Protest Thüringer Apotheker schlagen Alarm: "Die Versorgung wird immer schwieriger"
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14. Juni 2023, 12:22 Uhr
Bundesweit bleiben am Mittwoch Apotheken geschlossen. Die Pharmazeuten wollen damit auf Missstände aufmerksam machen. Wo drückt der Schuh genau? MDR THÜRINGEN hat darüber mit zwei Apothekern gesprochen.
- Apotheken klagen über zu viel Bürokratie im Alltag.
- Arbeiten in einer Apotheke ist für Pharmazeuten vergleichsweise unattraktiv.
- In Thüringen sinkt die Zahl der Apotheken.
"Eigentlich macht es viel Spaß, Apotheker zu sein", sagt Markus Wurzbacher und schmunzelt. "Aber durch diese vielen Hemmschuhe - oder ich will mal sagen Handschellen, die uns angelegt werden - kann es auch frustrieren in gewisser Weise."
Markus Wurzbacher ist seit mehr als 25 Jahren Pharmazeut. Heute leitet der 56-Jährige drei Apotheken in Weimar: die Nord-Apotheke, die Stadt-Apotheke und die Atrium-Apotheke. Auch ihre Türen bleiben am Mittwoch geschlossen. Der Grund: bundesweit protestieren die Apotheken am 14. Juni gegen die Politik der Bundesregierung. Es geht um Lieferengpässe bei Medikamenten, ausufernde Bürokratie und faire Entlohnung.
Es geht auch um Anerkennung
"Das Problem ist, dass sich die Rahmenbedingungen für die Apotheken in den letzten Jahren permanent verschlechtert haben", fasst Christian Wegner vom Gesundheitsunternehmen Medipolis die Problemstellungen zusammen.
Der 51-Jährige betreibt in Jena und Naumburg unter anderem vier Apotheken, die auf die ambulante Versorgung von schwerkranken Patienten spezialisiert sind. Auch sie nehmen am Protest teil und bleiben am Mittwoch geschlossen.
"Mir geht es an diesem Protesttag hauptsächlich um Anerkennung für den Berufsstand. Für das, was die Teams jeden Tag leisten. Anerkennung hat auch immer etwas mit Rahmenbedingungen zu tun und die sind deutlich schlechter geworden. Mittlerweile ist es so schlimm, dass ich in vielen Fällen sehe, dass die Apotheken ihrer Aufgabe nicht mehr gerecht werden können", beschreibt Wegner die derzeitige Lage.
Ausgerufen hat den Protesttag die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA). Auch sie sieht die Arbeit der Apotheker - die ordnungsgemäße Versorgung der Bürgerinnen und Bürger - "massiv gefährdet". Gründe für diese Einschätzung gibt es viele, vor allem hinter den Kulissen. Nur ein Bruchteil davon bekommen die Patientinnen und Kunden direkt zu spüren.
Von bürokratischen Hürden und Verwaltung des Mangels
Dass bestimmte Medikamente in den Apotheken Mangelware sind, ist keine Neuigkeit. Lieferengpässe gibt es seit geraumer Zeit, in manchen Fällen seit mehreren Jahren. Was für die Patienten vielleicht ärgerlich ist - schließlich können durch eine Sonderregelung bis zum 31. Juli relativ unkompliziert Ersatzpräparate ausgegeben werden - bedeutet für die Apotheken einen deutlichen Mehraufwand.
"Es geht nicht nur um die Lieferengpässe an sich, sondern auch um die ganze Bürokratie", erklärt Markus Wurzbacher. In der Praxis betreffe das zum Beispiel bestimmte Nachweise. So müsse für die Krankenkassen genau dokumentiert werden, aus welchen Gründen ein Produkt an welchem Tag zu welcher Uhrzeit nicht lieferbar war.
Das führe immer wieder zu Problemen: "Weil kleinste Fehler, die wir beim Management der Lieferengpässe begehen, immer die Gefahr bergen, dass die Krankenkassen Einspruch erheben und uns einfach die Vergütung verweigern."
Wir sind nur damit beschäftigt, in den Computer zu gucken und da alles richtig zu machen.
Laut Wurzbacher haben die Krankenkassen für die Prüfung der Nachweise ein Jahr Zeit. "Dann muss man natürlich Aussagen zu einem Zeitraum treffen, bei dem man sich selbst nicht mehr an alles erinnern kann. Kleinste Fehler werden mit größten Strafen belegt - also mit Zahlungsverweigerung. Im Prinzip werden dann die Patienten nicht von der Krankenkasse versorgt, sondern zu unseren Lasten", erzählt der Apotheker und nimmt einen kleinen Zettel zur Hand.
"Ich hab hier mal ein Rezept von heute", sagt er. "Zwei Sachen stehen drauf - beide nicht lieferbar. Man muss dann eine bestimmte Nummer auf das Rezept drucken, dass die Medikamente nicht lieferbar sind. Und trotzdem muss man dann noch von Hand dazu ergänzen, warum das nicht lieferbar war", erklärt der Pharmazeut. Dieser Zusatzaufwand werde aber in keiner Weise honoriert.
"Wenn man das hochrechnet - nur wenn Sie hier jedes Mal einen Text draufschreiben müssen - da gehen auch Minuten ins Land. (...) Nicht umsonst klagen ja alle Apotheken über Personalmangel, weil wir einfach zu viele Aufgaben nebenbei miterledigen." Die Bürokratie bei der Verwaltung des Mangels ist dabei nur eines von vielen Beispielen.
"Einfach immer mehr Aufgaben und immer mehr Bürokratie, die eigentlich gar nichts mit der Patientenversorgung zu tun haben. Wir sind nur damit beschäftigt, in den Computer zu gucken und da alles richtig zu machen", fasst Wurzbacher die Situation zusammen.
50 Cent für jeden gelösten Fall
Ein anderer Fall. Markus Wurzbacher zieht ein Schreiben von einer Krankenkasse hinzu und beginnt zu erzählen: "Der Patient ist ordnungsgemäß versorgt worden mit dem, was der Arzt aufgeschrieben hat. Nun war früher üblich: Wenn die Höchstmenge bei einem Betäubungsmittel überschritten wurde, hat man ein Ausrufezeichen gesetzt. (...) Das wurde dann irgendwann geändert. Dann sollte es ein "A" sein und kein Ausrufezeichen mehr. Nun haben einige Ärzte aber einfach weiter Ausrufezeichen genutzt. Und jetzt verweigert uns die Krankenkasse bei einem Patienten die Zahlung - jedes Mal mehr als 400 Euro - weil da eben nun ein Ausrufezeichen steht und kein "A".
Das liegt nun ein Jahr zurück und hat der Patient das jeden Monat bekommen. Jetzt sind wir schon bei einem Schaden von rund 2.000 Euro." Inzwischen habe der Gesetzgeber aber auch dieses "A" aufgehoben, sagt Wurzbacher. Der Schaden bleibe dennoch, weil die Regelung damals noch gegolten habe.
Dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vor einiger Zeit vorschlug, dass die Apotheken für das Management der Lieferengpässe 50 Cent pro gelösten Fall zusätzlich erhalten sollen, hat der ganzen Situation aus Wurzbachers Sicht die Krone aufgesetzt: "Dass dahinter aber eine halbe Stunde telefonieren, eine halbe Stunde neues Rezept beschaffen oder einen Boten zum Arzt schicken steht, um ein Rezept zurückzuholen - das ist dann irgendwann der Gipfelpunkt der Frechheit."
Zum Aufklappen: Kritikpunkt Präqualifizierung
Als weiteres Beispiel führt Wurzbacher die sogenannte Präqualifizierung an - eine Art Eignungstest. Diese gilt demnach für diverse Akteure im Gesundheitswesen, etwa für Sanitätshäuser, Orthopäden oder eben auch für Apotheken. Diese "Präqualifizierung" muss erlangt werden, um bestimmte Gerätschaften als Kassenleistung abgeben zu dürfen; zum Beispiel ein Blutdruck-Messergerät.
Für die Apotheken bedeutet das, dass sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen müssen, beispielsweise muss ein Raum mit einer Liege und anderen spezifischen Eigenschaften ausgestattet sein. "Da fragt sich jeder Apotheker: Warum muss das eine Apotheke haben, wenn es nur um ein Blutdruck-Messgerät geht? Der Patient braucht dafür keine Liege. (...) Apotheken wurden da einfach mit den Topf hineingeworfen. Nur wenn sie das haben, dürfen sie bestimmte Dinge an Patienten abgeben. Apotheken wollen ja gar nicht all das machen, was Sanitätshäuser machen - aber sie müssen diesen ganzen Aufwand nachweisen und Umbauten machen, nur damit diese Räume da sind. Deswegen haben sich viele Apotheken von diesem Markt vollkommen verabschiedet. In der Stadt mag das noch gehen, aber die Landapotheken, wo kein Sanitätshaus weit und breit in der Nähe ist (...) Gerade für ältere Leute kann das zur Odysee werden."
Kontrollen der Apotheken gebe es bereits durch das Landesverwaltungsamt. Deren Aufsicht prüfe, ob in den Apotheken alles korrekt ablaufe. "Wir handeln hier mit hochwirksamen Arzneistoffen und dann sollen wir nicht in der Lage sein, ein Blutdruck-Messgerät normgerecht abzugeben? Das ist schon schwierig zu vermitteln", meint Wurzbacher und schüttelt den Kopf.
Das Problem der Honorierung
Neben der an vielen Stellen kritisierten Bürokratie gehört die Anpassung der Honorierung zu den Kernforderungen der Apothekerinnen und Apotheker. Zu Erklärung: der Verkaufspreis für Medikamente in den Apotheken setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen. Nur ein Teil davon ist das Honorar, welches die Apotheker erhalten und mit denen die laufenden Kosten gedeckt werden sollen.
Zum Großteil ist das ein Festbetrag, der trotz der gestiegenen Kosten in den vergangenen zehn Jahren nicht erhöht worden ist. "Auch vor uns machen die Rahmenbedingungen, die es in der Gesellschaft gibt - also Energiepreise und berechtigte Ansprüche auf erhöhte Vergütung für die Mitarbeiter - kein Halt", sagt Christian Wegner. Deshalb müsse die Vergütung, deren Stand auf 2014 sei, angepasst werden.
Der ABDA bringt den Kritikpunkt auf die Formel "Abkopplung von der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung." Arztpraxen und Krankenhäuser hätten hingegen Extra-Zahlungen erhalten.
In der Industrie lässt sich deutlich mehr verdienen - bis zum Faktor drei würde ich sagen.
"Die Apotheker haben öfter vorgesprochen und immer wieder gesagt: Wir brauchen mehr Geld für die Leistung. Es ist alles teurer geworden - Energie, Löhne, Mieten - alle Posten, die ringsherum laufen. Wir können nicht auf dem Niveau weiteragieren. Das wurde bis jetzt immer wieder ignoriert und gesagt, unsere Umsätze würden ja steigen", moniert auch Markus Wurzbacher.
Die Umsätze seien aber gar kein Gradmesser für den Ertrag, weil Apotheken pro Packung honoriert werden; egal ob das Medikament 10.000 Euro kostet oder 20 Euro. "Das bringt die Kalkulation mittlerweile auch durcheinander, weil es durch neue Innovationen immer teurere Medikamente gibt. Allein das Risiko, ein so teures Medikament auf Rezept abzugeben, wo dann die Krankenkasse nach einem Jahr wegen eines Formfehlers sagt: "Das bezahlen wir nicht." - Da müssen wir oft viele kleine Packungen abgeben, damit wir den Schaden wieder ausgleichen können."
Apothekensterben in Thüringen
Dass sich die Rahmenbedingungen für Apotheken verschlechtert haben, scheinen die Zahlen zu bestätigen. Allein Thüringen ist die Gesamtzahl der Apotheken laut Landesapothekerkammer (LAKT) von 573 im Jahr 2013 auf 507 zum Ende des Jahres 2022 geschrumpft - Tendenz fallend. Neueröffnungen gibt es nur wenige.
In jedem Fall wiegen sie die Zahl der Schließungen nicht auf. Was in größeren Stadt ärgerlich sein kann, wird in Kleinstädten oder ländlichen Regionen schnell zum Problem. Denn wenn dort eine Apotheker schließt, dann schließt nicht nur eine Apotheke, sondern die einzige Apotheke. Gibt es einfach zu wenige Apotheker?
An der Friedrich-Schiller-Universität Jena sind für die Erstsemester Pharmazie rund 75 Studienplätze vorgesehen. Für Markus Wurzbacher ist das zu wenig: "Die Apotheker werden einfach zu wenig ausgebildet", sagt er. Denn nicht alle von den 75 Personen, die das Studium beginnen, würden es auch beenden.
"Wenn am Ende 50 Personen im Jahr mit dem Pharmaziestudium fertig werden, gibt es für sie viele Möglichkeiten, wo sie tätig werden können. (...) Die Industrie zahlt natürlich auch ganz andere Gehälter als eine öffentliche Apotheke zahlen kann", führt er aus.
Dennoch gebe es auch Apotheker aus Überzeugung, die mit den Patienten arbeiten und mit Kunden Kontakt haben wollen. Eine adäquate Honorierung müsse es dafür aber ebenso geben.
Den Punkt untermauert auch Christian Wegner: "In der Industrie lässt sich deutlich mehr verdienen - bis zum Faktor drei würde ich sagen." Dazu kämen mitunter unattraktive Arbeitszeiten bis 20 Uhr, gerade in den Innenstädten oder in Center-Apotheken.
Und noch ein Detail nennt Wegner: "Es gibt gerade im Osten die Berufsgruppe der sogenannten Pharmazieingenieure. Das war in der DDR eine Ausbildung, die nach der Wende eingestellt wurde. (...) Mittlerweile sind die letzten, die da fertig geworden sind, am Ende ihres Berufslebens und scheiden nach und nach aus.
Die Pharmazieingenieure hatten aber bestimmte Vertretungskompetenzen, die notwendig sind, um Apotheken offen zu halten. Die können jetzt nur durch Apotheker ersetzt werden. Das heißt, wir haben das normale Ausscheiden von Apothekern aus dem Berufsleben und gerade jetzt noch diese zweite Berufsgruppe, die in Gänze rausgeht. Und da reichen die Apotheker oder Pharmazeuten nicht, die fertig werden", erklärt Wegner.
Noch einmal wird deutlich, wie sich die Probleme der Apotheker ineinander verzahnen: Apotheken schließen, weil Personal fehlt. Personal fehlt, weil die Rahmenbedingungen (Gehaltsniveau, Arbeitszeiten, Bürokratie etc.) das Arbeiten in einer Apotheke vergleichsweise unattraktiv gemacht haben. Und die Apotheker, die nachkommen, reichen nicht aus, um das Ausscheiden und die Abwanderung in andere Industriezweige zu kompensieren.
Blick in die Zukunft
Speziell für Thüringen hat die Landesapothekerkammer einen 7-Punkte-Plan aufgestellt. Zu den Forderungen gehören beispielsweise mehr Pharmazie-Studienplätze in Jena, die Gründung eines "Runden Tisches Thüringer Gesundheit" und mehr Handlungsfreiheit bei der Versorgung von Patientinnen und Patienten.
Etwas, das sich auf Markus Wurzbacher aus Weimar wünscht: "Uns muss einfach wieder mehr Freiheit gegeben werden", meint er. "Ob wir das jetzt noch per Hand draufschreiben oder nicht: Es gibt Lieferengpässe und da soll einfach mal die Kirche im Dorf gelassen werden. Wir denken uns das doch nicht aus", sagt er abschließend.
Das sind Triage-Situationen, in die uns die Gesetzgebung bewusst reinführt.
Mit gemischten Gefühlen blickt Christian Wegner in die Zukunft, vor allem was die Versorgung von schwerkranken Patientinnen und Patienten angeht. Sollte es durch Mechanismen in der Versorgung zu Engpässen bei bestimmten Medikamenten kommen, befürchtet er Triage-Situationen - etwa bei Krebspatienten: "Und jetzt stehen wir vor Situation, wenn da die Mengen nicht reichen: Wem gebe ich das? (...) Ich habe nicht für beide etwas unter Umständen. Wer entscheidet das? Ist das die Krankenkasse, die es entscheidet? Müssen wir das machen als Apotheke, wir haben es ja nun gerade da? Macht das der Arzt? (...) Wir haben im Versorgungsbereich völlig unabhängige Kunden voneinander. Das sind Triage-Situationen, in die uns die Gesetzgebung bewusst reinführt."
Den Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Lieferengpässen sieht er dahingehend eigentlich als Chance, etwa was den Rabattdruck der Krankenkassen oder Überregulierungen bei Generika-Medikamenten betrifft: "Die Fehler, die wir vor 20 Jahren im Bereich der Generika gemacht haben, die wir gerade versuchen, wieder zu korrigieren - die werden gerade noch mal gemacht. Und das sind die eigentlichen tiefgründigen Skandale, die dort gerade stattfinden."
MDR (cfr)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 12. Juni 2023 | 19:00 Uhr
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