche Regeln für alle und die Öffnung der Sommerterrassen fordern. Es mehren sich auch Proteste der kleinen und mittleren Unternehmen, die einerseits keine Hilfsleistungen vom ukrainischen Staat bekommen und oft noch die volle Miete zahlen müssen, andererseits sehen, wie große Ketten in der Coronakrise bevorzugt werden. Langsam gibt man dem Druck nach. Ab 1. Mai dürfen Lebensmittelmärkte unter Einhaltung der Hygienevorschriften wieder öffnen. Weitere Lockerungen für den Einzelhandel könnten ab dem 12. Mai folgen.
20.04.2020 | Virtueller Friedhofsbesuch in Moskau
Hallo ich bin Maxim Kireev aus Sankt-Petersburg. Ich staune mitunter, wie kreativ so manche russische Branche die Corona-Krise angeht. Zuletzt hat der städtische Bestattungsmonopolist "Ritual" mit morbidem Einfallsreichtum überrascht und eine Reihe von digitalen Services ins Angebot genommen.
Eigentlich sind die 136 Moskauer Friedhöfe für Besuche derzeit geschlossen. Eine Ausnahme sind Abschiedszeremonien in den städtischen Trauerhäusern für Angehörige. Weil die Moskauer nun aber nach Möglichkeit zu Hause bleiben sollen, will "Ritual" die Gedenkfeiern nun Online per Live-Stream an die Trauernden übertragen. Nutzer bekommen kostenlos einen privaten Link zum Stream zugeschickt und können laut dem Moskauer Bestattungsunternehmen zwischen mehreren Kameraeinstellungen wählen. Mehrere Trauerhäuser wurden dafür mit Kameras ausgestattet, die das Bild in HD-Qualität übertragen können, heißt es beim Bestattungsunternehmen. Die unmittelbare Beerdigung wird bisher jedoch noch nicht übertragen.
Der neue Video-Dienst ist für Angehörige kostenlos. Weil jedoch Friedhofsbesuche ebenfalls untersagt sind, hat "Ritual" auch einige kostenpflichtige Services im Angebot, darunter etwa ein virtueller Grabbesuch für umgerechnet 10 Euro. Der Kunde bekommt dafür einen eigens angefertigten Fotobericht von der gewünschten Grabstelle. Wer noch Blumen dalassen möchte, muss weitere 20 bis 30 Euro zahlen.
Die städtischen Bestatter reagieren damit auf die vielen unerlaubten Friedhofsbesuche in den letzten Tagen. Zuletzt meldete "Ritual" mindestens 650 Versuche, auf die geschlossenen Städtischen Friedhöfe zu gelangen. Die neuen Dienstleistungen erfreuen sich nach Angaben des Unternehmens reger Nachfrage. In den ersten Tagen wurden bereits 100 Bestellungen für die neuen Online-Services getätigt, so das Unternehmen.
18. April 2020 | Ostern in Serbien: 84 Stunden Stubenarrest
Hallo, ich bin Andrej Ivanij aus Belgrad. In Serbien hatten sich bis Donnerstag 15 Uhr 5.318 Menschen mit dem Coronavirus infiziert, 103 Patienten erlagen der Infektion. Im internationalen Vergleich eher geringe Zahlen. Trotzdem verschärft die Regierung in Belgrad die Beschränkungen für die Menschen noch einmal beträchtlich. Ihr Maßnahmenkatalog scheint unerschöpflich. Am orthodoxen Osterwochenende ist die absolute Ausgangssperre bereits gestern, am Freitag, um 17 Uhr in Kraft getreten. Sie dauert bis Dienstag 5 Uhr. Der kollektive Hausarrest zieht sich also über 84 Stunden. Da erscheinen die 60 Stunden währende Ausgangssperre am vergangen Wochenende und die alltägliche Polizeistunde von 17 bis 5 Uhr wie ein Klacks. Nur für die über 65 Jahre alten Bürger ändert sich nichts: Sie dürfen ihre Wohnungen ohnehin seit einem Monat nicht mehr verlassen.
Seit Beginn der Coronavirus-Krise setzen serbische Entscheidungsträger auf eine strikte Isolation der Bevölkerung, auf kollektive Disziplinierung. Verstöße werden mit harten Geld- und Haftstrafen sanktioniert. Staatspräsident Aleksandar Vučić schimpft auf sein Volk, wenn es nicht brav ist, schürt Angst indem er von "überfüllten Friedhöfen" spricht, falls sich Rentner nicht rund um die Uhr ins Haus sperren lassen, wirft Kritikern vor, sich "den Sieg des Coronavirus zu wünschen, nur um ihn zu stürzen". Jeder der eine dem Regime unangenehme und nicht mit dem Staatsfunk konforme Frage stellt, wird als "Volksschädling" gebrandmarkt.
Als Bürger Serbiens hat man das Gefühl von den Behörden wie ein Unmündiger behandelt zu werden, der nicht in der Lage ist, die Bedeutung des Begriffs "soziale Distanz" zu verstehen, auf sich selbst aufzupassen und deshalb für sein eigenes Wohlergehen sicherheitshalber eingesperrt werden muss.
16. April 2020 | Wie man auch in der Corona-Ära demonstrieren kann
Hallo aus Warschau, ich heiße Monika Sieradzka und will heute über Proteste in der Corona-Zeit berichten. Eigentlich dürfte es sie wegen des auch hierzulande derzeit herrschenden Versammlungsverbotes nicht geben, doch in Polen haben tatsächlich Demos stattgefunden. Die Proteste richteten sich gegen die gestern Nacht im Parlament diskutierte Verschärfung des ohnehin schon restriktiven Abtreibungsgesetzes. Die Volksinitiative "Stoppt Abtreibung" schlägt eine Gesetzänderung vor, die die Frauen dazu zwingen würde, auch schwer behinderte Kinder zur Welt zu bringen. Für Empörung sorgt auch die Tatsache, dass das Thema kurz vor den Präsidentschaftswahlen auftaucht und mitten in der Pandemie die Abgeordneten beschäftigt.
Normalerweise würden große Protestaktionen auf den Straßen stattfinden. Da das gerade nicht möglich ist, haben die Demonstranten seit einigen Tagen zu anderen Mitteln gegriffen. Im Zentrum von Warschau beispielsweise haben Autos und Fahrräder für kurze Zeit Straßen blockiert. Aufkleber auf den Autoscheiben zeigten mit Schutzmasken vermummte Gesichter und verwiesen auf die Hashtags in den sozialen Medien wie etwa "die Hölle der Frauen" (#pieklokobiet). Gleichzeitig tauchten in einigen Läden vermummte Frauen mit Protestparolen auf.
Die Fotos von dieser Aktion wurden ins Netz gestellt, um weitere Aktionen zu inspirieren. Mit Erfolg. So haben sich etwa im Zentrum von Posen 40 Menschen mit Transparenten und Plakaten in eine Schlange vor einem Discountladen gestellt. Die Polizei hat den Abstand zwischen den einzelnen Personen gemessen und der zeigte sich wie vorgeschrieben: exakt zwei Meter. Ähnlich wie in Lublin im Osten von Polen, wo die protestierenden Frauen brav Distanz haltend durch die Stadt marschiert sind.
Solche Demonstrationen sind ein Novum. Die Polen sind sehr stolz auf ihren Protestgeist, den sie im Laufe der Geschichte, auch im Kommunismus, gezeigt haben. Jetzt gehört Polen offenbar zur Protest-Avantgarde in der Corona-Ära.
12. April 2020 | Putin gibt die Zügel aus der Hand
Hallo, ich bin Maxim Kireev aus Sankt-Petersburg. Bisher gibt es in Russland nur wenige landesweite Corona-Regelungen. Deswegen gehen die regionalen Machthaber den Kampf gegen die Corona-Epidemie völlig verschieden an - und schlagen dabei mitunter über die Stränge.
Als erste Region hat sich etwa Tschetschenien vom Rest des Landes abgeschottet. Offiziell darf niemand mehr rein in die Republik, der dort nicht amtlich gemeldet ist. In der Region gelten strenge Quarantäne-Regeln. Wer diese verletzt, wird schon mal von Polizisten niedergeprügelt, wie jüngst geschehen. "Lieber schlage ich einen, als später Tausende zu beerdigen", verteidigte Republikschef Ramzan Kadyrow das Vorgehen der Polizei.
Andere Regionen wie Tatarstan schießen dagegen bei der digitalen Überwachung übers Ziel hinaus. Wer in der Millionenstadt Kazan das Haus verlassen will, muss sich per SMS bei den Behörden abmelden sowie Grund und Ziel des Ausgangs angeben. In der Wolgametropole Nischni Nowgorod haben die Behörden eine Art Passierschein eingeführt, der über eine App der Stadt beantragt werden kann. Wer Müll wegbringt, bekommt dann einen QR-Code auf das Handy, welcher 30 Minuten gültig ist. Wer ohne einen solchen digitalen Passierschein unterwegs ist, muss Strafe zahlsen.
Moskau hatte ein solches System ebenfalls ins Gespräch gebracht, kassierte es jedoch wieder, nachdem es in der Öffentlichkeit zu viel Kritik gegeben hat. Stattdessen "kämpfen" jetzt die Einwohner der Hauptstadt mit dem Mangel an Ferienhäusern, die manche wohlhabende Moskauer für die Zeit der Quarantäne als Zufluchtsort nutzen wollten. Denn der Leiter des Gesundheitsamtes des benachbarten Gebiets Iwanowo hat bspw. die Einwohner aufgefordert, keine Immobilien mehr an Moskauer zu vermieten. Die Hauptstadt ist bisher am stärksten vom Virus betroffen.
Die unterschiedlichen Maßnahmen sind nicht nur extrem verwirrend. Sie zeigen auch, wie anfällig das zentralistische System ist, das der Kreml über Jahre aufgebaut hat. Präsident Putin hat es jedoch ausnahmsweise nicht eilig, mehr Verantwortung für den Corona-Kampf zu übernehmen.
8. April 2020 | Spazierengehen verboten - Gassi gehen wird zum Hit
Hallo, ich bin Denis Trubetskoy aus Kiew. Seit bereits drei Wochen haben wir in der Ukraine strenge Quarantäne. Jetzt wurden die Einschränkungen noch verstärkt - wohl auch, um die Nachteile unseres schwachen Gesundheitssystems zu kompensieren. So gilt seit Beginn der Woche Mundschutzpflicht an allen öffentlichen Orten. Masken dürfen auch selbstgebastelt sein, denn zu kaufen gibt es auch hier kaum welche. Ich hatte vergangene Woche beim achten Versuch Glück. Dabei kostet eine OP-Maske umgerechnet fast einen Euro, während man vor der Krise für den gleichen Preis mindestens zehn Stück kaufen konnte. Eine finanzielle Herausforderung in einem Land, dessen Durchschnittsgehalt etwas unter 400 Euro liegt - und das vor Corona.
Ob man allerdings auf der Straße mit oder ohne Maske läuft, wird kaum kontrolliert. In Supermärkte jedoch kommt man schon länger ohne Maske nicht hinein. Manche Ketten messen am Eingang auch die Temperatur. Menschen über 60 Jahre sind mit den neuen Regeln verpflichtet, zu Hause zu bleiben - es sei denn, sie haben niemanden, der für sie Lebensmittel besorgen kann. Auf der Straße darf man sich höchstens zu zweit bewegen, wenn es nicht explizit um Kinderbegleitung geht. Parks, öffentliche Grünflächen und ähnliche Einrichtungen sind komplett geschlossen.
Einzige Ausnahme: Spaziergänge mit Haustieren. Allerdings darf nur eine einzelne Person den Hund Gassi führen. Das führt dazu, dass einige Ukrainer nun ihre Hunde auf unterschiedlichen Internet-Plattformen zur Vermietung anbieten - und manche meinen das tatsächlich ernst. Der Durchschnittspreis auf der Anzeigenwebseite Olx.ua liegt derzeit bei rund 3,50 Euro pro Stunde. "Seit zwei Wochen zu Hause? Du träumst von einem Spaziergang an der frischen Luft in einem Park? Wir haben eine Lösung", heißt es dort in einer Anzeige. Das verdiente Geld werde auschließlich in Futter und Spielzeuge für den Hund investiert, heißt es.
Spaß beiseite: Der Bußgeldkatalog fängt in der Ukraine bei rund 600 Euro an - für Aufenthalt in der Öffentlichkeit ohne Maske. In der Praxis ist so eine Riesensumme eher unwahrscheinlich, die theoretische Möglichkeit besteht aber. Und auf Polizeiwillkür trifft man in der Ukraine nicht selten.
7. April 2020 | Rolle rückwärts - Präsident per Briefwahl in Zeiten von Corona
Hallo, ich bin Monika Sieradzka aus Warschau. Der Politik-Krimi in Polen geht Dank Corona in die nächste Runde: Für den 10. Mai sind in Polen die Präsidentschaftswahlen geplant. Die Oppositon will sie wegen der Pandemie eigentlich gerne verschieben. Die regierende PiS hält aber an den Wahlen fest, weil PiS-Kandidat und amtierender Präsident Andrzje Duda derzeit klarer Favorit ist.
Die Regierungsmehrheit hat deshalb gestern Nacht im Sejm, dem polnischen Unterhaus, die Briefwahl für alle 30 Millionen Wähler abgesegnet. Das Argument: die Briefwahl würde das Ansteckungsrisiko verringern. Obwohl dabei Wahlunterlagen übergeben werden und Tausende Menschen Stimmen zählen müssen. Doch PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski versicherte, dass die Briefwahl "nicht die geringste Gefahr für die Gesundheit der Menschen" darstelle. Vor nicht einmal zwei Jahren hatte die PiS die allgemeine Briefwahl mit dem Argument abgeschafft, das Fälschungsrisiko sei zu groß. Dieses Argument gilt nun nicht mehr. Offenbar ist auch die Corona-Krise für Kaczynski gut, um sich die Welt so zu bauen, wie er sie haben möchte und sich als starker Mann der polnischen Politik zu profilieren. Als starker Mann, der nicht einmal Teil der Regierung ist.
Mit solchen Profilierungswünschen ist er nicht alleine. Gestern ist Vizepremierminister Jarosław Gowin zurückgetreten, weil er keine breite Unterstützung für seine Idee gefunden hatte. Er wollte eine Verfässungsänderung, die die Amtszeit des amtierenden Präsidenten um zwei Jahre verlängern würde. Damit wäre die Wahl am 10. Mai obsolet und das Ansteckungsrisiko eliminiert. Gowin sorgte mit seiner Idee für eine Spaltung innerhalb des Regierungslagers. Dem Kampf gegen Pandemie hilft es nicht. Doch eines hat er bestimmt erreicht: viele Schlagzeilen in den Medien und Verwirrung bei den Wählern.
5. April 2020 | Fotoshooting mit Drohne in Litauen
Hallo, ich bin Auksė Bruverienė aus Vilnius. Ich sitze seit dem 16. März mit meinem Mann und zwei kleinen Kindern unter Home-Office-Bedingungen in einer 70-Quadratmeter-Wohnung. Die Ausflüge in den nahegelegenen Wald sind für uns jetzt sehr wertvoll. Alle anderen Außerhaus-Aktivitäten, wie Spaziergänge in der Altstadt, Restaurants oder Kulturveranstaltungen sind zumindest bis Ostern, aber höchstwahrscheinlich noch viel länger, untersagt.
Viele Aktivitäten finden jetzt auch in Litauen im Netz statt: Sporttrainings, Yoga-Kurse, Schul- und Hochschulunterricht, Kulturveranstaltungen. Die Menschen versuchen, sich an die neuen Bedingungen anzupassen und kommen dabei auf ganz verrückte Ideen. Wie der litauischen Fotografen Adas Vasiliauskas. Sein jüngstes Projekt heißt "Porträts der Quarantäne". Als wegen der Ausgangsbeschränkungen mehrere Aufträge des Freiberuflers geplatzt waren, suchte er nach Möglichkeiten, doch noch zu arbeiten. Und so kam er auf die, wie ich finde, geniale Idee, die in ihren Wohnungen eingeschlossenen Familien auf Bestellung mit einer Drone zu fotografieren. Auf diese Weise sichert sich Adas Vasiliauskas nicht nur sein Einkommen, sondern gibt den Menschen in Litauen auch die Möglichkeit, sich ihren, von Zukunftsängsten geprägten, monotonen Alltag zu Hause, aufzuheitern. Ob geplanter Urlaub oder Kindergesburtstag – all das inzenieren sie für den Fotografen mit viel Phantasie auf ihren Balkonen oder hinter den Fenstern ihrer Wohnungen. In den sozialen Netzwerken wurde das Projekt blitzschnell populär. Immer mehr Familien registrieren sich für eine Fotosessions bei Adas Vasiliauskas. Vielleicht ist es auch für meine Familie eine gute Idee. Wenn wir es machen, dann als Freunde des Karlsonns vom Dach verkleidet, in unserer Dachgeschoss-Wohnung.
Die Aktion von Adas Vasiliauskas bringt Licht in den Alltag hier in Litauen. Denn, wie anderswo auf der Welt auch, sind die meisten Menschen sehr besorgt. Immer wieder ist im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie von Krieg die Rede. Im Fernsehen, in sozialen Netzwerken, in privaten Gesprächen. In gewissem Sinne stimmt es auch, insbesondere die Ärzte fühlen sich derzeit in Litauen wie an der Front, wo alles fehlt: Masken, Schutzkleidung, bis vor kurzem auch Tests. Die Folge: etwa 15 Prozent aller derzeit über 800 Coronavirus-Infizierten in Litauen sind Mediziner. Viele Menschen gründen Initiativen und rufen beispielweise zur Hilfe für ältere Menschen beim Einkaufen auf, nähen Masken oder versorgen Ärzte mit Mittagessen. Sehr aktiv bei derartigen Freiwilligen-Aktionen ist der Litauische Schützenverein – sogar der Gesundheitsminister Litauens, Aurelijus Veryga, zeigt sich gerne in einer Schützenuniform in der Öffentlichkeit und bedient damit, gewollt oder nicht, die Kriegsmetapher. Die meisten Litauer begreifen den "Krieg gegen Corona" allerdings eher im übertragenen Sinne. Wie ein im litauischen Facebook populärer Scherz es zum Ausdruck bringt: "Unsere Großeltern haben die Welt auf der richtigen Seite unter Beschuss mit echten Kugeln und Bomben gerettet, wir müssen dagegen nur auf dem Sofa sitzen. Let us not screw it up".
4. April 2020 | Serbien: Über Corona berichten verboten
Hallo, ich bin Andrej Ivanij aus Belgrad. Im Kampf gegen das Coronavirus ist in Serbien eine Journalistin verhaftet worden. Hört sich wie ein Witz an, ist aber die serbische Wirklichkeit. Als ich die beunruhigende Nachricht hörte, dachte ich, dass die hauchdünne Linie zwischen notwendigen Einschränkungen persönlicher Freiheiten im Kampf gegen die Pandemie und dem Missbrauch des Ausnahmezustandes endgültig überschritten worden sei.
Die Geschichte verlief so: Die Journalistin Ana Lalić schrieb am Mittwoch für das Portal www.nova.rs, dass im Klinischen Zentrum Vojvodina in der nordserbischen Stadt Novi Sad Krankenschwestern rebelliert hätten, weil sie sich ohne Schutzausrüstung um Patienten kümmern mussten, die sich mit dem Coronavirus infiziert hatten. Ein Arzt behauptete, er habe eine einzige Schutzmaske für drei Operationen gehabt. Mehrere Quellen aus dem Krankenhaus, die nicht genannt werden wollten, bestätigten, dass sie mit einer Schutzmaske am Tag hätten auskommen müssen. Auch epidemische Protokolle, wie getrennte Eingänge für Personal und Patienten, würden nicht eingehalten. Das Ergebnis: Sieben Krankenschwestern sollen sich mit dem Coronavirus infiziert haben.
Anonym wollten die Mediziner bleiben, weil kurz davor die serbische Regierung angeordnet hatte, dass nur von der Ministerpräsidentin Ana Brnabić ermächtigte Personen Auskunft über alles rund um das Coronavirus geben dürfen. Das ist eine Einschränkung der Meinungs- und Medienfreiheit, dachte ich. Mein Eindruck verfestigte sich, als später gleich sechs Kriminalbeamte meine Kollegin "wegen Rufmordes am Krankenhaus" und dem "Schüren von Panik" verhafteten und ihre Handys und Computer beschlagnahmten.
Serbische Journalisten protestierten scharf (die Minderheit, die nicht in das Zelebrieren des Regimes eingespannt ist), aber auch internationale Journalistenverbände und Vertreter der EU. Ana Lalić wurde freigelassen, die Staatsspitze zog ihre Verordnung über das Zentralisieren von Informationen zurück, erklärte die Kollegin zur "Lügnerin" und das Portal Nova S für staatsfeindlich. Rückkehr zu Sitten wie vor dem Ausnahmezustand, stellte ich erleichtert fest. Andersdenkende werden lediglich dem Spießroutenlauf unterworfen, müssen jedoch nicht in Gefängnis.
3. April 2020 | Russland: Mit Ikonen gegen das Coronavirus
Hallo, ich bin Maxim Kireev aus Sankt-Petersburg. Die Russische Orthodoxe Kirche hat lange gezögert, die Corona-Epidemie als echte Bedrohung wahrzunehmen. Nun sind die Geistlichen endlich an vorderster Front mit dabei. Heute will der oberste Patriarch der Russisch Orthodoxen Kirche, Kirill, Moskau mit einer Gottesmutter-Ikone vor dem Corona-Virus schützen. Im Auto wird er sich und die Ikone durch die Straßen der russischen Hauptstadt fahren lassen. Die Aktion wird also weniger spektakulär ausfallen, wie die des Petersburger Metropoliten Warsenofij. Der hatte Anfang der Woche seinen Segen vom Himmel herab gespendet – aus einem Helikopter. In Moskau ist das Hubschrauberfliegen hohen Regierungsbeamten vorbehalten.
Der Petersburger Metropolit Warsenofij hatte ein Gebet an Gott gesandt, um die Einwohner der Stadt von der Epidemie zu befreien. Auf seinem Rundflug hielt der Geistliche die von vielen Gläubigen als wundertätig angesehene Ikone der Gottesmutter von Kasan in den Händen. Der Helikopter drehte nach Auskunft der Kirchenvertreter eine Runde entlang der Stadtgrenzen von Sankt-Petersburg und flog einmal quer über die Altstadt. «Das Virus, das sich ausbreitet, ist ein Signal, dass wir ein falsches Leben führen», sagte der Geistliche nach seiner Landung.
Dabei könnte es sein, dass ausgerechnet die russische Orthodoxe Kirche selbst dazu beigetragen hat, dass sich die Epidemie weiter ausbreiten wird. Noch vor knapp zwei Wochen ließen Kirchenvertreter in die Petersburger Kasanskij Kathedrale Reliquien von Johannes dem Täufer einfliegen. Die Menschen standen Schlange, um die Reliquien zu küssen. Hunderte Menschen nach einander. Als wenige Tage später der Petersburger Bürgermeister Gottesdienste, wie andere Veranstaltungen auch, untersagte, kritisierte die Kirche diese Maßnahme als verfassungswidrig. Und bestand darauf, dass die Gotteshäuser weiter offen bleiben.
Umso größer fällt jetzt der Spott aus, wenn die Kirche plötzlich Öffentlichkeitswirksam mit Ikonen und Gebeten gegen Corona ankämpfen will.
2. April 2020 | Ungarn: Brote backen und abwarten
Hallo, ich bin Piroska Bakos aus Budapest. Mein Land Ungarn steht wieder in den Schlagzeilen und wieder als abschreckendes Beispiel. "Ungarns Premier Orbán versucht sein Land endgültig in die Diktatur steuern", so das allgemeine Fazit über das am 30. März verabschiedete Notstandgesetz, zumindest in der westeuropäischen Presse. Viktor Orbán kann nun per Dekret, also ohne parlamentarische Zustimmung, regieren und auch Gesetze außer Kraft setzen – allerdings nur solange, wie die Gefahrensituation wegen des Corona-Virus' besteht. Doch wer bestimmt, wann in Ungarn die Gefahrensituation vorbei ist? Wohl auch Viktor Orbán und seine Regierung. Einige meiner Landsleute befürchten deshalb, dass der Notstand für ewig aufrechterhalten wird. Fidesz-Anhänger finden die Maßnahmen dagegen toll. Nur ein starker Führer könne das Volk aus Krise führen, finden sie.
Aber egal, wo man steht, eins ist fest: Mittwochnachmittag kostete 1 Euro mehr als 367 Forint. Noch nie war die ungarische Währung so tief gefallen. Anfang März waren es noch 335 Forint. Jeder hierzulande, ob nun mitte, rechts, links, liberal, grün oder was auch immer, weiss, was das bedeutet: Unser Leben wird teurer. Sehr viele Ungarn versuchen allerdings, davon, und auch von Corona, sowenig Kenntnis zu nehmen wie möglich. Es gibt wunderbare "Tricks" dafür: Yoga oder Meditation online, Gedichte life vorlesen oder backen! Bei uns sind, neben Atemmasken und Toilettenpapier, auch Mehl und Hefe seit Wochen komplett ausverkauft. In Ungarn backt zur Zeit jeder. Facebook ist überflutet mit Fotos und Rezepten. Da gibt es Tipps von der Oma, Rezepte von Spitzenköchen und Tricks, wie man einen Sauerteig herstellt. Und es gibt online auch Challenges, wie jene, wo alle Mitglieder einer Facebookgruppe ein Brot nach dem gleichen Rezept backen, um sich selbst und ihre Kollegen im Homeoffice zu begeistern. Überlebensstrategien, die jetzt wichtiger sind, als je zuvor.
1. April 2020 | Albanien: Nur noch eine Stunde am Tag
Hallo, ich bin Ricardo Fahrig und lebe in Tirana. Es ist Frühling, doch vom Sonnenschein kann ich nur träumen. Denn in Albanien wurden wegen des Coronavirus von Anfang an strenge Maßnahmen ergriffen. Das komplette öffentliche Leben ruht und in der Hauptstadt Tirana ist es ungewohnt still. Die Menschen hierzulande, die die Maßnahmen der Regierung übrigens mehrheitlich begrüßen, erinnert das an die leeren Straßen während der kommunistischen Diktatur unter Enver Hoxha. Privatfahrzeuge gab es damals nicht. Seit gestern wurde die Ausgangssperre noch einmal verschärft. Täglich darf nur eine Person den Haushalt für eine Stunde verlassen, das muss per SMS oder online beantragt werden. Wer älter als 65 Jahre ist, darf das Haus gar nicht verlassen. Die harten Maßnahmen sind durchaus erfolgreich. Bislang gibt es kaum Corona-Tote im Land.
Für die Politik stellen die Maßnahmen eine Gratwanderung dar: Die Bevölkerung soll nicht verunsichert werden, gleichzeitig will man jedoch den Ernst der Lage vermitteln. Der Slogan des amtierenden Premierministers Edi Rama heißt: "Frike aspak, kujdes po!” – "Keinerlei Angst, nur Vorsicht!" An die knapp drei Millionen Einwohner richtet er sich in seinen auf Facebook live gestreamten "Reden an die Nation" und veröffentlicht mehrmals täglich Updates in Großbuchstaben: Die roten Meldungen mit niedrigen Zahlen von Erkrankten und zwölf Opfern zeigen, dass die strengen Maßnahmen erfolgreich sind. Grüne sollen zusätzliche Motivation und Hoffnung vermitteln. Eine besondere grüne Nachricht ist die lang ersehnte und hart erarbeitete Aufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen. Doch die Freude darüber ist nicht nur von den derzeitigen Umständen, sondern auch von der einsetzenden Müdigkeit über uneingelöste Versprechen der EU und die lange Verzögerungen des Beitrittsprozesses getrübt.
31. März 2020 | Wahlrechtsreform durch die "Corona-Hintertür"
Hallo, ich bin Monika Sieradzka aus Warschau. Die Corona-Pandemie bringt offenbar nicht nur Nachteile. Es gibt Parteien und Politiker, die im Schatten der Krise elegant zu neuen Ufern segeln. In Ungarn hat die Fidesz-Partei die Situation gerade geschickt für sich genutzt – Ministerpräsident Orban kann jetzt per Dekret am Parlament vorbeiregieren. Und auch in Polen möchte die regierende nationalkonservative PiS die Gunst der Stunde nicht verpassen. Trotz Coronaviruskrise will sie die Präsidentschaftswahlen am 10. Mai durchführen. Der Grund ist klar: laut Umfragen liegt der amtierende Präsident Andrzej Duda mit knapp 50 Prozent weit vorn in der Gunst der Wähler. Vor vier Monaten ging die PiS als Sieger aus den Parlamentswahlen hervor. Jetzt würde die Wiederwahl des PiS-Kandidaten die Macht der Partei zementieren.
Um dem Vorwurf zu entkommen, dass die Wahlen das Gesundheitsrisiko steigern, hat die PiS in der Nacht auf Samstag im Rekordtempo die Wahlordnung geändert. Die entsprechenden Änderungen sollten allen Personen in der Quarantäne und Menschen über 60 Jahre eine Briefwahl ermöglichen.
Die Opposition kritisiert: die persönliche Übergabe von Briefwahldokumenten steigert das Ansteckungsrisiko, statt es zu verringern. Und Staatsrechtler sehen in der Art, wie die PiS - wieder mal über Nacht und im Eiltempo - das Wahlgesetz änderte, einen Verfassungsbruch. Die Wahlordnung dürfe man nicht so kurzfristig vor den Wahlen ändern, die Frist liege bei 60 Tagen vor dem Wahltag. Auch dürfe man den Abgeordneten nicht in letzter Minute die Änderungsvorschläge in die Hand drücken. Laut Parlamentsordnung bräuchten sie dafür 14 Tage. Daher erklärt die Opposition schon jetzt die Wahlen für ungültig. Und hat dafür noch ein wichtiges Argument: während Präsident Duda im Land herumreist und Hilfe in der Coronavirus-Krise verspricht, bleiben die Oppositionspolitiker im Homeoffice. Ohne den richtigen Wahlkampf dürfe es aber keine Wahl geben – finden Oppositionspolitiker. Deshalb rufen sie schon jetzt ihre Landsleute zum Boykott der Wahlen auf.
30. März 2020 | Das Corona-Virus macht alle Ukrainer gleich
Hallo, ich bin Denis Trubetskoy aus Kiew. Bereits seit zwei Wochen lebt die Ukraine in einer harten Quarantäne. Ich darf zwar noch meine Wohnung verlassen, besonders mobil kann ich aber nicht mehr sein. Denn selbst die U-Bahn hat hierzulande dicht gemacht, andere Verkehrsmittel des ÖPNV sind lediglich für systemrelevante Berufe zugänglich. Die Fallzahl ist mit aktuell 480 Infizierten vergleichsweise gering, steigt jedoch um etwa um Hundert pro Tag. Denn vernünftig testen kann die Ukraine eben erst seit ein paar Tagen. Bald wird die bittere Realität also offensichtlich.
Die Ukraine gehört zu den ärmsten Ländern Europas. Laut einer Umfrage des Forschungsinstituts Gradus haben 57 Prozent meiner Landesleute in vier Wochen keine Ersparnisse mehr. Die Quarantäne ist zuletzt bis zum 24. April verlängert worden. Womöglich wird sie die wirtschaftliche Existenz vieler Ukrainer vernichtet. Doch immerhin: Das Virus macht irgendwie alle gleich. Es hat auch reiche Ukrainer, darunter mehrere Parlamentsabgeordnete, erwischt. Und die konnten sich wegen der geschlossenen Grenzen nicht wie gewohnt in teure Kliniken in Deutschland und in der Schweiz einliefern, sondern sind wie ihre Landsleute auf das chronisch unterfinanzierte staatliche Gesundheitssystem angewiesen.
"Es rufen heutige Abgeordneten, gestrige Minister, alle möglichen Politiker bei mir an", schreibt Olexij Dawydenko, Unternehmer im Bereich Medizinausrüstung, auf Facebook. "Alle versuchen im Voraus nötige Kontakte in den Krankenhäusern zu finden. Die (eher mittelmäßige - D.T.) Kiewer Olexandrow-Klinik ist jedoch das Beste, was sie jetzt haben. Sie bauten diese Ukraine für uns auf, nun müssen sie auch selbst hier leben", so Olexij Dawydenko. Mittlerweile ist bei sechs Parlamentsabgeordneten ein positiver Covid-19-Befund bestätigt worden, zu den weiteren Prominenten zählt der einflussreiche Multimillionär Walerij Choroschkowskyj. Einige der Infizierten haben das verlängerte Wochenende um den 8. März, den im postsowjetischen Raum groß gefeierten Frauentag, ausgerechnet im französischen Courchevel verbracht. Dort haben sich auch Teile der russischen Elite angesteckt.
Im Parlament ist die Angst vor der weiteren Coronavirus-Ausbreitung besonders bemerkbar. So diskutiert man etwa über die Austragung der Sitzungen im Innenhof der Werchowna Rada. Die Kiewer Stadtverwaltung hat dagegen die Krankenhäuser verpflichtet, VIP-Betten einzurichten, Security und Krankenschwestern rund um die Uhr inklusive. Bürgermeister Vitali Klitschko reagierte auf das Leak der entsprechenden Verordnung mit der selbst für hiesige Verhältnisse lächerlichen Ausrede, die VIP-Betten seien nicht für die Elite, sondern lediglich für Häftlinge gedacht. Das machte die Empörung im Netz noch größer. Letztlich musste sich der Präsident Wolodymyr Selenskyj einschalten. "Wir sind nicht die Sowjetunion. Extra-Betten für Zentralkomitee-Mitglieder wird es nicht geben", betonte er. "Ihr werdet genau in den Kliniken untergebracht, die ihr in 28 Jahren gebaut habt." Wie das Versprechen von Selenskyj in der Praxis umgesetzt wird, bleibt noch abzuwarten.
29. März 2020 | Rumänische Ärzte: Mülltüten als Schutzkleidung
Hallo, ich bin Anca Titorov aus Rumänien. Hier stehen wir noch am Beginn der Corona-Krise. Mit knapp 1.000 Infizierten liegen wir immer noch hinter vielen europäischen Ländern. Und doch sieht man auf meiner Straße keinen Menschen mehr. Einerseits wegen der am 25. März verhängten Ausgangssperre, andererseits, weil die Menschen hier verängstigt sind.
Es ist zwar seit langem bekannt, dass das Gesundheitssystem in Rumänien schwach und keinesfalls auf eine Krisensituation vorbereitet ist, aber was jetzt in den hiesigen Krankenhäusern geschieht, hat sogar unverbesserliche Optimisten ein bisschen erschreckt. Mancherorts sind so viele Ärzte und Pflegekräfte mit dem Coronavirus infiziert, dass die Kliniken geschlossen werden mussten. Die Krankenhäuser scheinen jetzt eines nach dem anderen zu kolabieren. Und weil es an allem mangelt, wird improvisiert, was das Zeug hält. In den Medien erschienen Fotos eines Arztes aus der Stadt Craiova, der mangels Schutzausrüstung mit Heftpflaster befestigte Müllsäcke an den Füßen trägt. Und dann trat am 26. März auch noch der Gesundheitsminister zurück…
Glücklicherweise brachte am selben Tag ein NATO-Transport 45 Tonnen medizinische Ausrüstung aus Südkorea ins Land. Bei aller Dramatik, hat die Situation auch einen positiven Aspekt: Rumänien erlebt eine Welle der Solidarität, der Großzügigkeit und der Menschlichkeit, wie es sie seit Jahrzehnten nicht gab. Und auch die Botschaft aus Italien ist hier inzwischen angekommen: "Andra tutto bene". "Totul va fi bine." "Alles wird gut."
27. März 2020 | From Russia with Love
Hallo, ich bin Maxim Kireev aus Sankt-Petersburg. In Russland wurde die Corona-Epidemie sehr lange von den Menschen auf die leichte Schulter genommen. Noch immer gibt es in Sankt-Petersburg Berufsverkehr und Staus, in den Schlangen an der Kasse stehen Menschen dicht gedrängt und Freunde laden sich gegenseitig zu Partys und Geburtstagen ein.
Doch seit wenigen Tagen wird der Ernst der Lage zunehmend deutlich. In den Großstädten werden Krankenhäuser für Corona-Patienten freigeräumt. Im Umland von Moskau und Sankt-Petersburg ziehen Bauarbeiter im Eiltempo und rund um die Uhr nach chinesischem Vorbild neue Krankenhäuser mit Infektionsstationen hoch. Erst vor wenigen Tagen warnte der Chefarzt der wohl nun bekanntesten Klinik des Landes im Moskauer Viertel Kommunarka vor laufenden Kameras, es drohe ein italienisches Szenario.
Vor diesem Hintergrund geraten einige Maßnahmen der Regierung nun in die Kritik. Etwa die großzügige Geste von Wladimir Putin, neun Militärmaschinen mit Ausrüstung und einem 100-Mann starken Team von Militär-Virologen nach Italien zu schicken. "From Russia with Love" prangte auf den Fahrzeugen. Als die Hilfsaktion beschlossen wurde, hatte Russland selbst offiziell weniger als 200 Infizierte.
Doch weil es mittlerweile jeden Tag mehrere Hundert neue Infektionen gibt, kritisieren manche Ärzte und Mediziner diesen Schritt. Schließlich ist die staatliche Medizin in der russischen Provinz selbst oft in einer desolaten Situation. "Mir wäre es lieb, wenn sie bald wieder nach Russland zurückkehren, weil es hier wahrscheinlich bald genauso aussieht wie in Europa", sagte ein Virologe im russischen Staats-TV. Andere Mediziner machen ihrem Ärger vor allem in sozialen Netzwerken Luft.
Die russischen Behörden haben eine Liste veröffentlicht mit Dingen, die Krankenhäuser nun für den Notfall vorhalten müssen. Doch es fehlt an Schutzkleidung und mancherorts sogar an Desinfektionsmitteln. Vor allem in Krankenhäusern, die auf Infektionen gar nicht ausgelegt sind, aber trotzdem die Vorgaben befolgen müssen. Andere Einrichtungen helfen sich da einfach selber. Die Mitarbeiterin einer privaten Krankenversicherung zeigte mir erst vor wenigen Tagen ein Schreiben ihrer Vorgesetzten. Darin steht die Anweisung mehrere Flaschen hochprozentigen Alkohol zu kaufen für das Büro. Desinfektionsmittel in dem Umfang aufzutreiben, sei unmöglich.
26. März 2020 | Geflüchtete nähen Atemmasken für polnische Kliniken
Hallo, ich bin Monika Sieradzka aus Warschau, normalerweise viel unterwegs und derzeit viel zu Hause. Seit gestern gilt in Polen eine Ausgangssperre bis auf die Fälle, wenn man zur Arbeit, einkaufen oder zur Apotheke muss. Das hat bekanntlich seine Vorteile: Man hat etwas mehr Zeit für einander. Ich habe ganz lange mit der Stiftung "Wanderfrauen" aus Danzig telefoniert, weil ich mehr über die inzwischen bekannte Aktion "Wir nähen Schutzmasken" erfahren wollte. In ganz Polen werden derzeit alte Klamotten gesammelt, aus denen man kleinere Stoffstücke gewinnt, um daraus Schutzmasken für Ärzte zu nähen. Man (Frau) muss keine professionelle Schneiderin sein, man braucht nur eine Nähmaschine zu Hause. Dass das polnische Gesundheitssystem stark unterfinanziert ist, ist bekannt. Auch Schutzmasken fehlen. So gewinnen die gesellschaftlichen Aktionen, wie Maskennähen oder massive Geldspenden, für Krankenhäuser an Bedeutung.
Die Danziger Initiative ist eine besondere, weil sie von Einwanderern gestartet wurde. Ja, es gibt sie auch in Polen, obwohl Polens Regierungen in den letzten Jahren immer gegen die Aufnahme von Migranten waren. Doch in Danzig waren sie willkommen, das war die Politik des ermordeten Bürgermeisters Pawel Adamowicz. Vor anderthalb Jahren hat die tschetschenische Pädagogin Khedi Alieva zusammen mit ihrer Schwester Aminat, übrigens Schneiderin von Beruf, die Stiftung "Wanderfrauen" gegründet und zusammen mit den polnischen NGOs Integrationsprojekte gemacht. Jetzt, in den schwierigen Zeiten, starteten sie die Aktion "Wir nähen Schutzmasken" - aus Dankbarkeit an das liberale Danzig, das sie aufgenommen hat. Viele Polen haben sich der Aktion angeschlossen und im ganzen Land wird jetzt tüchtig genäht. Wieder so typisch polnisch: In schwierigen Zeiten ist die Solidarität wieder da.
25. März 2020 | Schnelltests aus China: Ein teurer Flop
Hallo, ich bin Helena Šulcová aus Prag. Hanka, eine gute Freundin von mir, wollte sich Anfang März auf das Coronavirus testen lassen. Zwei Tage lang hat sie versucht, über die eigens dafür eingerichtete Hotline das Hygieneamt in Prag zu erreichen. Ohne Erfolg. Zu viele Anrufe, zu wenige Orte, wo auf Corona getestet wurde. Hanka hat dann aufgehört, sie hatte doch keine Symptome, und den Test wollte sie nur zur Sicherheit. Seitdem hat sich die Situation verändert, es gibt in Tschechien etwa 50 zertifizierte Labore, in denen auf Corona getestet wird.
In dieser kritischen Situation sollten auch aus China bestellte Schnelltests helfen. Doch an der Zuverlässigkeit der Tests zweifelt man hier. 300.000 Corona-Schnelltests hat die tschechische Regierung bestellt. Ein Militärflugzeug mit den ersten 150.000 Tests an Bord landete vergangene Woche in Prag. Gleich drei Regierungsmitglieder haben die Lieferung vom Flughafen abgeholt. Auf die Freude folgte schnell Ernüchterung. Eine Woche später meldete sich nämlich die Chefin des Hygieneamtes aus Ostrava, Pavla Svrčinová und meinte, fast 80 Prozent der chinesischen Tests zeigten ein falsches Ergebnis. "Die Tests zeigen nicht nur falsche negative, sondern auch falsche positive Ergebnisse”, sagte sie.
Der stellvertretende Gesundheitsminister Roman Prymula verteidigt den Kauf: "80 Prozent Fehlerquote ist nicht wahr. Dass es aber mindestens 20 bis 30 Prozent Fehlerquote gibt, ist bekannt, so funktionierte es auch in China. Andere Schnelltests haben wir aber nicht." Man wartet jetzt auf Ergebnisse aus dem ganzen Land, erst dann kann man sagen, ob Tschechien die Katze im Sack aus China gekauft hat. Und obendrein hätten sie diese auch noch teuer bezahlt, denn die Tschechen haben insgesamt zwei Millionen Euro für die Schnelltests aus China ausgegeben.
24. März 2020 | Von fünf bis fünf: Ausgangssperre in Serbien
Hallo, ich bin Andrej Ivanij aus Belgrad. Bei uns in Serbien ist die Lage irgendwie grotesk. Noch vor kurzem machte sich die Staatsführung lustig über das Corona-Virus. Auf einer Pressekonferenz empfahl ein Arzt sogar, dass man seine Frauen nach Mailand schicken solle, weil man dort jetzt so billig einkaufen könne. Und dann - kurze Zeit später - wurden plötzlich extrem harte Maßnahmen beschlossen. Mittlerweile darf ich schon ab 17 Uhr nicht mehr aus dem Haus gehen. Bis 5 Uhr morgens herrscht eine totale Ausgangssperre. Und wer älter als 65 ist, darf seine Wohnung gar nicht mehr verlassen. Auf der Straße patrouillieren bewaffnete Polizisten und Soldaten.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 19. April 2020 | 19:30 Uhr