Mit KI gegen Fachkräftemangel Wie die Zukunft der Arbeit in Sachsen-Anhalt aussehen könnte
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02. Mai 2023, 15:20 Uhr
Seit Jahrzehnten wird befürchtet, dass Roboter und künstliche Intelligenzen zu vielen Jobverlusten führen werden. Doch außerhalb von Großunternehmen kamen Roboter bislang kaum zum Einsatz. Mit dem demografischen Wandel ändert sich die Situation aber in Sachsen-Anhalt. Eine Analyse.
- Weil Mitarbeiter fehlen, müssen Firmen in Zukunft mehr auf Maschinen setzen.
- Ersetzt werden können dabei nicht nur physische, sondern auch denkende Tätigkeiten – ein Paradigmenwechsel.
- Was Digitalisierung und Roboterarbeit angeht, sind viele Unternehmen in Sachsen-Anhalt bislang skeptisch.
In Leipzig haben sich am Wochenende die Freunde gedruckter Bücher auf der Buchmesse getroffen. Doch bevor so ein Buch im Regal steht, ist einiges an Arbeit nötig, nicht nur beim Schreiben, sondern auch beim Drucken. Das wird deutlich, wenn man in Calbe im Salzlandkreis zum Gewerbegebiet West abbiegt.
Die Hallen auf dem weiträumigen Gelände gehören zum Grafischen Centrum Cuno (GCC), eine der größten Druckereien in Sachsen-Anhalt. Hier sind zwar hochmoderne Maschinen im Einsatz, doch ohne Handarbeit geht es trotzdem nicht: "Man muss bedenken, so eine Mitarbeiterin an einem Falz-Automaten bewegt rund sieben Tonnen Papier in ihrer Schicht", sagt Manfred Cuno, geschäftsführender Gesellschafter des Grafischen Centrums Cuno. Schöngeistiges kann also auch auf den Rücken gehen.
Roboter als Mitarbeiter: um Gottes Willen – Gottseidank
Bei Cuno wird Hochwertiges gedruckt: Fotobände, Ausstellungskataloge, Kinderbücher – von immerhin 160 Mitarbeitenden. Die neuesten Kollegen im Team sind allerdings Roboter. Begeisterung löste das im Vorfeld unter den Beschäftigten nicht aus, so Manfred Cuno: "Die Kollegen bei uns im Unternehmen, die haben alle gesagt, um Gottes Willen, bloß nicht. Hinterher hieß es dann: Gottseidank, ich habe keine Sehnenscheidenentzündung mehr."
Bislang drehten sich Roboter vor allem in den großen Hallen der Automobilindustrie, auch, um Personal einzusparen. Das ist bei Mittelständlern wie dem Grafischen Centrum Cuno nicht das Thema. Denn auf Mitarbeiter zu verzichten, ist hier keine Option, da kein Roboter derzeit die komplexen Aufgaben in der Druckerei selbstständig übernehmen kann. Es werden auch nicht mehr Bücher gedruckt.
Vorher hieß es: "Um Gottes Willen, bloß nicht." Hinterher hieß es dann: "Gottseidank, ich habe keine Sehnenscheidenentzündung mehr.
Dennoch sind die Roboter eine Zukunftsinvestition, erklärt Christoph Kreiser vom Cuno-Management: "Wir haben Probleme, Mitarbeiter zu finden. Die ganzen handwerklichen und schweren Arbeiten werden von den Mitarbeitern immer mehr abgelehnt. Und da ist der Roboter eine deutliche Arbeitsplatzerleichterung."
Künstliche Intelligenz als Jobkiller, doch für wen?
Diese ganzen Wissens- und Beratungsarbeiter können viel leichter ersetzt werden, als jemand, der im Niedriglohnbereich irgendeine einfache Tätigkeit ausübt
Auch wenn der Roboter eher schleppend in Sachsen-Anhalts Firmen Einzug hält, so steht die Arbeitswelt dennoch vor einem Paradigmenwechsel, der sich allerdings anders vollziehen könnte als erwartet. Denn nicht der Buchdrucker steht plötzlich vor ungewisser Zukunft, sondern wohl eher der Buchautor. Und nicht nur der.
Darauf verweist Michael Ney vom Zukunftszentrum Digitale Arbeit in Sachsen-Anhalt: "Diese ganzen Wissens- und Beratungsarbeiter können viel leichter ersetzt werden als jemand, der im Niedriglohnbereich irgendeine einfache Tätigkeit ausübt. Bei solchen einfachen Arbeiten stellt sich nämlich die Frage: Lohnt es sich überhaupt zu digitalisieren?"
Roboter sind teure Anschaffungen, erfordern Wartung und Fachwissen im Umgang. Die neuen Systeme für Künstliche Intelligenz sind hingegen einfach zu bedienen und wohl auch deutlich kostengünstiger als Roboterlösungen.
Das hat Folgen, so Ney: "Bislang hieß es, die teureren Kolleginnen, die in Entwicklung oder Marketing die sogenannte Wissensarbeit betreiben, seien vor der Digitalisierung geschützt. Jetzt lernen wir gerade, dass wir gar nicht so strahlend und unangreifbar sind, wie wir uns das vorgestellt haben."
Die Digitalisierung frisst ihre Kinder
Blaumann oder Weißkittel – diese alte Frage bekommt damit nun eine ganz neue Relevanz. Denn vieles von dem, was derzeit noch vom mittleren Firmenmanagement erledigt wird, könnte in Zukunft von künstlicher Intelligenz übernommen werden. Das betrifft Programmierer, Juristen, Marketingexperten, Einkäufer und auch Teile des Personalwesens.
Das Zukunftszentrum digitale Arbeit Sachsen-Anhalt will kleine und mittelständische Unternehmen bei der Digitalisierung ihrer Geschäftsmodelle unterstützen, zum Beispiel im Bereich der Pflege. Doch Pflegeroboter, wie sie seit Jahren in der Debatte sind, blieben bislang dem Stationsalltag fern.
Die Veränderung kommt nun von einer ganz anderen Seite, wie Michael Ney erzählt: "Wir haben neulich einen Test gemacht zu der Frage: Was erzählt die KI über die Zukunft der Pflege im digitalen Wandel? Was da rauskam, als Grundtext, stellt schon die nächste Frage: Brauche ich zukünftig jemandem für Öffentlichkeitsarbeit oder für Texte in sozialen Medien?" Aber auch im alltäglichen Papierkrieg könnten Pflegekräfte durch künstliche Intelligenz entlastet werden.
Skepsis in Unternehmen
Allerdings ist Sachsen-Anhalts Wirtschaft, die überwiegend klein und mittelständisch geprägt ist, beim Thema Digitalisierung nicht unbedingt ein Vorreiter. Zwar gibt es im Land ein breites Angebot von Beratungsleistungen, doch werden die bislang verhalten genutzt, räumt Berater Ney ein. "Das heißt, die kleinen und mittelständischen Unternehmen sind an vielen Stellen für das Thema noch nicht sensibilisiert und haben Angst, sich damit zu beschäftigen." Zudem fehle es an personellen und finanziellen Voraussetzungen, um sich mit Zukunftsstrategien für das eigene Geschäft auseinanderzusetzen.
Wer es gewohnt ist, im Netz zu gucken, wo es günstige Dienstleistungen gibt, wird zum Problem für den Anbieter vor Ort.
Doch auch Bereiche wie das Handwerk stehen vor Herausforderungen. Bislang haben vor allem Bäcker und Fleischer erlebt, wie überregionale Ketten durch einen Preiskrieg sehr erfolgreich und flächendeckend Fuß gefasst haben. Das könnte auch andere Handwerksbereiche treffen, so Ney: "Wer es gewohnt ist, im Netz auf einer Plattform zu gucken, wo es günstige Dienstleistungen gibt, der wird zum Problem für den Anbieter vor Ort." Der Handel erlebt diesen Umbruch bereits. Es könnte auch das Handwerk treffen, denn auch Fliesenleger oder Elektriker arbeiten nicht ortsgebunden.
Wirtschaftsförderung und demografischer Wandel
Wer in Sachsen-Anhalt Gelder aus der Wirtschaftsförderung beantragt, muss nachweisen, wie viele Arbeitsplätze gesichert oder neu geschaffen werden. In Zeiten eines sich verschärfenden Fachkräftemangels sei das aber eine falsche Sichtweise, sagt Christoph Kreiser, einer der Geschäftsführer im Grafischen Centrum Cuno: "In der Fördermittellandschaft wird so ein Roboter anhand von Personaleinsatz und der Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen gefördert. Das ist nicht mehr zeitgemäß."
Denn mit Blick auf die nächsten Jahre und den demografischen Wandel stellt sich die Frage, wie weniger Menschen mehr leisten können, ohne dabei ihre Gesundheit zu gefährden. Wegen der Personalnot wechseln die ersten Firmen zu einer Vier-Tage-Woche, was aber den Personalmangel eher noch verschärft.
Im Grafischen Centrum Cuno setzt man stattdessen auf weitere Roboter. Dass aber in Zukunft Texte aus der Feder von künstlicher Intelligenz über die Druckmaschinen laufen, glaubt man eher nicht in Calbe. Denn was aufwändig gedruckt wird, sollte auch aufwändig geschrieben sein.
MDR (Uli Wittstock, Oliver Leiste), zuerst veröffentlicht am 1. Mai 2023
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 01. Mai 2023 | 11:10 Uhr
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