Neues Arbeitszeitmodell "Schon bisschen mehr Anspannung": Unternehmen will durch Vier-Tage-Woche Fachkräfte gewinnen
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20. Mai 2023, 11:06 Uhr
Das Maschinenbau-Unternehmen Deguma-Schütz in Geisa geht neue Wege: im April hat es für die rund 50 Beschäftigten die Vier-Tage-Woche eingeführt, zunächst in einer Testphase. Ziel ist es, das Unternehmen attraktiver zu machen und Fachkräfte zu binden. Kürzer arbeiten bei gleicher Produktion und gleichem Geld - das muss gut vorbereitet sein. Daher wird das Unternehmen dabei wissenschaftlich vom Forschungsprojekt "Innofarm" begleitet. Davon sollen letztlich auch andere Betriebe profitieren.
Wenn Fabian Feist und Torsten Schack Freunden oder Verwandten von der neuen Arbeitszeit bei ihrem Arbeitgeber in Geisa, der Deguma-Schütz GmbH, berichten, dann ernten sie meist ungläubiges Staunen oder auch etwas Neid: "Das hätte ich auch gern", heißt es oft. Seit April gilt für sie - ob für Feist in der Produktion oder für Schack in der Verwaltung: 34 Stunden arbeiten, an vier Tagen in der Woche und das ohne Abstriche beim Einkommen. Und da für die Kunden immer Ansprechpartner da sein sollten, haben die einen montags, die anderen freitags frei.
Forschungsprojekt "Innofarm" mit TU Ilmenau
Dabei muss allerdings die gleiche Arbeit geschafft werden wie bisher. Um das zu leisten, wurde das neue Zeitmodell mit Hilfe der TU Ilmenau über das Forschungsprojekt "Innofarm" gründlich vorbereitet. Der Name steht für "Innovative Formen der Arbeit im Mittelstand" und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Hauptziel sei es, so erklärt Teilprojektleiterin Leonie Hettich von der TU, gegen den Fachkräftemangel zu wirken und Thüringer Unternehmen für potentielle Arbeitskräfte attraktiver zu machen.
Mehr Freizeit, bessere Gesundheit
Das ist auch der Antrieb für Geschäftsführerin Daniela Dingfelder: In seiner Randlage habe das Unternehmen, das Maschinen für die Gummi-Industrie baut und aufarbeitet, immer wieder Probleme, Personal zu bekommen. "Wir wollten gucken, wie wir die Mitarbeiter an uns binden könnten. Dieser Ausgleich zwischen Arbeit und Freizeit, Familie, Steigerung der Gesundheit der Mitarbeiter, Erhalt der Gesundheit - und deswegen genau die Vier-Tage-Woche."
Arbeit neu organisieren
Bei Deguma-Schütz in Geisa gab es mehrere vorbereitende Workshops für die verschiedenen Teams. Es ging darum herauszufinden, sagt Hettich, "was ist wichtig bei der Zusammenarbeit, welche Schnittstellen gibt es zwischen den Teams, wo man bei der Vier-Tage-Woche darauf achten muss, das entsprechend zu organisieren, sodass da nichts ins Stocken gerät".
So wurden beispielsweise Meetings auf die Zeit von Dienstag bis Donnerstag gelegt, damit keiner fehlt. Übergaben für Freitag oder Montag müssen organisiert sein. Und vor allem: Die Arbeit muss effektiver werden, um die fehlenden sechs Wochenstunden auszugleichen.
Mehr Anspannung bei der Arbeit
Wie funktioniert das in der Praxis? Fabian Feist baut Schaltschränke zusammen. Das mache er jetzt "konzentrierter und zügiger", sagt er. Er versuche, bei der Sache zu bleiben und sich nicht so leicht ablenken zu lassen. Die Ziele für den Tag setzt er sich am Morgen und versucht, sie dann zu erreichen. "Es ist schon ein bisschen mehr Anspannung da, aber es läuft sehr gut." Feist freut sich über mehr Zeit für Freizeit und Familie.
Für Torsten Schack in der Verwaltung variiert die Menge der Aufgaben mit den Aufträgen. Wenn sie komplex sind, dann reiche auch eine Fünf-Tage-Woche manchmal kaum, sagt er. Wie hat sich das jetzt verändert? "Also stressiger würde ich es nicht unbedingt betiteln, weil man eben diese Aussicht hat, einen Tag frei zu haben. Das nimmt man in Kauf." Er würde das neue Arbeitszeitmodell sehr gern behalten.
Vier-Tage-Woche auch für die Chefinnen
Auch die beiden Geschäftsführerinnen machen mit bei der Vier-Tage-Woche. Daniela Dingfelder hat jetzt einen Wochentag, an dem sie private Dinge erledigen kann wie einkaufen oder einen Brief zur Post bringen. Das sei eine Erleichterung, sagt sie. Nach drei Tagen frei starte sie entspannter in die Woche. Aber auch sie musste ihre Arbeit neu organisieren: So hat sie Meetings gestrichen oder stark gekürzt, um Zeit zu sparen - oder trägt sich Zeit in den Kalender ein für konzeptionelle Arbeit, um möglichst effektiv voran zu kommen. Es klappt, sagt sie: "Out of the box - einfach mal rausgehen und ausprobieren, denn es kann funktionieren!"
Vier-Tage-Woche wie ein Puffer
Silvia Wehner ist im Unternehmen für "Innofarm" zuständig, ein Teil ihrer Stelle wird über das Projekt gefördert. Die Qualitätsmanagerin war von vornherein von der Vier-Tage-Woche überzeugt, denn sie arbeitet selbst schon lange in Teilzeit und konnte ihre Produktivität mit der von Vollzeit-Kollegen vergleichen. Die drei freien Tage am Stück wirkten "wie ein Puffer". Selbst wenn es an der Arbeit Probleme gebe, fielen die nicht so schwer ins Gewicht: "Man hat einen anderen Fokus, weil man mehr Zeit woanders verbringt."
Mitarbeiter motivierter - Krankenstand schrumpft
Wehner beobachtet, dass gerade an Montagen und Freitagen, wenn nur die Hälfte der Belegschaft anwesend ist, deutlich effektiver gearbeitet werden kann, "weil es einfach ruhiger ist und weniger Rückfragen kommen." Manche Teams haben Sprechzeiten eingerichtet und Ruhezeiten, wo die Tür zu bleibt. Alle zwei Wochen können die Beschäftigten in einer kleinen Umfrage mitteilen, wie sie die neuen Arbeitszeiten erleben. "Man hat schon das Gefühl, dass die Mitarbeiter zufriedener sind, sie kommen deutlich motivierter zur Arbeit", sagt Geschäftsführerin Daniela Dingfelder. Der Krankenstand ist in den ersten sechs Wochen der Testphase auf ein Fünftel geschrumpft.
Wissenschaftlerin: "Spannendes Experiment"
Leonie Hettich von der TU Ilmenau hält den Zeitpunkt für zu früh, um Ergebnisse vorzuzeigen. Erst nach drei Monaten und dann am Ende der Testphase im September soll genauer ausgewertet werden. Aber auch sie sagt, die Belegschaft empfinde die Vier-Tage-Woche "ganz gut und als spannendes Experiment".
"Innofarm" untersucht nicht nur verschiedene Arbeitszeitmodelle, sondern auch andere innovative Methoden wie Selbstorganisation in der Fertigung oder einen "Innovationsraum", in dem Mitarbeiter selbst Neues ausprobieren können. Auch die Möglichkeiten von Homeoffice hat das Projekt im Auge und die Digitalisierung von Dokumentationsprozessen. Beteiligt sind neben Deguma-Schütz in Geisa die Lindig Fördertechnik GmbH in Eisenach und die Sealable Solutions GmbH in Waltershausen.
Innovationsplattform für Unternehmen geplant
Münden sollen alle Versuche in den beteiligten Betrieben in eine "Innovationsplattform", sagt Hettich: "Da können dann alle Unternehmen drauf zugreifen und sich informieren, welches Modell könnte ich denn vielleicht bei mir anwenden?" Dafür stellt die Plattform eine Art Werkzeugkasten zur Verfügung. Sich daran zu beteiligen, war auch ein Anreiz für das Unternehmen Deguma-Schütz, sagt Daniela Dingfelder: "Wir wollen diese Veränderung mittragen. Wissen zu teilen, was können andere Unternehmen davon nutzen - oder: was müssen sie auch nicht nochmal ausprobieren, weil es nicht funktioniert hat. Und deswegen genau dieses Projekt."
MDR (rom)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Fazit | 20. Mai 2023 | 17:00 Uhr
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