Tschechien I Norwegen Aschenbrödel 2.0: Warum die Neuverfilmung des Kultfilms in Tschechien für Aufregung sorgt
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22. Dezember 2021, 20:23 Uhr
Millionen Fernsehzuschauer schauen jährlich zum Weihnachtsfest "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" – ob in Tschechien oder Deutschland. Jetzt kommt vor den Feiertagen eine Neuverfilmung in die Kinos – sie stammt aus Norwegen. Die erhitzt die Gemüter, zumindest in Tschechien. Schließlich ist die tschechische Schauspielerin Libuše Šafránková für viele Generationen das Gesicht zur Aschenbrödel-Rolle gewesen.
Der Duft von Tannennadeln liegt im Wohnzimmer in der Luft, auf dem Tisch dampft frisch gebratener Fisch, es gibt Kartoffelsalat. Dazu läuft im öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Tschechien der Märchenklassiker "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel". Ein Weihnachtsabend ohne diesen Film ist für viele tschechische Familien undenkbar. Das Original entstand 1973 als Koproduktion der Prager Barrandov Filmstudios und der ostdeutschen DEFA. In den Hauptrollen sind die tschechischen Schauspieler Libuše Šafránková als Aschenbrödel und Pavel Trávníček als Prinz zu sehen.
Norwegische Popsängerin ist neues Aschenbrödel
Doch pünktlich zum diesjährigen Weihnachtsfest bekommt der Märchenklassiker Konkurrenz durch eine norwegische Neuverfilmung, bei der die Popsängerin Astrid Smeplass die Rolle des Aschenbrödels übernimmt. "Tre nøtter til Askepott" ("Drei Nüsse für Aschenputtel") will die Herzen neu erobern, wie einst vor 48 Jahren das deutsch-tschechische Original. Am Wochenende ist der Streifen erstmals in Tschechien als Filmvorschau zu sehen, ab 23. Dezember kommt er dann in die tschechischen Kinos. In Deutschland kann man die Neuverfilmung bereits ab dem 20. Dezember bei einem Streamingdienst sehen.
Vorbildfigur für junge Mädchen
Zu sehen gibt es von der norwegischen Variante bislang nur einen knapp zwei Minuten langen Trailer. Doch schon der macht deutlich, dass Vieles mit der Originalfassung identisch ist. Natürlich fehlt auch die Szene, in der Aschenbrödel dem Prinzen einen Schneeball an den Kopf wirft, nicht. Die norwegische Darstellerin Astrid Smeplass hält das Aschenbrödel für eine Vorbildfigur für junge Mädchen. Die 24-Jährige sagte dem norwegischen TV-Sender NRK: "Man folgt ihrer Reise, auf der sie anfangs unterdrückt wird. Doch schließlich glaubt sie an sich selbst und beginnt, sich zu wehren. Sie reitet schnell und jagt, obwohl sie ein Mädchen ist".
Internationaler Durchbruch durch Rolle
Für den Film musste Smeplass selbst Reiten und Bogenschießen lernen, anders als einst die tschechische Schauspielerin Libuše Šafránková, die schon reiten konnte, als sie die Rolle als 19-Jährige übernahm. Dank des Aschenbrödels wurde Šafránková weltberühmt, sie war die Prinzessin der Herzen vieler Generationen, täglich soll sie zu Lebzeiten hunderte Briefe erhalten haben. Als sie im Juni dieses Jahres einem Krebsleiden erlag, trauerten unzählige Fans um sie. Šafránková spielte in fast 150 Kino- und Fernsehfilmen mit, zum Beispiel in "Die kleine Meerjungfrau" und "Der Prinz und der Abendstern" oder im Kinofilm "Kolya", der 1996 den Oscar in der Kategorie "Bester fremdsprachiger Film" gewann. Sie stand in Prag zudem lange Jahre als Mitglied eines Kammerensembles auf der Theaterbühne.
Erregte Gemüter in Tschechien
Wie stark sich die tschechische Fangemeinde mit dem eigenen Aschenbrödel identifiziert, zeigt jetzt auch die Diskussion um das norwegische Remake. Idee und Umsetzung erregen die Gemüter der Tschechen, für die der Filmklassiker seit Jahren in Umfragen der beliebteste Weihnachtsfilm ist. Die 62-jährige Jana aus Prag sagt: "Ich mag keine Remakes, es gibt nur ein einziges Aschenputtel. Mir gefällt auch nicht, dass jemand unsere Libuše Šafránková kopiert". Auch der 30-jährige Prager Tomáš reagiert mit Kritik. Zwar sei er froh, dass in der Neuverfilmung progressive Themen aufgegriffen würden. Aber wirkten sie "oft wie gezwungen, zu aufdringlich, dass es mich stört oder ich sie grotesk finde." So sollen laut Ankündigung des Filmverleihs im neuverfilmten Märchen zwei sich küssende Männer zu sehen sein – eine Szene, die im Original von 1973 unvorstellbar gewesen wäre.
Drei Eicheln statt drei Haselnüsse
In den sozialen Netzwerken und in den tschechischen Medien werden die beiden Verfilmungen verglichen, ereifern sich Kritiker über die norwegische Produktion, von der aber bislang gar nicht mehr als der Trailer zu sehen ist. So fragen sich viele Tschechen, warum das norwegische Aschenputtel drei Eicheln erhält statt drei Haselnüsse.
Völlig anders ist auch die Filmmusik. Im tschechischen Original ist die "goldene Stimme aus Prag", Karel Gott, zu hören, der übrigens in der DDR-Variante durch eine Instrumentalmusik ersetzt wurde. In der norwegischen Neuauflage stammt der opulente Soundtrack vom norwegischen Komponisten und Jazzmusiker Gaute Storaas – eingespielt vom slowakischen Bratislava Symphony Orchestra. Als norwegische Kulisse diente unter anderem das Freilichtmuseum Maihaugen in Lillehammer, während das deutsch-tschechische Original auf Schloss Moritzburg nahe Dresden, in den Barrandov Filmstudios Prag sowie auf der tschechischen Burg Švihov gedreht wurde.
Märchen als beliebte Weihnachtsfilme
Doch wie kamen die Norweger überhaupt auf eine Neuverfilmung? Studien zufolge gehört neben Tschechien, der Slowakei und Deutschland auch Norwegen zu den Ländern, wo das Märchengenre zu den beliebtesten Weihnachtsfilmen gehört. Auch in Norwegen hat das deutsch-tschechische Original, das dort 1975 Premiere feierte, eine große Fangemeinde – nicht zuletzt wegen der eigenwilligen Vertonung: Der norwegische Schauspieler Knut Risan war der einzige Synchronsprecher für den Film und lieh damals sowohl den männlichen als auch den weiblichen Figuren seine Stimme. Auch in Norwegen ist der Film zu jedem Weihnachtsfest im Fernsehen zu sehen. Mit einer Ausnahme: Als die Ausstrahlung im Jahr 1993 ausfiel, gab es in Norwegen einen Sturm der Entrüstung unter den Zuschauern, seither wird er wieder jährlich gezeigt.
Bereits 2015 Regisseur angefragt
Die Idee einer Neuverfilmung hatten norwegische Filmemacher: Sie fragten 2015 beim tschechischen Regisseur Václav Vorlíček an, als er nach Norwegen reiste, um die neu digitalisierte Originalfassung vorzustellen. Sie wollten Vorlíček als Regisseur für das Remake gewinnen. Der damals 85-Jährige lehnte ab, willigte aber in den Lizenzverkauf ein. Wie viel Geld geflossen ist, darüber herrscht Stillschweigen. Die Premiere der Neuverfilmung kann Vorlíček nicht mehr erleben, er starb im Februar 2019. Pavel Berčík von der Filmfirma "Evolution Films", die die Lizenz mit vermittelte, sagte der Presseagentur ČTK, dass der tschechische Regisseur "ein großer Fan der Neuverfilmung war, man aber gleichzeitig spüren konnte, wie sicher er sich war, dass sein Meisterwerk ohnehin nicht zu übertreffen sei".
Prinzen-Schauspieler jetzt Synchronsprecher
Auch der tschechische Schauspieler Pavel Trávníček, der in der Erstverfilmung die Rolle des Prinzen spielt, wurde im Sommer in tschechischen Medien zitiert. Sein norwegischer Nachfolger sei "gutaussehend", erklärte er, "die Norwegerinnen werden ihn mögen". Zugleich führte Trávníček an, wer sich mit diesem Märchen verbinde, sei "ein glücklicher Mensch, denn alles ist vergänglich, nur Aschenputtel ist ewig". Trávníček ist noch heute ein bekannter Synchronsprecher in Tschechien, wenngleich er in der "Aschenbrödel"-Verfilmung 1973 wegen seines damaligen starken mährischen Akzents von einem anderen Schauspieler noch nachsynchronisiert wurde. Für die norwegische Neuverfilmung wurde er übrigens als tschechischer Synchronsprecher eingesetzt.
Ausstrahlung wieder zum Fest
Doch welche Verfilmung ist nun die bessere? Das Original oder die Neuverfilmung? Wem das Remake nicht zusagt, der wird im Tschechischen Fernsehen am Weihnachtsabend das Original sehen können. In Tschechien wird es übrigens nur einmal zum Fest ausgestrahlt, ganz anders als in Deutschland, wo es im vorigen Jahr fast 20 Mal gezeigt wurde.
"Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" entstand nach dem gleichnamigen Märchen der tschechischen Schriftstellerin Božena Němcová und der Erzählung Aschenputtel der Gebrüder Grimm. Aschenbrödel heißt im Tschechischen "Popelka" und im Norwegischen "Askepott". Im MDR-Fernsehen ist die deutsch-tschechische Produktion am 25. Dezember um 16:10 Uhr zu sehen.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL FERNSEHEN | 25. Dezember 2021 | 16:10 Uhr