Corona-Pandemie Rumänien: Eiskalte Krankenhäuser in Timisoara

30. Oktober 2021, 04:37 Uhr

Eine der niedrigsten Impfquoten der EU und ein marodes Gesundheitssystem – Rumänien hat in diesem Herbst besonders stark mit der vierten Corona-Welle zu kämpfen. Nun ist im westrumänischen Timisoara auch noch die städtische Wärmeversorgung ausgefallen. Zehntausende Haushalte sind betroffen, ebenso die Mehrheit der Krankenhäuser der Stadt. Die Erdgaspreise sind für die hoch verschuldeten Stadtwerke unbezahlbar geworden. Der Stadt und ihren Einrichtungen steht ein harter Winter bevor.

Man könnte meinen, dass sich Dramen nicht steigern lassen können, doch im westrumänischen Timisoara ist das in dieser Woche geschehen. Am Dienstag richteten die Direktoren von fünf Krankenhäusern der Stadt einen Appell an alle Erdgasversorger des Landes, sie sollten die Gesundheitskrise nicht noch durch eine Energiekrise verstärken. Dem Großteil der Kliniken der Stadt war kurzum die Fernwärme abgestellt worden, auch warmes Wasser gibt es keines mehr. Betroffen ist nicht nur das medizinische Personal, sondern hunderte Patienten, darunter viele Corona-Infizierte.

Schriftlicher Appell von Krankenhäusern

Der schriftliche Appell klingt verzweifelt. Die Mediziner schreiben davon, wie sie gerade gegen das erbarmungslose Coronavirus kämpften. Sie gingen bei ihren Anstrengungen weit über ihre Kräfte hinaus. Es ist eine Anspielung auf die Dauerbelastung, die seit Monatsbeginn alle Krankenhäuser in Rumänien erleben. Alle nicht lebensnotwendigen Operationen sind abgesagt. Stattdessen nehmen die Spitäler landesweit täglich Hunderte neuer Corona-Patienten auf, teils mit schweren Verläufen. Sie wissen längst nicht mehr, wie sie sie noch versorgen sollen. Es fehlt an Medikamenten, an Beatmungsgeräten, an Intensivbetten – an medizinischem Personal. In Timisoara fehlt es jetzt obendrein an ausreichend Wärme in den Krankenzimmern einiger Krankenhäuser. In dem Schreiben der Mediziner heißt es weiter:

Wir bitten Sie, die großen Gasproduzenten und -lieferanten in Rumänien, die gleichen Anstrengungen zu unternehmen, um das Leben unserer Mitbürger zu retten.

Aus dem Appell der Direktoren von fünf Krankenhäusern in Timisoara

Einkauf zu Tagespreisen sorgt für hohe Kosten

Doch was ist in der westrumänischen Stadt geschehen, die als Boom-Stadt gilt und seit Jahren als attraktiver Standort für westliche Investoren? Der Erdgasversorger E.ON Energie Romania hatte am Dienstag den Stadtwerken den Gashahn zugedreht, mit dem Hinweis auf die "historischen Schulden", die das kommunale Unternehmen Colterm über die Jahre gesammelt habe. Sie belaufen sich rumänischen Medienangaben zufolge inzwischen auf rund 65 Millionen Euro, allein bei E.ON Energie Romania stehen die Stadtwerke mit umgerechnet gut 16 Millionen Euro in der Kreide.

E.ON hatte sich daher nur noch auf Tagesverträge mit Colterm eingelassen, nur die Tagespreise für Erdgas fallen derzeit besonders hoch aus. Zu Monatsmitte meldeten die Stadtwerke Insolvenz an, zu hoch die Finanzlast für die Schuldentilgung, die Verzugszinsen und die aktuellen Gaspreise. Allein die Kosten für die städtische Wärmeversorgung würden sich derzeit täglich auf eine halbe Million Euro belaufen, erklärte diese Woche Bürgermeister Dominic Fritz in der rumänischen Presse. Kurzum: Sie sind gerade unbezahlbar für Konsumenten und Kommune geworden, die den Gaspreis für die Verbraucher kräftig subventioniert.

Hohe Erwartungen an Deutschen aus Schwarzwald

Es ist wohl eine der schwersten Verwaltungskrisen, die der gebürtige Deutsche aus Baden-Württemberg in seiner Stadt lösen muss, nachdem er vor gut einem Jahr bei den Lokalwahlen in Timisoara überraschend den Bürgermeisterposten errang. In der multikulturellen Stadt, die auf Deutsch Temeswar heißt, leben seit Jahrhunderten Rumänen, Ungarn, Serben, Deutsche, Roma und andere Nationalitäten. Viele Einwohner sind mehrsprachig. Fritz' Wähler hatten hohe Erwartungen an ihn, die sich seit Jahren angestaut hatten. Er sollte aufräumen mit dem Missmanagement, der Vetternwirtschaft und der Korruption in der Verwaltung. Doch der 37-Jährige hat seit Amtsantritt vor allem eine Stadt in einer Pandemie zu verwalten, die nicht nur in Timisoara, sondern in ganz Rumänien gerade einen Höhepunkt erreicht.

Der neugewählte Bürgermeister von Timisoara (Rumänien), Dominic Fritz
Bürgermeister Dominic Fritz stammt aus dem baden-würrtembergischen Lörrach, seit Oktober 2020 ist er Bürgermeister von Timisoara. Bildrechte: ARD Studio Wien

Von einer "verheerenden Nachricht für alle", die jetzt im Krankenhaus lägen oder zu Hause Kinder oder ältere Bürger zu betreuen hätten, sprach der Bürgermeister am Dienstag, als er die Einstellung der Wärmeversorgung für Teile der Stadt verkünden musste. Betroffen sind nicht nur Spitäler, Universitäten, Schulen sondern auch die Hälfte aller 100.000 Haushalte, die jetzt im Kalten sitzen. Nichts erhitzt gerade die Gemüter in Timisoara so stark wie dieser Versorgungsengpass in der etwas kühleren Jahreszeit. Immer wieder erklärt Fritz in Medien-Interviews oder in Facebook-Post, dass die aktuellen Gaspreise nicht zu bezahlen seien, auch nicht für eine Stadt wie Timisoara, die zu den finanzkräftigsten in Rumänien gehört. Er erntet dabei täglich von hunderten Facebook-Nutzern scharfe Kritik, die ihm vor allem persönliches Unvermögen vorwerfen, er ist der Buhmann in der Krisensituation.

Energiekrise wird auch andere Städte ereilen

Die Energiekrise, die die Stadt Timisoara erlebt, wird jedoch kein Einzelfall im Land bleiben, warnt die Energieexpertin Ana Otilia Nutu vom Bukarester Think Tank Expert Forum im MDR-Gespräch. Vielmehr sei zu erwarten, dass ab November jede größere rumänische Stadt ihre kommunalen Fernheizwerke wegen der historisch hohen Gaspreise nur noch stundenweise werden laufen lassen. Viele der Stadtwerke schrieben seit Jahren rote Zahlen. "Das wird mit Sicherheit ein schwerer Winter werden", sagt Nutu. Dass Colterm in Timisoara schon jetzt in massiven Zahlungsschwierigkeiten stecke, liege an den bisherigen Verträgen, die an die besonders hohen Tagespreise gekoppelt seien, während die anderen Kommunen über Monatsverträge mit den Gasversorgern verfügten. "Da wird die hohe Rechnung zu Monatsende ins Haus flattern", sagt Nutu.

Finanzspritze aus Bukarest lässt auf sich warten

Einen Kredit aufzunehmen, um ihre Städte über die Heizkosten des Winters zu bringen, ist den Bürgermeistern laut öffentlichem Finanzrecht untersagt. Rathauschef Fritz sieht daher derzeit nur einen Ausweg: Eine millionenschwere Finanzspritze von der Bukarester Regierung, mit der die Stadtwerke einen neuen Vertrag aushandeln könnten, möglichst auf Augenhöhe mit dem Gasproduzenten. Nur wird sich Fritz wohl in Geduld üben müssen. Seit Monatsbeginn ringen die Parteien im Parlament um eine neue Regierungskoalition. Statt angesichts der dramatischen Lage in den Krankenhäusern die politische Lage zu lösen, liefern sich die Parteien täglich neue Machtkämpfe. Die gestürzte Regierungskoalition aus liberaler PNL und Ungarnverband UDMR ist derzeit nur geschäftsführend tätig: Über Finanzspritzen darf sie damit nicht entscheiden, mögen sie gerade noch so lebenswichtig sein.

Tageweise Minimalversorgung

Geduld und Zeit haben die betroffenen Krankenhäuser längst nicht mehr. Sie holen für ihre Patienten die Winterdecken aus den Lagern, sie heizen die Räume mit Klimaanlagen, sie suchen Sponsoren für Schlafsäcke. Jede Spende ist willkommen. Auch Bürgermeister Fritz sucht nach Wegen und Lösungen in seinem wohl ausgekühlten Rathaus, das normalerweise von den Stadtwerken mit geheizt wird. Am Donnerstag postete er auf Facebook, er habe einen Gasproduzenten gefunden, von dem man eine Minimalversorgung bekomme, so dass Colterm zumindestens in den Nächten Wärme produzieren könne. Der Vertrag laufe bis Montagfrüh um 7 Uhr. Was danach kommt, ist offen. Noch sind die Temperaturen in Timisoara herbstlich, die kalten Tage kommen noch.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL FERNSEHEN | 28. Oktober 2021 | 19:30 Uhr

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