Blick auf die Stadt Sonneberg
Sonneberg in Südthüringen ist Kreisstadt des gleichnamigen Landkreises. Sonntag wird erneut gewählt. Bildrechte: IMAGO/Pond5

Der Landkreis Sonneberg in Zahlen Die große Wahl im kleinen Kreis

23. Juni 2023, 20:20 Uhr

Südlich des Rennsteigs, eingeklemmt zwischen dem Thüringer Wald und der ehemaligen innerdeutschen Grenze, liegt der zweitkleinste Landkreis Deutschlands. Politisch weniger bedeutend, offenbart ein Blick in seine Zahlen, was die Menschen hier bewegt.

Wenn am Sonntag die 48.299 Wahlberechtigen im Landkreis Sonneberg noch einmal aufgerufen sind, über ihren künftigen Landrat abzustimmen, schaut ganz Deutschland zu. Erstmals könnte ein AfD-Kandidat zum Hauptverwaltungsbeamten eines deutschen Landkreises aufsteigen.

Für die in Thüringen als rechtsextrem eingeschätzte Partei wäre das vor allem ein großer symbolischer Erfolg, sagt der Jenaer Soziologe und Rechtsextremismusforscher Matthias Quent im Interview mit der Tagesschau. Und viel deutlicher lässt es sich mit nur einem Wort nicht auf den Punkt bringen: symbolisch.

Sonneberg: Das Paska unter den Landkreisen

Denn schon jetzt überragt die mediale Berichterstattung die Bedeutung des flächenmäßig kleinsten Landkreises Ostdeutschlands um Längen. Für Thüringen ist das nicht neu: Es erinnert an das 100-Seelen-Dorf Paska im Saale-Orla-Kreis. Nach der Landtagswahl 2019 wurde der winzige Ort von Medienvertretern praktisch überrannt, weil hier die AfD fast zwei Drittel aller Stimmen bekam.

Im Landkreis Sonneberg bahnt sich gerade Ähnliches an - nur eben nicht auf Gemeinde- sondern auf Landkreisebene. Denn der Kreis Sonneberg ist auch von seiner Bevölkerungszahl her ein Winzling: 56.922 Einwohner zählt das Landesamt für Statistik aktuell. Deutschlandweit leben nur im Kreis Lüchow-Dannenberg in Niedersachsen weniger Menschen. Das politische Gewicht des Landkreises Sonneberg ist also eher gering.

Der demografische Wandel ist hier spürbar

Das hat auch mit der demografischen Entwicklung Thüringens nach der Wende zu tun. Wie fast überall im Freistaat schrumpfte die Bevölkerungszahl auch im Landkreis Sonneberg deutlich. Er verlor seit 1990 rund ein Fünftel seiner Einwohner. Außerdem ist die Bevölkerung im Schnitt deutlich älter geworden. Im Jahr 1998 waren 17 Prozent der Einwohner unter 18 Jahre und etwa genauso viele über 65 Jahre alt. Heute gibt es hier ein Ungleichgewicht: Nur noch knapp 14 Prozent sind 18 Jahre oder jünger, aber rund 29 Prozent sind 65 Jahre und älter.

Die Überalterung ist nicht nur problematisch für den Arbeitsmarkt oder die Gesundheitsversorgung. Mit ihr verändert sich auch das Lebensgefühl im Landkreis. Wenn immer weniger junge Menschen nachkommen, fehlen nicht nur jugendliche Impulse, auch den Älteren gehen Perspektiven verloren: Wer übernimmt dann eigentlich das Haus, das man sich über Jahrzehnte abgespart, oder die Firma, die man sein Leben lang aufgebaut hat?

Medizinische Versorgung wird zum Problem

Der chronische Hausärztemangel im ländlichen Raum manifestiert sich auch in Sonneberg. Statistisch gesehen hat sich die allgemeine Gesundheitsversorgung deutlich verschlechtert. Kamen 2004 auf einen Hausarzt im Landkreis Sonneberg noch 1.413 Patienten, so sind es heute schon 2.282. Dabei ist die Zahl der approbierten Ärzte im gleichen Zeitraum von 166 auf 196 gestiegen. Das Problem: Viele Ärzte spezialisieren sich - und die freiwerdenden Hausarztsitze können nur ungenügend nachbesetzt werden.

Viel Arbeit, wenig Ertrag

Eine weitere Parallele zum Dorf Paska findet sich auf dem Arbeitsmarkt: Auch im Kreis Sonneberg hat sich die Arbeitslosenquote in den vergangenen 15 Jahren halbiert. Zuletzt lag sie bei 4,5 Prozent. Doch von diesem wirtschaftlichen Aufschwung profitieren die Menschen - genau wie in Paska - zu wenig.

Der Bruttolohn liegt im Durchschnitt bei rund 29.000 Euro. Das sind rund 11.000 Euro weniger als im bundesdeutschen Durchschnitt, rund 5.200 Euro weniger als im ostdeutschen Durchschnitt und noch immer rund 2.000 Euro weniger als im Durchschnitt Thüringens. Möglicherweise sind auch deswegen Menschen unzufrieden und wenden sich von den traditionellen Volksparteien ab.

Wählerwanderung

Dieser Trend zeigt sich auch in den Bundes- und Landtagswahlen seit der Wende. In den 90er-, Nuller- und 2010er-Jahren verteilten sich die Stimmen im Landkreis Sonneberg vor allem auf drei Parteien: CDU, SPD und Linke. Zusammen teilten sie sich immer zwischen 80 und 90 Prozent aller Stimmen, wobei die Stimmen zwischen SPD und Linke je nach Wahl mäanderten: Auf Bundesebene schnitt die SPD besser ab, im Land eher die Linke. Die CDU schwankte zwar der Höhe der Ergebnisse, lag aber bis 2019 immer bei mindestens 25 Prozent.

Bei der Bundestagswahl 2017 änderte sich das. Der AfD gelang es, den drei Platzhirschen das Bärenfell streitig zu machen. Mit 25,6 Prozent der Stimmen landete sie knapp hinter der CDU sogar auf Platz zwei. Vor allem die Linke verlor damals deutlich an Stimmen.

Das sah bei der Landtagswahl 2019 dann zwar anders aus - mit Ramelow als Ministerpräsident holte die Linkspartei fast ein Drittel aller Stimmen und wurde stärkste Kraft. Dafür implodierte die SPD regelrecht (6,1) und die CDU (26,2) musste sich von der AfD (26,5) geschlagen geben. 2021 wurde die AfD bei der Bundestagswahl dann erstmals stärkste Kraft im Landkreis.

Ausländeranteil spürbar gestiegen

Ihre Wahlerfolge dürfte die AfD unter anderem Krisen rund um Euro, Krieg und Energie zu verdanken haben. Vor Ort im Landkreis Sonneberg könnte auch die Migration eine Rolle spielen. Seit der Wende lag der Ausländeranteil stabil zwischen zwei und drei Prozent. In den Jahren 2011 und 2012 erreichte er mit nur 1,1 Prozent einen Tiefpunkt.

Doch mit der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 setzte eine Veränderung ein. Fortan war der Zuzug in den Landkreis durch Menschen ausländischer Herkunft bestimmt. Inzwischen liegt der Anteil bei 8,3 Prozent der Gesamtbevölkerung (Stand: Ende 2022). Thüringenweit rangiert die Region Sonneberg damit im oberen Mittelfeld. Zum Vergleich: Der Ausländeranteil ist in Suhl mit 13,3 Prozent am höchsten, im Kreis Greiz mit 4,3 Prozent am niedrigsten.

Das Symbol Sonneberg

All diese Daten zeigen, dass sich der Landkreis Sonneberg kaum von anderen ländlichen Regionen in Thüringen unterscheidet: Arbeit wird oft zu schlecht bezahlt, die staatliche Daseinsvorsorge - gerade im medizinischen Bereich - scheint die Menschen zu vernachlässigen. Hinzu kommt ein altersdemografischer Wandel, der praktisch nur durch die Migration aufgehalten werden könnte - die aber im Kreis durchaus auch auf Skepsis oder gar Ablehnung stößt.

Wenn diese Gemengelage am Sonntag dazu führt, dass die AfD erstmals einen Landratsposten erobert, dann mag das im kleinsten ostdeutschen Landkreis nur ein eher symbolischer Erfolg sein, der der AfD zunächst kaum ein größeres politisches Gewicht verleiht. Doch für die anderen Parteien könnte Sonneberg eine sehr viel größere Bedeutung bekommen. Als Symbol dafür, dass sie bei der Thüringer Landbevölkerung womöglich weiter an Vertrauen eingebüßt haben.

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MDR (ask/mm)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 25. Juni 2023 | 19:00 Uhr

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