Yuliya Ryzhkova steht nehmen ihrer Chefin Jutta Höhn stehen vor einer Rezeption
Yuliya Ryzhkova (r.) neben ihrer Chefin Jutta Höhn: Früh Sprachkurs, danach Arbeit: Vor wenigen Tagen hat sie die B1-Prüfung bestanden. Bildrechte: MDR/Marlene Drexler#

Integration Wie eine Ukrainerin zur Pflegehelferin umschulte: "Mittlerweile ist der Vertrag entfristet"

18. Juli 2024, 05:00 Uhr

Ukrainerinnen und Ukrainer in Arbeit zu bringen, klappt in Deutschland oft noch nicht gut. Auch weil oft gilt: Erst die Sprache, dann der Job. Yuliya Ryzhkova hat dagegen nach ihrer Ankunft in Meiningen im März 2022 sofort angefangen zu arbeiten - in einem fremden Beruf. Ein Wiedersehen nach anderthalb Jahren.

Porträt Regionalkorrespondentin Marlene Drexler
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Ist die Geschichte von Yuliya Ryzhkova vielleicht doch anders ausgegangen als erwartet? Ein Gedanke, der aufkommt, nachdem die Mail an Jutta und Marcus Höhn zunächst unbeantwortet bleibt. Vor anderthalb Jahren hat MDR THÜRINGEN schon einmal über Yuliya Ryzhkova berichtet. Die 45-jährige Ukrainerin war nach dem russischen Angriffskrieg mit ihren zwei Töchtern nach Thüringen geflüchtet.

Noch in ihrem Heimatland hatte sie Kontakt zu Jutta und Marcus Höhn aufgenommen. Die beiden hatten eine Anzeige auf einer Internetseite geschaltet, die Ukrainer mit deutschen Arbeitgebern in Kontakt bringen sollte. Die Höhns, Mutter und Sohn, leiten gemeinsam ein Demenzzentrum in Meiningen.

Sie wollten jemandem mit einem konkreten Jobangebot helfen, sich eine neue Lebensperspektive aufzubauen, erzählten sie damals. Mitgebracht hatten sie auch die Bereitschaft, bei allerlei Papierkram, aber auch lebenspraktischen Dingen wie Wohnungssuche zu unterstützen.

Fremde Sprache, fremder Beruf 

Von Yuliya Ryzhkovas ungebremsten Tatendrang waren die Höhns zu Beginn fast etwas überfordert. Sie habe direkt am ersten Tag anfangen wollen zu arbeiten. Für alle Beteiligten hieß es ab da: sich entlang sprachlicher und bürokratischer Hürden einen eigenen Weg durchs Unbekannte zu bahnen. Erst war sie Praktikantin, schließlich konnte ein Vertrag als Pflegehelferin aufgesetzt werden.

Wer bei uns anfängt, muss Lust darauf haben, älteren Menschen im Alltag zu helfen.

Jutta Höhn

In der Ukraine hat die 45-Jährige in einem Theater als Regisseurin gearbeitet. Demnach war in Deutschland für sie zu Beginn nicht nur die Sprache fremd, sondern auch das gesamte Berufsfeld. Jutta Höhn sagt: "Wer bei uns anfängt, muss Lust darauf haben, älteren Menschen im Alltag zu helfen". Alles andere könne man lernen. Vor anderthalb Jahren sprach Yuliya Ryzhkova nur wenige Brocken deutsch.

Am Ende des Gesprächs sagte sie damals zwei Worte, die durch den flehenden Ton im Ohr blieben: "Integration. Bitte!". Eine Aussage, in der spürbar wurde, wie sehr sie sich wünschte, unabhängig zu werden. Das Problem damals: Es gab keine freien Plätze in den Sprachkursen.

"Sie ist mittlerweile fester Bestandteil des Teams"

Jutta Höhn sagt, sie würden immer wieder die Erfahrung machen, dass Menschen bei ihnen anfangen und kurze Zeit später wieder weg sind. Weil ihnen die pflegerische Tätigkeit in der Praxis doch nicht zusagt. Bei jungen Menschen erlebe sie auch Überforderung, da fehle es teilweise an Selbstständigkeit.

Yuliya Ryzhkova dagegen hat sich als engagierte, zuverlässige Mitarbeiterin herausgestellt. "Seit diesem Monat ist ihr Vertrag entfristet", erzählt Jutta Höhn am Telefon, als sie sich einige Tage nach der Mail doch zurückmeldet. Mittlerweile sei Yuliya Ryzhkova fester Bestandteil des Teams.

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Sprachkurse deutlich aufgestockt

Beim Treffen mit ihr im Hof des Demenzzentrums trägt sie eine weiße Hose und ein blaues Arbeitsoberteil, arbeitet gerade in der Frühschicht. "Alles gut. Aber auch ziemlich müde, ich hatte viel Stress", antwortet Yuliya Ryzhkova auf die Frage, wie es ihr geht. Eine App zum Übersetzen wie beim ersten Treffen braucht es nicht mehr. Nachdem sie schon anderthalb Jahre gearbeitet hatte, bekam sie im November schließlich den lang ersehnten Platz im Sprachkurs. Seitdem hieß es morgens fünf Stunden Kurs, anschließend sechs Stunden Spätschicht.

Laut dem Landratsamt in Schmalkalden-Meiningen haben bis heute 435 Ukrainerinnen und Ukrainer im Landkreis einen Sprach- oder Integrationskurs besucht. Die Bildungskoordination für Neuzugewanderte, Melanie Anders, schätzt, dass sich die Anzahl der angebotenen Kurse seit den letzten zwei Jahren verdoppelt oder sogar verdreifacht hat. Dennoch käme es zum Teil immer noch zu Wartezeiten. Teilnehmer müssten zuerst einen Einstufungstest durchlaufen und entsprechende Termine seien wegen personeller Kapazitäten begrenzt.

"Grammatikfehler sind nicht das Problem"

Yuliya Ryzhkova hat vor wenigen Tagen die B1-Prüfung bestanden. Damit kann sie sich im Alltag ohne größere Probleme verständigen. Verwundert ist die 45-Jährige darüber, dass von den insgesamt 21 Teilnehmern nur vier erfolgreich abgeschlossen haben. Theoretisch könnte sie jetzt direkt den nächsten Sprachkurs dranhängen: "Ich wünsche mir aber eine kleine Pause". Die Belastung sei in den vergangenen Monaten groß gewesen.

Es braucht eine Fähigkeit zur Grundkommunikation. Danach zählt vor allem, in welchem Ton man mit den alten Menschen spricht.

Jutta Höhn

"Für uns war es natürlich gut, dass sich Kurs und Arbeit vereinen ließen", sagt Chefin Jutta Höhn. Denn auch hier ist die Personaldecke eher dünn. Natürlich spreche Yuliya noch lange nicht perfekt Deutsch, sie könne sich mittlerweile aber ausreichend mit den Bewohnern des Heims verständigen, so die Chefin: "Es braucht eine Fähigkeit zur Grundkommunikation. Danach zählt vor allem, in welchem Ton man mit den alten Menschen spricht." Wenn sie merken würden, da ist jemand, der ist freundlich und zugewandt, seien Grammatikfehler kein Problem.

Studie sieht Deutschland im europäischen Vergleich im Mittelfeld

Was den Höhns und Yuliya Ryzhkova gemeinsam gelungen ist, ist in Deutschland bisher eher die positive Ausnahme. Die Tagesschau berichtete zuletzt, dass von allen Ukrainerinnen und Ukrainern in Deutschland nur ein Viertel arbeitet.

Das hat auch damit zu tun, dass in Deutschland die Devise verbreitet ist: Erst Sprachkurs machen, dann Job suchen. Ob das eine gute (weil möglicherweise langfristiger angelegte) oder schlechte (die unmittelbare Integration verzögernde) Strategie ist, darüber scheiden sich die Meinungen. Eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg sieht Deutschland bei der Integration ukrainischer Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt im europäischen Vergleich insgesamt im Mittelfeld.

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Studie sieht keinen Zusammenhang zwischen Arbeitsaufnahme und Sozialleistungen

Positiv auf die Beschäftigungsquote wirkt sich demnach der Faktor Netzwerke aus - etwa Kontakte zu anderen ukrainischen Staatsangehörigen. Außerdem lässt sich laut der Studie ein statistischer Zusammenhang zwischen Beschäftigungsquote und den Möglichkeiten auf Kinderbetreuung finden. Kaum Einfluss hätten dagegen Transferleistungen der öffentlichen Hand, etwa das Bürgergeld in Deutschland. Die Analyse zeige nur einen geringen und statistisch nicht signifikanten Zusammenhang.

Hier sitzen immer wieder Leute, die uns im Bewerbungsgespräch vorrechnen, was sie, ohne arbeiten zu gehen, vom Amt bekommen.

Jutta Höhn

Jutta Höhn macht andere Erfahrungen, allerdings nicht nur mit ausländischen Bewerbern: "Hier sitzen immer wieder Leute, die uns im Bewerbungsgespräch vorrechnen, was sie, ohne arbeiten zu gehen, vom Amt bekommen". Selbst ein Arbeitgeber wie das Meininger Demenzzentrum, das auch ungelernte Mitarbeiter deutlich über dem Mindestlohn bezahlt, könne zum Teil kein attraktives Angebot machen.

Eine kleine, ruhige, gut organisierte Stadt.

Yuliya Ryzhkova

Am Beispiel von Yuliya Ryzhkova wird auch klar, wie viel eine erfolgreiche Geschichte mit eigenem Engagement zu tun hat - aufseiten von Arbeitnehmer und -geber. Auch ein unterstützendes Netzwerk gab es durch die Höhns: "Gerade macht übrigens eine ukrainische Freundin von Yuliya ein Praktikum bei uns", erzählt Jutta Höhn. Da wäre es dann auch wieder: der Netzwerk-Effekt.

Grundsätzlich fühle sie sich in Meiningen wohl, sagt Yuliya Ryzhkova zum Abschied: "Eine kleine, ruhige, gut organisierte Stadt". Trotzdem vermisse sie ihr altes Leben. Über die Situation in ihrem Heimatland zu sprechen, fiel ihr vor anderthalb Jahren beim ersten Treffen schwer. Doch auch heute winkt sie bei dem Thema schnell ab.

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MDR (jn)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 17. Juli 2024 | 18:25 Uhr

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