Gesundheitsversorgung Medikamente für 3.000 Menschen: Vor welchen Herausforderungen ein Apotheker in Mihla steht
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29. November 2023, 09:00 Uhr
In Thüringen machen jedes Jahr weitere Apotheken dicht. Vor allem in ländlichen Gegenden sind die Folgen spürbar. Ein Apotheker aus Mihla bei Eisenach berichtet, wo genau der Schuh drückt.
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"Das ist noch so das Herzstück unserer Apotheke." Lukas Messerschmidt öffnet die Tür zu einem Raum im hinteren Teil seines Geschäfts. Ein bisschen kühl ist es, in den Schränken stehen kleine braune Glasflaschen. Hier stellt der Apotheker noch Rezepturen für spezielle Bedarfe her - von Hand.
"Wir haben auch drei schwer kranke Kinder, für die wir die Medikamente herstellen, weil es die in der richtigen Dosis nicht auf dem Markt gibt. Das wird dann speziell nach Körpergewicht angepasst."
Erst seit einem Jahr Apotheken-Chef
Messerschmidt ist erst seit einem Jahr Chef der Werra-Apotheke in Mihla, der einzigen im Ort. Etwa 3.000 Einwohner verlassen sich bei ihrer Medikamentenversorgung auf den jungen Apotheker und sein Team. 2022 hat er den Betrieb seiner Schwiegermutter abgekauft, die aber auch immer noch mitarbeitet.
Der nahtlose Übergang innerhalb der Familie sei auch für die Kunden ideal gewesen, denn gerade "auf dem Land ist es wichtig, dass man sein Gegenüber noch kennt".
Ob ich es nochmal gemacht hätte, weiß ich nicht.
Doch gerade dieser Schritt in die Selbstständigkeit ist nicht selbstverständlich: In Thüringen und in ganz Deutschland schließen nämlich immer mehr Apotheken. Elf waren es im Freistaat bisher allein in diesem Jahr. Die Gesamtzahl der Apotheken ist laut Thüringer Apothekenkammer damit auf 496 gesunken. Im Jahr 2010 habe es in Thüringen noch 583 Apotheken gegeben, knapp 90 mehr als jetzt. Kammergeschäftsführer Danny Neidel prognostiziert, "dass es dieses Jahr zur bisher größten Schließungswelle in der Geschichte des Thüringer Apothekenwesens kommen wird".
Dass die Stimmung in der Branche mies ist, zeigt auch eine repräsentative Umfrage der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA): 80 Prozent der Apotheker sehen düstere Zukunftsperspektiven. Und auch Lukas Messerschmidt sagt ein Jahr nach der Übernahme: "Die Arbeitsverdichtung hat deutlich zugenommen. Es wird stressiger." Und irgendwann fällt auch ein Satz, der aufhorchen lässt. "Ob ich es nochmal gemacht hätte, weiß ich nicht."
Wie kann es sein, dass die Situation für Apotheker im Land so angespannt ist? Immer wieder demonstrieren und beschweren sich die Apotheker bei der Politik - zuletzt auch vor dem Thüringer Landtag. Worüber?
Apotheker: Kosten gestiegen - Honorare nicht
Zum einen geht es ums Geld. Das verdienen die Apotheken vor allem mit der Grundvergütung: Für jede Beratung beim Verkauf eines verschreibungspflichtigen Medikaments am Tresen bekommen sie eine Pauschale: 8,35 Euro sind das. "Dieses Honorar wurde in den letzten zehn Jahren nicht angepasst, sondern sogar noch gekürzt", erklärt Messerschmidt. Grund ist demnach, dass der sogenannte Kassenabschlag erhöht wurde. Dieser wird von der Pauschale abgezogen und liegt mittlerweile bei zwei statt 1,77 Euro.
Die freiverkäuflichen Medikamente brächten dabei nur einen kleinen Beitrag - und gerade hier könnten Online-Apotheken oftmals mit viel billigeren Angeboten Patienten locken. "In Zeiten von massiver Inflation, massiven Kostensteigerung und Personalkostensteigerungen ist das einfach nur irrsinnig."
Notwendig seien etwa zwölf Euro, sagt Messerschmidt und orientiert sich mit diesen gut 40 Prozent mehr an der Forderung der Bundesvereinigung. "Das hört sich jetzt erstmal viel an, na klar. Aber das würde halt diese Jahre ausgleichen, in denen nichts passiert ist. Also die 50, 60 Prozent Kostensteigerungen über die letzten zehn Jahre, die Inflation würde es ein bisschen abfedern."
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte den Forderungen nach einer Erhöhung der Pauschale auf zwölf Euro jedoch bereits eine Absage erteilt: Mangels zusätzlicher Haushaltsmittel und steigender Beiträge für die gesetzlichen Krankenversicherungen gebe es die Spielräume dafür im Moment leider nicht, begründete Lauterbach seine Ablehnung im Juni.
Er würde, sagt Apotheker Messerschmidt und schielt dabei ein wenig schuldbewusst zu seinen Mitarbeiterinnen, auch gerne seinen Angestellten einen den Zeiten entsprechenden Lohn zahlen, "damit die auf einem normalen Level sind wie in der Verwaltung oder den Pflegeberufen. Aber das ist bei den jetzigen Kosten gar nicht umsetzbar".
Viel Aufwand für rare Medikamente
Außerdem plagt den jungen Pharmazeuten der Medikamentenmangel. Direkt hinter der Beratungs- und Verkaufsfläche stehen zwei Tische mit Rechnern: "Das sind die Rechercheplätze", erklärt Messerschmidt. Hier suchen die Mitarbeitenden nach verfügbaren Medikamenten. "Gerade stehen wir wieder vor einem Winter, wo massiv Lieferengpässe zu erwarten sind." Schon jetzt gebe es Medikamente von 20 verschiedenen Herstellern, die alle nicht lieferbar seien. In vielen Fällen müssten auch Patienten umgestellt werden, "was wirklich nicht optimal ist".
"Ich meine, ich habe Spaß am Beruf", sagt der Thüringer. "Das macht alles Freude. Aber ich möchte auch weniger Druck im Hintergrund haben und da vorne am Patienten besser arbeiten können."
Fachkräftemangel: "Es scheitert nicht an jungen Menschen"
Zum fehlenden Geld und den Medikamenten kommt außerdem noch der Fachkräftemangel. Gerade an der Uni Jena, sagt Messerschmidt, müsse die Studierendenzahl massiv erhöht werden. "Am politischen Willen scheitert das."
Der Apotheker hat selbst in Jena studiert und berichtet: "Wir haben 200, 300 Bewerber jedes Jahr für diese 70 Studienplätze. Es scheitert nicht an jungen Menschen, die den Beruf ergreifen wollen." Ähnlich wie bei den Medizinstudienplätzen vor ein paar Jahren müsse das Land auch bei den Pharmazeuten nachziehen.
Ministerium: Thüringen bildet langfristig über Bedarf aus Das Wissenschaftsministerium hatte im Sommer darauf verwiesen, dass Thüringen schon über den für das Land erwarteten Bedarf hinaus Pharmazeuten ausbildet. In den kommenden 20 Jahren würden rein rechnerisch mehr als 1.500 Pharmazie-Studierende ausgebildet, teilte ein Ministeriumssprecher mit. Prognosen der Landesapothekerkammer gingen von rund 1.000 Apothekerstellen aus, die im gleichen Zeitraum besetzt werden müssten.
Wohin der Fachkräftemangel führen kann, weiß auch Messerschmidts Schwiegermutter, die an diesem Vormittag ebenfalls in der Apotheke ist: Christine Kromke hat die Apotheke kurz nach der Wende übernommen und jahrelang geleitet.
"Dass die Unternehmensweitergabe in der Familie stattfinden konnte, war ein riesiger Glücksfall für mich. Denn viele meiner Kommilitonen und Kommilitoninnen stehen jetzt vor der Situation, dass sie ihre Apotheke nicht veräußern können." Gerade im Nachbarort Treffurt finde eine Bekannte bereits seit geraumer Zeit keine Nachfolge.
"Und für viele steht damit auch die Altersversorgung auf dem Prüfstand", betont Kromke. "Weil, wenn ich die Apotheke nicht verkaufen kann und vielleicht auch die ersten Jahre aufgrund der Investitionen nicht genügend in die Rentenversicherung eingezahlt, falle ich jetzt auf ein Niveau zurück, wo andere mit Hartz IV landen."
Scharfe Kritik an Lauterbachs Plänen
Die Probleme scheinen in Berlin bekannt zu sein. Zumindest plant Bundesgesundheitsminister Lauterbach Gesetzesänderungen, mit denen er die Apotheker entlasten will.
Der Apothekeralltag soll in einigen Bereichen flexibler werden, neue Apotheken auch als Nebenniederlassungen eröffnet werden können. Dadurch sollen sie dann auch keine Laboreinrichtungen mehr vorhalten müssen oder nicht zu Notdiensten verpflichtet sein.
Viele Apotheker und auch Lukas Messerschmidt treiben die Überlegungen jedoch auf die Barrikaden. "Ich halte die Pläne für gefährlich. Zum Beispiel, die Notdienste für manche abzuschaffen, wäre verrückt." Aus 15 Kilometer für eine Not-Fahrt könnten dann schnell 30 oder 40 Kilometer werden - und das zum Beispiel "mit einenm hoch fiebernden Kind oder extremen Kopfschmerzen".
Messerschmidt kritisiert "Schein-Apotheken"
Die geplanten Nebenniederlassungen werden daher oft auch als sogenannte Schein-Apotheken kritisiert. Sie hätten zudem auch nicht mehr das "Herzstück", wie es Messerschmidt bezeichnet: Das Labor, die eigene Rezeptur - all das könnten diese Stellen nicht leisten. "Gerade in der Corona-Pandemie haben wir hier zum Beispiel ein Desinfektionsmittel hergestellt, als es keine Desinfektionsmittel mehr gab. Wir können Fiebersäfte herstellen, wenn es keine Fiebersäfte mehr gibt für Kinder. Wir können hier wirklich noch Sachen eigenständig herstellen."
Diese flächendeckenden Herstellungsmöglichkeiten sollte man sich nicht verspielen, mahnt Messerschmidt - "nur weil sich das die Gesellschaft nicht leisten möchte".
Wir machen weiter, bis zum bitteren Ende.
Fast jede Apotheke ist ein Einzelunternehmen - jede muss ums eigene Überleben kämpfen. Für die lokale Gesundheitsinfrastruktur sei jedes Apothekensterben eine Katastrophe, sagt Messerschmidt.
"Die Wege wären länger. Die Leute würden ihre Medikamente nicht so schnell bekommen und müssten dann auch häufiger zum Arzt, was wiederum größere Kosten für das Gesundheitssystem bedeutet. Auch Mihla würde ein Stück seiner Infrastruktur verlieren." Aufgeben will der junge Pharmazeut aber nicht - er will kämpfen: "Wir machen weiter, bis zum bitteren Ende."
MDR (dst)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Fazit vom Tag | 09. November 2023 | 18:00 Uhr
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