Frau steht an einem Tisch vor einer Tafel und schreibt
Seit Anfang April gibt es in der Ukraine Fernsehunterricht für Schulkinder. Damit will der Staat sicherstellen, dass durch die Epidemie kein Schüler abgehängt wird. Bildrechte: Olha Manmar

Fernunterricht Ukraine: Lehrer als Fernsehstars

06. Mai 2020, 05:00 Uhr

Seit April findet der Schulunterricht in der Ukraine wegen Corona auch im Fernsehen statt. Das Großprojekt des Präsidenten Wolodymyr Selenskyj kommt durchaus gut an, ist aber eine Herausforderung für die Lehrer.

Mann vor Flagge
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Noch vor wenigen Monaten hätte sich die Kiewer Englisch-Lehrerin Olha Manmar nicht vorstellen können eine Fernsehkarriere zu machen. Doch seit Anfang April gehört sie zu den Lehrern in der Ukraine, die an der sogenannten "Allukrainischen Online-Schule" unterrichten. Jeden Morgen von Montag bis Freitag strahlen elf ukrainische Fernsehsender Unterrichtsendungen für Schüler aller Klassen aus. Das Projekt wurde vom Präsidenten Wolodymyr Selenskyj initiiert, der vor dem Wechsel in die Politik selbst ein erfolgreicher Fernsehproduzent war. So sollen die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Schulbildung im Land minimiert werden.

Kaum Zeit für die Vorbereitung

"Wir hatten nur eine Woche, um uns auf den Start der Fernsehschule vorzubereiten. Ich hatte etwas Angst vor der ersten Aufzeichnung. Und vor der Kamera bin ich immer noch aufgeregt", berichtet Manmar. Sie unterrichtet Englisch für die 11. Klasse, muss also die Schüler auf die zentralen Abschlussprüfungen vorbereiten. Das Bildungsministerium will diese unbedingt Ende Juni durchführen.

Frau hält Zeitschrift
Olha Manmar ist Englischlehrerin in Kiew. Seit die ukrainischen Schulen jedoch Corona bedingt geschlossen sind, unterrichtet sie über das Fernsehen ein landesweites Schülerpublikum. Bildrechte: Olha Manmar

Gleiche Chancen für alle Schüler

"Eine Abschlussklasse zu unterrichten stellt eine große Verantwortung dar", betont Manmar. Während in Großstädten wie Kiew fast alle Lehrer und Schüler über die technischen Möglichkeiten für Online-Unterrricht verfügen, ist es in der Provinz damit deutlich komplizierter. Doch die landesweite Prüfung, die auch für den Hochschulzugang ausschlaggebend ist, darf man nur einmal ablegen. Die Lehrerin muss daher sicherstellen, dass der vermittelte Unterrichtsstoff bei allen Schülern gleichermaßen ankommt. "Gleiche Chancen für alle" ist denn auch der Hauptgedanke hinter dem Fernsehprojekt. Dies sicherzustellen ist aber schwierig, unter anderem weil die Schüler keine Möglichkeit haben, in Echtzeit Fragen zu stellen.

Lehrer unter Beobachtung

"Wir zeichnen den Unterricht in einer Schule auf. Im Raum sind nur ein Kameramann und ein prominenter Gast. Bei mir war das mal die bekannte Rapperin Alina Pash. Das ist eine völlig ungewohnte Situation. Die Unterrichtskonzepte müssen daher von vornherein perfekt durchdacht werden", erzählt Manmar. Kein Wunder also, dass den Lehrern vor allem am Anfang Fehler unterlaufen sind, die ein heftiges Medienecho nach sich zogen. So heftig, dass der Präsident sich zu Wort meldete und um Verständnis für die schwierige Situation der Lehrer bat. Auch sie hätten ein Recht auf Fehler, so Selenskyj.

Olha Manmar, die noch mindestens bis Ende Mai im Fernsehen unterrichten muss, hat mittlerweile ihren Spaß an der Sache gefunden. "Es ist zwar stressig, aber auch recht cool, plötzlich TV-Makeup zu bekommen und vor einem Millionenpublikum aufzutreten." Nach den Sendungen schaut sie gleich auf YouTube nach, wie viele Likes und Dislikes sie dort für die Unterrichtseinheit bekommen hat.

Heimunterricht in der Ukraine
In der ukrainischen Hauptstadt Kiew findet der Unterricht großteils per Videochat statt. Doch in den ländlichen Regionen hat bei weitem nicht jedes Kind einen Laptop zur Hand und schnelles Internet im Haus. Bildrechte: imago images/Ukrinform

Die Fernsehschule kommt gut an

Die Resonanz unter den Schülern ist überwiegend positiv, besonders auf dem Land. "Ich gucke mir den Unterricht ständig an, weil er interessant ist. Die Lehrer erklären die Themen verständlich und unterhaltsam. Ich habe recht viel dabei gelernt", meint eine 13-jährige Schülerin aus Lwiw gegenüber dem MDR. Aber es gibt auch andere Stimmen. Vor allem Kiewer Schüler berichten, dass sie bei ihrem Fernunterricht in Corona-Zeiten von den Lehrern eher mehr Aufgaben bekommen würden als zuvor und deswegen schlicht keine Zeit hätten, sich den Unterricht im Fernsehen anzusehen.

Progressive Corona-Lösungen an den Universitäten

Auch die ukrainischen Universitäten haben sich der neuen Lage angepasst. "Bei uns werden Diplomarbeiten via Zoom verteidigt. Die Prüfungen werden wohl ähnlich ablaufen", berichtet Walerija Hawrylenko, die an der Nationalen Technischen Universität in Kiew Englisch unterrichtet. Dabei sei es dem Dozenten überlassen, wie er den Unterricht gestaltet. "Ich gebe meine Seminare via Zoom oder Discord. Bei kleinen Gruppen geht das wunderbar. Bei größeren allerdings sind mehr Studenten abwesend als sonst – oder sie schalten einfach das Mikro aus und machen ihre eigenen Sachen. Dagegen kann ich aber aus der Entfernung leider nichts machen."

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 17. April 2020 | 21:45 Uhr

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