Thüringen Anschläge auf Wohnhaus und Politiker-Büros - "Angst im eigenen Bett"
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20. Februar 2024, 21:22 Uhr
In Thüringen hat es in kurzer Zeit mehrere Angriffe auf Gebäude gegeben, in denen Politiker wohnen oder arbeiten. Ein mutmaßlicher Anschlag galt dem Wohnhaus von Michael Müller im Kreis Gotha. Nur wenige Stunden zuvor hatten Unbekannte die Scheiben von zwei SPD-Büros in Suhl eingeworfen. Das Wahlkreisbüro von Landtagspräsidentin Birgit Pommer in Bleicherode wurde mit Hakenkreuzen beschmiert.
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Unbekannte haben im Waltershäuser Ortsteil Schnepfenthal im Landkreis Gotha einen Brandanschlag auf das Wohnhaus des SPD-Politikers Michael Müller verübt. Verletzt wurde niemand, der Sachschaden ist erheblich. Die Kriminalpolizei ermittelt in alle Richtungen.
Familie mit Baby übernachtete im Haus
Die Täter hatten in der Nacht zu Montag den Eingangsbereich des Hauses und ein davor geparktes Auto angezündet und Brandbeschleuniger verwendet. Die Polizei gab den Schaden mit rund 13.000 Euro an. Veröffentlichte Fotos zeigen ein teilweise ausgebranntes Fahrzeug und einen verkohlten Eingangsbereich des Hauses - die Bilder lassen auf einen höheren Schaden schließen. Auch Müller selbst geht von einem deutlich höheren Schaden aus.
Ich war in der ganzen Welt unterwegs, habe unter freiem Himmel übernachtet, nun habe ich Angst zu Hause im eigenen Bett.
Der SPD-Politiker war zum Zeitpunkt des Anschlags nicht zu Hause. In der Tatnacht schlief eine Familie mit Baby in dem Haus. Die Gäste wurden seiner Aussage nach vom Knacken des Feuers geweckt und konnten so rechtzeitig Hilfe rufen. "Wenn sie ein paar Minuten später nachgeschaut hätten, hätte das komplett aus Holz gebaute Haus wohl in Flammen gestanden", so Müller. Was dann passiert wäre, wolle er sich nicht ausmalen.
Müller schockt die Kaltblütigkeit des Anschlags. Der oder die Täter hätten bewusst Verletzte oder gar Tote in Kauf genommen. Der "Deutschen Presseagentur" sagte er: "Ich weiß nicht, wer es war. Es gab keine konkreten Drohungen gegen mich, ich habe keine Feinde."
Ramelow: "Ungeheuerlicher Akt der brutalen Gewaltanwendung"
Müller bewohnt das Haus privat. Jetzt begleite ihn dort ein mulmiges Gefühl. "Ich war in der ganzen Welt unterwegs, habe unter freiem Himmel übernachtet, nun habe ich Angst zu Hause im eigenen Bett", sagte er. Familie und Freunde stünden ihm zur Seite, auch SPD-Landeschef Georg Maier habe sich bereits bei ihm gemeldet, so Müller.
Er rechnet damit, dass das Geschehen etwas mit ihm macht, ihn verändert. Er werde wohl noch besonnener auftreten, sich noch überlegter äußern, um der Verrohung der Sprache und der Gesellschaft entgegenzuwirken, sagte er. Müller ist stellvertretender Vorsitzender im SPD-Ortsverein und im Landesparteirat. Er hat bereits für den Bundestag kandidiert und Demonstrationen gegen Rechtsextremismus mitinitiiert.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) nannte die Brandstiftung auf der Plattform X eine "unfassbare Tat" und einen "ungeheuerlichen Akt der brutalen Gewaltanwendung". Brandstiftung bedeute, den Tod von Menschen herbeizuführen oder billigend in Kauf zu nehmen.
Innenminister spricht von "Verrohung" in Gesellschaft
Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) warnte im Gespräch mit der "Tageszeitung" vor einer fortschreitenden "Verrohung" in der Gesellschaft. "Es werden rote Linien überschritten - Gewalt wird gezielt als politisches Mittel eingesetzt", sagte Maier der Zeitung. Inzwischen finde die Entwicklung nicht mehr nur verdeckt, sondern "ganz offen" statt.
Der Staat werde dem nicht tatenlos zusehen, fügte der SPD-Landeschef hinzu. Es werde intensiv ermittelt. Maier sagte der "Tageszeitung", konkrete Hinweise auf ein politisches Motiv für die Brandstiftung gebe es bislang zwar nicht. "Allerdings liegt der Verdacht nahe." Gefährdeten Menschen werde Schutz angeboten. "Wir wollen exponierte Personen, die sich jetzt engagiert haben bei Demos oder in anderer Art und Weise, kontaktieren und eine Gefährdetenansprache machen", sagte Maier der "Deutschen Presse-Agentur".
Dabei sollten Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie sich die Betroffenen bei Bedrohungen verhalten und welche Schutzmaßnahmen sie ergreifen könnten.
Die CDU im Landtag sprach von "niederträchtigen Angriffen", die durch nichts zu rechtfertigen seien. Fraktionschef Mario Voigt sagte, hinter Politikern stünden immer auch Familien. Wenn politisches Engagement, vor allem auch im Ehrenamt, aus Angst ausbleibe, habe das Auswirkungen auf die Gesellschaft. "Die aktuellen Angriffe sind aufs Schärfste zu verurteilen und sollten allen zu denken geben", so Voigt.
Wahlkreisbüro der Landtagspräsidentin mit Hakenkreuzen beschmiert
Nur wenige Stunden zuvor hatten Unbekannte die Scheiben von zwei SPD-Büros in Suhl eingeworfen. Dabei entstand ein Schaden von mehreren Tausend Euro.
Am Montagnachmittag beschmierten Unbekannte außerdem das Wahlkreisbüro von Landtagspräsidentin Birgit Pommer (Linke) in Bleicherode im Landkreis Nordhausen mit roten Hakenkreuzen. Der Staatsschutz ermittle, teilte die Polizei am Dienstag mit. Die Täter seien möglicherweise gestört worden, da eine Parole nicht vollendet worden sei. Ein Foto zeigt das Wort "Sieg" auf dem Schaufenster.
Angriffe auf Wahlbüros von Thüringer Landespolitikern
- Bisher liegen nur für das Jahr 2022 Zahlen zu den Angriffen auf Wahlkreisbüros von Thüringer Landtagsabgeordneten vor. Sie gehen auf eine Anfrage des Landtagspolitikers Sascha Bilay (Linke) an das Innenministerium zurück. Angriffe auf Büros von Thüringer Bundespolitikern oder etwa Bürgermeistern sind damit nicht erfasst. Zudem sind nur Vorfälle aufgeführt, für die es eine Anzeige bei der Polizei gegeben hat.
- 2022 wurden demnach 63 solcher Straftaten in Thüringen registriert. Das sind fast genauso viele wie im Jahr 2020, als mit 68 Angriffen ein Höchststand seit 2012 registriert wurde.
- Im Jahr 2021 gab es 48 Angriffe auf Wahlkreisbüros im Freistaat. Zumeist handelte es sich dabei um Sachbeschädigungen wie eingeschlagene Fensterscheiben.
- Ein Großteil der 2022 verübten Straftaten (28) richtete sich gegen Büros von AfD-Abgeordneten. Die meisten dieser Angriffe werden der politisch motivierten Kriminalität aus dem linken Spektrum zugerechnet.
- Wahlbüros von Politikern der Linkspartei waren 16-mal von Attacken betroffen, Büros der Grünen neunmal, Büros der SPD siebenmal und CDU-Büros dreimal.
- Fast alle Ermittlungen zu den 2022 verübten Straftaten wurden im selben Jahr eingestellt, ohne dass die Tatverdächtigen ermittelt werden konnten.
- Nur bei zwei Angriffen auf ein AfD-Wahlkreisbüro in Sondershausen und ein Wahlkreisbüro der Linken in Eisenach wurde gegen jeweils fünf Tatverdächtige noch ermittelt.
MDR (kku/cma/co)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Regionalnachrichten | 20. Februar 2024 | 08:30 Uhr