Diesmal kein fröhliches Fest In Belarus wird Weihnachten zweimal gefeiert
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20. Dezember 2020, 11:04 Uhr
In Belarus ist nur knapp die Hälfte der Bürger gläubig und diejenigen, die sich als Christen betrachten, sind teils katholisch, teils orthodox. Weihnachten wird deshalb zweimal gefeiert und Geschenke gibt es sogar dreimal - zu den beiden Feiertagsterminen der christlichen Konfessionen und an Neujahr.
Meine ganze Kindheit lang wurde in meiner Familie nie Weihnachten gefeiert, obwohl es offiziell in Belarus nicht nur einen, sondern gleich zwei staatliche Weihnachtsfeiertage gibt: am 25. Dezember (katholisch) und am 7. Januar (orthodox). Der Grund dafür ist die große Verbreitung der katholischen Kirche im westlichen Teil des Landes. In der Zwischenkriegszeit gehörte West-Belarus fast 20 Jahre lang zu Polen und noch früher war es Teil des polnisch-litauischen Reichs. Deshalb ist dieser Landstrich stark von polnischer Kultur und Religion geprägt.
Bis heute werden kleine Dörfer in dieser Gegend von sehr religiösen Katholiken bewohnt. Insgesamt gibt es eineinhalb Millionen Anhänger des Katholizismus in Belarus – bei einer Bevölkerung von 9,3 Millionen, von denen etwa die Hälfte gläubig ist, ist das eine bedeutende Zahl. Ende der 1990er-Jahre, nach dem Zerfall der Sowjetunion, in der religiöse Feste offiziell nicht gefeiert wurden durften, beschloss die Regierung, beide Weihnachtsfeste zu nationalen Feiertagen zu erklären. Vor drei Jahren folgte auch die Ukraine dem belarussischen Beispiel.
Dreimal mehr Geschenke
Für mich und meine konfessionslose Familie war Neujahr immer das Hauptfest, was für die ganze Region typisch ist. Später schloss sich mein Bruder der orthodoxen Kirche an, und manchmal feiere ich mit ihm und seiner Familie am 6. Januar Heiligabend. Am 24. Dezember laden meine katholischen Freunde zum Feiern ein. Zweimal Weihnachten in einem Jahr. Geschenke bekommt man sogar dreimal: an den beiden Feiertagen und an Neujahr, wo der Weihnachtsmann die schönsten und größten Geschenke unter die Tanne legt. Die Kehrseite aber: Man muss auch dreimal mehr Geschenke besorgen!
Eine Freundin von mir, Ksenia, hat einen katholischen Vater und eine orthodoxe Mutter. Die ganze Kindheit feierte sie zweimal Ostern und zweimal Weihnachten. "Das orthodoxe Weihnachtsfest ist für mich irgendwie mehr kirchlich geprägt, was auf den Tisch kommt, ist viel karger", erzählt sie. Das kommt daher, dass die Orthodoxen bis Heiligabend sehr streng fasten: Es dürfen kein Fleisch, keine Eier und keine Milch auf dem Tisch stehen. "Die Geschenke habe ich zu den katholischen Feiertagen bekommen, zu den orthodoxen nicht“, erinnert sich Ksenia.
Weihnachtsessen mit Tücken
Ich selbst hatte in der Kindheit gar kein Weihnachtsfest und heute feiere ich, wenn überhaupt, bei Freunden oder bei meinem Bruder. Dabei gibt es jedes Mal diesen peinlichen Moment, an dem man eine slawische Weihnachtsspeise essen muss, die ich nicht ertragen kann und doch essen muss, um die Gastgeber nicht zu beleidigen. Kutija heißt sie und wird aus Reis oder Getreide zubereitet.
Belarussische Sternsinger sind UNESCO-Welterbe
Auch die Sternsinger gehen gleich dreimal durch die Gegend, bei uns unter dem Namen "Kaliadavanne". In Belarus ist das noch ein richtiges Spektakel: Die Sternsinger verkleiden sich, gehen von Tür zu Tür, singen, tanzen oder führen ein kleines Theaterstück auf. Den kleinen Sternsingern spendet man dann Süßigkeiten, den Erwachsenen gibt man Geld. Die verkleideten Menschen kann man in der Stadt, vor allem aber auf dem Land, um den 24. Dezember, 6. Januar und 13. Januar treffen. Der 13. Januar ist in Osteuropa als "altes Neujahr" bekannt, in Belarus als „Schtschodrets“. Die Sternsinger aus dem Dorf Semezheva, 140 km von Minsk entfernt, befinden sich sogar auf der UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes.
Politik verdirbt Fest
In der Hauptstadt machen sich die beiden Weihnachtsfeiertage noch auf eine andere Art bemerkbar: durch allgegenwärtige Feuerwerke und Pyrotechnik. In diesem Jahr fehlt das aber gänzlich. Seit dem 11. August ist Pyrotechnik in Belarus verboten, weil die Regierung Angst hat, dass die Protestierenden sie gegen Polizisten anwenden könnten. Auch der traditionelle Umzug kurz vor Neujahr, zu dem viele Menschen in Väterchen-Frost- oder Schneeflöckchen-Kostüm erscheinen, wurde abgesagt – offiziell wegen der Corona-Pandemie.
Es ist also ruhig auf den Straßen und auch in den Geschäften. Der Inhaber eines Internetshops erzählte mir, dass man derzeit große und teure Dinge nicht kauft, denn die Menschen leben in einem Zustand der Ungewissheit. Anscheinend bekommen dieses Jahr viele Belarussen nur etwas Geld geschenkt – wenn sie überhaupt etwas bekommen. Die Stimmung ist angesichts der Lage im Land nicht besonderes festlich. Während in manchen Kirchen, meist katholischen, für Opfer der Polizeigewalt gebetet wird, verstärken Sicherheitskräfte den Druck auf katholische Priester weiter. Einige werden wegen der Teilnahme an Protesten oder wegen eines Posts in den sozialen Medien für zehn Tage eingesperrt. Das Oberhaupt der belarussischen katholischen Kirche, Erzbischof Tadewusch Kandrusewitsch, wurde nach einer kurzen Reise nach Polen am 31. August nicht mehr ins Land zurückgelassen, obwohl er die belarussische Staatsbürgerschaft besitzt. Danach blieb er drei Monate lang in Polen und hiet in den europäischen Nachbarländern Gottesdienste für den Frieden in seiner Heimat ab. Erst kurz vor Weihnachten signalisierte die Regierung in Minsk, ihn wieder ins Land lassen zu wollen.
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