Hintergrund Wenn die letzte Apotheke schließt: Apothekensterben in Zahlen

12. November 2023, 05:00 Uhr

Viele Apotheker sehen sich in ihrer Existenz gefährdet, andere haben bereits aufgegeben: In Thüringen ist die Zahl der Betriebe auf den Stand der Neunzigerjahre gesunken. In vielen Orten schloss bereits die letzte Apotheke.

Die Stimmung ist schlecht bei den deutschen Apothekerinnen und Apothekern. 83 Prozent erwarten, dass es der Branche in den kommenden zwei bis drei Jahren wirtschaftlich schlechter geht. Zwei Drittel erwarten dies auch für ihre eigene Apotheke, wie eine Umfrage der deutschen Apothekenkammer ergab.

Als größte Ärgernisse gaben sie Bürokratie, Lieferengpässe und unzureichende Honorierung an. Aber auch Nachwuchs- und Personalprobleme sowie geringe Wertschätzung ihrer Leistungen im Gesundheitswesen beklagten eine Mehrheit der Befragten. Die Folge: Immer mehr Apotheken schließen. Thüringen hat heute nur noch so viele Apotheken wie Mitte der Neunzigerjahre.

Seit über zehn Jahren geht es abwärts

Nach dem Aufschwung in den Neunzigern wuchs die Branche ab dem Jahr 2005 stark an. Durch eine Gesetzesänderung ein Jahr davor durften Apotheker neben ihrer Hauptapotheke nun bis zu drei Filialapotheken in der Nähe betreiben. Einige hätten diese Chance genutzt, sagt Danny Neidel von der Apothekerkammer Thüringen. Allerdings sei dabei erstens eine Blase entstanden und zweitens habe eine Verschiebung vom Land in die Stadt stattgefunden, da sich Apotheken und Filialen in Ballungsgebieten mehr lohnen.

Ende 2010 habe diese Blase und die Zahl der Apotheken in Thüringen mit 583 einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Seitdem schlossen wieder deutlich mehr Betriebe und die Blase hätte sich laut Neidel irgendwann wieder einpendeln müssen - ihm zufolge auf dem Niveau der Jahrtausendwende, als es in Thüringen 540 Apotheken gab.

Doch seit 2018 sinkt die Zahl immer weiter. Apotheker beklagen aktuell Lieferengpässen, Personalmangel sowie unzureichende Vergütung und bezeichnen ihre Situation als extrem angespannt. Die Folge: Immer mehr Inhaber geben aus finanziellen Gründen auf oder finden keine Nachfolge.

Hinzu kommt der Online-Handel. Dieser sei für Apotheken vor Ort ein ähnlich großes Problem wie für andere Läden auch, sagt Neidel. Die Umsatzzahlen ausländischer Versandapotheken ließen erahnen, was den Apotheken verlorengeht. "Wirklich zu quantifizieren ist dies aber nur schwer."

Drei weitere Apotheken schließen

Seit Februar 2023 hat sich die Entwicklung noch einmal verschärft. Hintergrund ist der Kammer zufolge ein höherer Herstellerabschlag an die gesetzlichen Krankenkassen, den Apotheker leisten müssen. Pro verschreibungspflichtiges Medikament beträgt dieser nun zwei Euro anstatt 1,77 Euro.

Elf Apothekeninhaber gaben 2023 in Thüringen bereits auf - vor wenigen Wochen schloss der Betrieb beispielsweise in Rudolstadt, Greußen und Saalburg-Ebersdorf. Stand jetzt gibt es in Thüringen erstmals wieder weniger als 500 Apotheken. Und der Trend geht weiter: Nach Angaben des Gesundheitsministeriums schließen demnächst drei weitere Apotheken - eine davon in Eisenach.

Neuöffnungen oder Übernahmen gab es 2023 dagegen überhaupt keine, der zuständigen Behörde liegen auf Anfrage auch keine Anmeldungen vor. Seit 2018 öffnete im Freistaat nur eine einzige Apotheke jährlich - und zwar in Weimar (2018), Jena (2019), Altenburg (2020), Kranichfeld (2021) und Saalfeld (2022). In diesem Zeitraum schlossen in Thüringen ganze 50 Apotheken, wie über die Suche auf der Karte nachvollzogen werden kann.

Wenn die letzte Apotheke im Ort schließt

Zwar sind Städte von den Schließungen gleichermaßen wie kleinere Orte betroffen: So hat Gera seit 2018 vier Apotheken verloren, Gotha, Weimar und Erfurt jeweils drei und Jena zwei. Dennoch wiegt der Verlust durchaus schwerer, wenn im Ort die einzige Apotheke plötzlich nicht mehr da ist. Für die Einwohner heißt das oft, in die nächste Gemeinde fahren zu müssen statt sich zu Fuß die Medikamente besorgen zu können. Fast 20 Thüringer Orte und Ortsteile haben in den vergangenen 15 Jahren ihre einzige Apotheke verloren.

In diesem Jahr sind bisher vier Orte betroffen: Geraberg, Saalburg-Ebersdorf, Stützerbach und Herbsleben. Deren Einwohner müssen nun in den Nachbarort, um zur nächsten Apotheke zu gelangen. Die weiteren Orte sowie die Luftlinie zur nächstgelegenen Apotheke zeigen wir in der Übersicht:

Die Landesregierung plant nun eine Förderung bis zu 45.000 Euro für alle, die eine Landapotheke neu gründen oder übernehmen. Für einige Orte wie Mohlsdorf-Teichwolframsdorf kommt das zu spät. Die Gemeinde setzt wie fast 70 andere in Thüringen auf Rezeptsammelstellen. Bewohner können ihre Rezepte in einem zentralen Briefkasten werfen und werden von Apotheken aus umliegenden Gemeinden beliefert. Die Sammelstellen bewirken zwar wenig gegen den Apothekenschwund, leisten aber ihren Beitrag zur Versorgung mit Arzneimitteln. Rund 70 dieser Sammelstellen sind gegenwärtig in Thüringen registriert.

Vor zwei Wochen demonstrierten Apotheker und andere Beschäftigte des Gesundheitswesens vor dem Thüringer Landtag. Vor allem die Pläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sind ihnen ein Dorn im Auge. Neben stagnierenden Honoraren und steigenden Kosten bereitet ihnen die weitere Liberalisierung Kopfzerbrechen. Das Apothekennetz soll in einigen Bereichen noch flexibler werden und Apotheker neben Filialen auch kleine Nebenstandorte betreiben dürfen. Weil sich das oft nur in Städten lohnt, befürchtet Neidel, dass gerade dieser Schritt weiter zu Lasten der kleinen Landapotheken führen könnte.

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MDR (sar)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Fazit vom Tag | 10. November 2023 | 18:00 Uhr

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