Tourismus Ein Inka-Schatz im polnischen Gebirge?
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10. August 2024, 16:16 Uhr
Eine Floßfahrt auf dem Dunajez gehört zu den Erlebnissen, die man nicht schnell vergessen wird. Auf einer Länge von 15 Kilometern schlängelt sich der Nebenfluss der Weichsel zwischen den steilen Felswänden des Pieninen-Gebirges, die bis zu 350 Meter hoch über dem Wasserspiegel aufragen. Noch Stunden nach der Tour klingen in den Ohren vieler Besucher das Rauschen des reißenden Flusses und die bildhaften Erzählungen der Flößer.
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Die Dunajez-Floßfahrt gehört zu den größten Attraktionen in Südpolen. Gut eine Viertelmillion Touristen jährlich, in Spitzenjahren sogar deutlich mehr, gönnen sich dieses Erlebnis. In der Hochsaison muss man dafür lange anstehen.
Was man heute kaum noch weiß: Die beliebte Attraktion war im Grunde ein Nebenprodukt der Entwicklung des Dorfes Szczawnica zu einem landesweit bekannten Kurort. Das Flößerhandwerk war hier zwar seit Jahrhunderten bekannt, doch anfangs beförderte man auf dem Wasser fast ausschließlich Holz. Erst als seit den 1830er Jahren immer mehr Gäste den damals noch jungen Kurort ansteuerten, kam man auf die Idee, Floßfahrten durch den landschaftlich reizvollen Dunajez-Durchbruch anzubieten.
Die Zeiten des intensivsten Kurbetriebes im 19. Jahrhundert und später im Sozialismus hat der nahe der slowakischen Grenze gelegene Ort wohl hinter sich, doch für viele ist er aus mehreren Gründen nach wie vor ein Must-See in den polnischen Bergen. Die Heilquellen und die schöne Lage sind dabei nur zwei Argumente. Das Markenzeichen von Szczawnica ist die originelle Architektur, die manche als eine Mischung der Baustile von Tirol und der Schweiz mit einem spürbaren Hauch des einheimischen Karpaten-Stils bezeichnen. Die im 19. Jahrhundert aus Holz errichteten Erholungsheime und Villen, noch nicht alle in einem top sanierten Zustand, verleihen dem Städtchen das Ambiente eines Kurortes aus der Belle-Époque.
Mit dem Floß zwischen den Felsen
Doch auch die größten Fans von Szczawnica werden es zugeben: Nur wer eine Floßfahrt auf dem Dunajez erlebt hat, der kann behaupten, in den Pieninen gewesen zu sein. "Eine felsige, winkelige Schlucht, durch die ein Fluss fließt. Und auf diesem Fluss fahren Flöße, die bis zu zwölf Passagiere mitnehmen können", beschreibt Stanisław Migdał, Vizepräsident der Polnischen Vereinigung der Pieninen-Flößer, den Reiz dieser Attraktion.
Jedes Boot wird von zwei Männern begleitet, die es mittels drei Meter langer Stöcke präzise steuern. Ein schwerer Job, den wohlgemerkt nicht jeder ausüben darf. "Nur ein männlicher Bewohner der Pieninen kann auf dem Dunajez Menschen auf Flößen befördern. Eine weitere Bedingung ist, dass man bei der Aufnahme in unsere Berufsvereinigung das 30. Lebensjahr nicht überschritten hat. Zu einem vollberechtigten Flößer wird man erst nach einer insgesamt sechsjährigen Ausbildungs- und Praktikumszeit und nach bestandenen Prüfungen", unterstreicht Migdał.
Er selbst hat hier mit 17 als Lehrling angefangen und arbeitet inzwischen seit 42 Jahren auf dem Fluss. Insgesamt gibt es knapp 1.000 offiziell anerkannte Dunajez-Flößer wie ihn. Es handelt sich um einen Saisonjob, der von Anfang April bis Ende Oktober ausgeübt wird. Die meisten Flößer haben daneben noch andere Beschäftigungen: eine Landwirtschaft, eine Schafherde oder eine Pension. "Im Frühjahr dieses Jahres sind wir bereits in die 192. Saison gestartet", sagt Migdał stolz und versichert, dass auch Gäste aus Deutschland die Möglichkeit haben, die Anekdoten und Geschichten über die Region aus erster Hand zu hören, da mehrere Kollegen Deutsch sprächen.
Legendenumwobene Burg Niedzica
Ein legendenumwobener Ort am Dunajez ist die Burg Niedzica – eine ehemalige ungarische Grenzfestung, die erst seit 1920 zu Polen gehört. Im 18. Jahrhundert soll der mit den Burgbesitzern verwandte Draufgänger Sebastian Berzeviczy nach Peru ausgewandert sein. "Nach Jahren heiratete seine Tochter Umina einen Neffen von Tupaq Amaru II., dem Anführer eines gegen die Spanier gerichteten Inka-Aufstandes", erzählt Karolina Grzelak von der Burg Niedzica.
Berzeviczy sei nach der Niederschlagung des Aufstands mit der Familie über Italien nach Niedzica geflüchtet. Die Flüchtlinge seien aber von den Spaniern aufgespürt und ermordet worden, erzählt Grzelak. Nur der Enkelsohn Antonio habe überlebt, nachdem er von der Familie Benesz, die mit den Burgbesitzern verwandt war, adoptiert worden sei.
Vielleicht hielte man diese Geschichte heute für eine Legende, doch 1946 erschien auf der Burg ein junger Mann namens Andrzej Benesz. Seine Behauptung, er sei ein Nachfahre des Enkelsohnes von Sebastian Berzeviczy, wurde zunächst mit Skepsis aufgenommen. Doch dies änderte sich, als nach nur kurzer Suche an der von ihm genannten Stelle auf der Burg eine Bleibüchse mit einem Quipu – der Knotenschrift der Inka – gefunden wurde.
Inka-Schatz am Dunajez?
Das Quipu enthielt laut Benesz genaue Informationen über einen versteckten Inka-Schatz, den Umina aus Peru mitgebracht haben soll. Doch inzwischen ist die Büchse mit der Knotenschrift verschollen und auch der Schatz bleibt unentdeckt. Der Tod von Andrzej Benesz bei einem Autounfall 1976 befeuert dafür Legenden über einen angeblichen Inka-Fluch, der damit verbunden sein soll.
Wer den Schatz finden will, hat seit den 1990er Jahren aber ohnehin ein Problem: Nach dem Bau eines Staudamms wurde das unterhalb der Burg Niedzica gelegene breite Dunajez-Tal weitgehend überflutet. Das Gold der Inkas, falls es dort jemals gelagert wurde, wird somit nun nicht nur durch einen Fluch, sondern auch von Millionen Litern Wasser geschützt.
Bei der Frage nach dem Inka-Schatz können nicht einmal die Dunajez-Flößer helfen, die sonst gerne von sich behaupten, alles über die Region zu wissen. Doch Touristen lassen sich dadurch nicht entmutigen. Zu Tausenden kommen sie jedes Jahr in die Pieninen, nicht nur von den Inka-Geschichten gelockt, sondern auch um die weitgehend unberührte Natur, die lebendige Volkskultur und idyllische Landschaften zu genießen.
MDR (baz)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 17. August 2024 | 07:19 Uhr