Polizisten und ein Polizeiauto vor einem Haus.
Ausgehend vom sogenannten "Flieder Volkshaus" entstand in den letzten Jahren ein rechtsextremes Biotop in Eisenach, dessen Strukturen weit über Thüringen hinaus reichen. Bildrechte: MDR/Marcus Scheidel

Rechtsextremismus Nahezu ungestört: Militantes Neonazi-Netzwerk hat sich in Eisenach etabliert

06. April 2022, 12:29 Uhr

In Eisenach ist ein militantes Neonazi-Netzwerk herangewachsen, das bisher offenbar nahezu ungestört agieren und sich radikalisieren konnte. Dreh- und Angelpunkt der Szene ist die als "Flieder Volkshaus" bekannte Immobilie der rechtsextremen NPD.

Fliederfarbene Fassade, Stuck an den Fenstern, über der Eingangstür der Schriftzug "Flieder Volkshaus". Ortsunkundige würden in dem Haus in der Eisenacher Katharinenstraße auf den ersten Blick wohl kaum ein Neonazi-Zentrum vermuten. Als 2014 der Kauf der Immobilie durch die rechtsextreme NPD bekannt wurde, war das vor allem für die Eisenacher Zivilgesellschaft ein Schock.

Von der Parteiimmobilie zum militanten Zentrum

Hinter dem Erwerb steckte der mehrfach unter anderem wegen Gewaltstraftaten verurteilte NPD-Kader Patrick Wieschke, der seit nunmehr über zwei Jahrzehnten die Fäden in der Eisenacher und Thüringer Neonazi-Szene zieht. Das "Flieder Volkshaus" entwickelte sich innerhalb kürzester Zeit zu einem wichtigen Anlaufpunkt der rechtsextremen Szene bundesweit, das längst mehr nur die NPD-Landesgeschäftsstelle beherbergt.

In den vergangenen Jahren konnte sich ausgehend vom "Flieder Volkshaus" ein rechtsextremes Biotop in Eisenach etablieren, das seine toxischen Strukturen weit über Thüringen hinaus gesponnen hat. Parteiveranstaltungen, Rechtsrockkonzerte, Ideologieschulungen und konspirative Treffen militanter Gruppen mit bundesweiter und internationaler Vernetzung finden regelmäßig hier statt.

"Knockout 51": Schießtraining und Kampfsport

Eine dieser Gruppen ist "Knockout 51", die die gewaltorientierte und kampfsportaffine junge Eisenacher Neonazi-Szene bündelt. Ihre Mitglieder trainieren im "Flieder Volkshaus" für den Straßenkampf und pflegen seit Jahren beste Kontakte in die bundesweite Neonazi-Kampfsportszene wie in das Netzwerk "Kampf der Nibelungen", der als kriminellen Vereinigung eingestufte Neonazi-Hooligan-Gruppe "Jungsturm". Zudem nahmen die Mitglieder laut der Rechercheplattform "Exif" auch am konspirativen Kampfsportturnier "Tiwaz" teil.

Auf Fotos eines konspirativen Treffens im "Flieder Volkshaus" vom Januar 2022, die die "antifaschistische" Rechercheplattform "exif" auf Twitter veröffentlichte, ist Bastian A. zu sehen, der den Arm zum Hitlergruß hebt. A. gehört zum engsten Kreis von "Knockout 51".

Wie militant A. offenbar ist, unterstreicht auch ein weiteres Foto aus den sozialen Netzwerken vom Januar 2021, das MDR THÜRINGEN vorliegt. Es soll Bastian A. mit einem Maschinengewehr an einem Schießstand in Tschechien zeigen. Das Foto soll der Rechtsextremist selbst mit der rassistischen Parole: "Mein Finger am Trigger im Visier ein N…" kommentiert haben. Er soll zu den am Morgen festgenommenen Beschuldigten gehören.

"Kneipenwirt und Terror-Symphatisant": Der Fall Leon R.

Wie gewaltbereit "Knockout 51" tatsächlich ist, und dass die Gruppe nicht nur bundesweit, sondern auch international in militante Kreise vernetzt ist, zeigt auch die Führungsfigur Leon R. R. gilt als die zentrale Figur und Netzwerker der Eisenacher Neonazi-Szene und als treibende Kraft hinter den bundesweiten und internationalen Kontakten.

Der Inhaber der Szenekneipe "Bull's Eye" in Eisenach ist derzeit Zeuge in einem Prozess in Dresden. Die Bundesanwaltschaft wirft den Angeklagten vor, den Eisenacher Neonazi-Kampfsportler 2019 zweimal überfallen und verletzt zu haben.

Die Bundesanwaltschaft ermittelt offenbar schon länger gegen R. wegen seiner Vernetzung mit der "Atomwaffen Division". Die rechtsterroristische Gruppe hatte sich 2015 in den USA gegründet und galt bis zu ihrer Auflösung 2020 als eine der gefährlichsten Neonazigruppen. Leon R. werden Kontakte zum deutschen Ableger vorgeworfen, er soll ein Propaganda-Video ins Internet gestellt haben. Auch er soll am Morgen festgenommen worden sein.

"Combat 18": Das verbotene Netzwerk und seine Akteure

Die Kontakte zur "Atomwaffen Division" sind keinesfalls ein Einzelfall. Auf den Fotos des konspirativen Treffens im "Flieder Volkshaus" posieren neben Mitgliedern von "Knockout 51" mit Kadern des seit 2020 verbotenen militanten Neonazi-Netzwerks "Combat 18", dem bewaffneten Arm des ebenfalls in Deutschland verbotenen militanten Neonazi-Netzwerks "Blood & Honour". Mit dabei war auch Stanley R., eine Führungsfigur des mittlerweile verbotenen C18-Netzes. R. war bereits vor einigen Jahren aus Kassel nach Thüringen gezogen.

Außerdem auf den Fotos zu sehen: Marko Gottschalk, Band-Chef der "C18"-Band "Oidoxie" aus dem Ruhrgebiet. Nach MDR THÜRINGEN-Informationen soll bei dem Treffen auch Robin S., ein ehemaliger "C18"-Kader und "Kampf der Nibelungen"-Kader anwesend gewesen sein.

S., der in der Vergangenheit wegen eines Raubüberfalls zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde, sorgte vor Jahren mit seiner Brieffreundschaft mit Beate Zschäpe bundesweit für Schlagzeilen. Szenekenner vermuten, dass es sich bei dem Treffen im Januar in Eisenach um ein konspiratives Trainingscamp gehandelt haben könnte. Das Treffen ist einer der jüngsten Belege, wie militant und vernetzt die Eisenacher Neonazi-Szene mittlerweile ist.

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 06. April 2022 | 19:00 Uhr

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