Landwirtschaft Warum die Linse für Thüringer Landwirte wieder attraktiver wird

14. Juli 2023, 17:10 Uhr

Die Folgen des Klimawandels machen der Landwirtschaft zu schaffen. Viele Landwirte suchen daher auch nach neuen Sorten, die mit den veränderten Bedingungen besser klarkommen. Dabei ist die Linse in den Fokus geraten, die bis Mitte des 20. Jahrhunderts auch in Thüringen weit verbreitet war - dann aber verdrängt wurde.

Porträt Regionalkorrespondentin Marlene Drexler
Bildrechte: MDR/Daniela Dufft

Benjamin Sczepurek, Ackerbauleiter des Ökozentrums in Vachdorf unweit von Meiningen, gerät bei der Linse ins Schwärmen: "Man merkt einfach, sie gehört hier hin. Sie fühlt sich hier wohl. Und das gefällt mir so." Die kleine proteinhaltige Hülsenfrucht kommt mit dem kargen, steinigen Boden in Südthüringen zurecht. Tonarme Böden, Geröllböden, Muschelkalk und Sandkalk sind für die Linse ideal.

Man merkt einfach, sie gehört hier hin. Sie fühlt sich hier wohl.

Benjamin Sczepurek Ackerbauleiter Ökozentrum Vachdorf

Auch mit Trockenheit kann die Pflanze umgehen. Das Einzige, das sie nicht mag, ist Staunässe, also nasse Füße. Die Linse ist zudem in der Lage, Stickstoff als natürlichen Dünger aufnehmen. Sie besitzt quasi ihre eigene kleine Düngemittelfabrik in den Wurzeln.

Auch Linsenabnehmer in der Region

Auf den insgesamt 900 Hektar Ackerfläche des ökologischen Landwirtschaftsbetriebs in Vachdorf wächst die Linse dennoch nur auf einem Bruchteil von 25 Hektar: "Wir würden närrisch gern aufstocken", sagt Landwirt Sczepurek. Das Problem ist jedoch: Der Anbau rentiert sich für den Ökobetrieb nicht. Und das, obwohl es für die Linse aus Vachdorf mit dem Unternehmen Astaxa einen Abnehmer im benachbarten, nur gut zehn Kilometer entfernten Ritschenhausen gebe.

Astaxa verarbeitet pflanzliche Rohstoffe und liefert sie an Lebensmittelproduzenten weiter. Leguminosen (Hülsenfrüchte), wie die Linse, werden dort zum Beispiel gekocht und wieder getrocknet, sodass sie für Instant-Produkte verwendet werden können.

Regionaler Anbieter hat Linsenmüsli entwickelt

Vor drei Jahren war Astaxa auf den Ökobetrieb in Vachdorf zugekommen und hatte anregt, Leguminosen für sie anzubauen. Geschäftsführer Mirko Winkel sagt: "Wir haben ein Interesse daran, regionale Wertschöpfungsketten zu stärken." Das Unternehmen Astaxa hat außerdem ein eigenes Produkt - ein Linsenmüsli - entwickelt.

Das Müsli mit drei verschiedenen Linsensorten und getrockneter Papaya soll gesundheitsbewusste Konsumentengruppen ansprechen. Eine regionale Erzeugung mit kurzen Lieferketten würde dem Produkt gut zu Gesicht stehen. Das Müsli wird unter anderem in Online-Shops verkauft.

Nachteil: Aufbereitung von Linsen ist aufwendig

Im ersten Jahr sei die Ernte besonders gut gelaufen, berichtet Landwirt Sczepurek. Ein Problem war aber die geforderte Reinheit von 99,9 Prozent. Die Säuberung der kleinen Hülsenfrucht ist sehr aufwendig und erfordert Spezialtechnik. Für einen Betrieb bedeutet das kostspielige Investitionen. Und dann ist da noch die Konkurrenz aus dem Ausland.

"Unsere Linse ist in der Produktion doppelt so teuer wie die der Konkurrenz aus Kanada", sagt Landwirt Benjamin Sczepurek. Damit ist es für Unternehmen wie Astaxa trotz der mehreren Tausend Kilometer Lieferweg preisgünstiger, Linsen aus Kanada zu importieren, als sie in dem nur wenige Kilometer entfernten Vachdorf zu kaufen. Landwirt Benjamin Sczepurek lässt diese Situation den Kopf schütteln. Das sei natürlich sehr frustrierend.

Harte Preiskonkurrenz aus dem Ausland

Der deutlich günstigere Produktionspreis in Anbauländern wie Kanada oder der Türkei hat laut Landwirt Sczepurek damit zu tun, dass die Konkurrenz zum einen über eine langjährige Expertise und technische Ausstattung verfügt. Zum anderen führten konventionelle Anbauer durch den Einsatz von Pestiziden, auf die das Ökozentrum in Vachdorf verzichtet, erheblich größere Erträge pro Hektar ein, sodass die Produktionskosten sinken.

Landwirt richtet Kritik auch an Konsumenten

Sczepurek sieht die Verantwortung auch bei den Konsumenten. "In Deutschland fehlt bei vielen die Bereitschaft, für Lebensmittel Geld auszugeben. Alle wollen ein erstklassiges Produkt, aber nichts dafür bezahlen."

Der Vachdorfer Betrieb verkauft seine Linsen jetzt an einen regionalen Saatguthersteller. Weil die Anforderungen an die Reinheit bei Saatgut geringer sind, kann der Betrieb damit Geld verdienen. Für Astaxa bestellt der Betrieb mittlerweile nur noch ein kleines Testfeld, auf dem gerade Tellerlinsen wachsen.

Bundessortenamt hat noch keine Linse als offizielles Saatgut zugelassen 

Man könnte nun meinen, die Schwierigkeit für den Vachdorfer Betrieb, in der internationalen Konkurrenz zu bestehen, habe vor allem auch mit dem Verzicht auf Pestizide zu tun. Die Lage der Linse ist in Deutschland aber grundlegend kompliziert. Denn, Stand heute, gibt es keine einzige vom Bundessortenamt zugelassene Linsensorte. Das heißt nicht, dass Landwirte Linsen nicht anbauen dürfen. Wer das aber in Deutschland machen will, muss für das Saatgut anfänglich auf Konsumgüter zurückgreifen - zum Beispiel Linsen aus dem Supermarkt. Und ohne offiziell zugelassene Sorte gibt es auch gar keine für die Pflanze zugelassenen Pestizide - das erschwert den erfolgreichen Anbau.

Land auch Teil der neuen Linsenallianz

Trotz der verschiedenen Widrigkeiten setzt auch das Landesamt für Landwirtschaft und Ländlichen Raum (TLLR) seine Hoffnung in die kleine Hülsenfrucht. In der Versuchsstation in Veilsdorf in der Nähe von Hildburghausen werden seit drei Jahren testweise verschiedene Linsensorten angebaut.

Franz Neundorf, Leiter der Versuchsstation, hält ein altes Pflanzenbuch aus Familienbeständen über Linsen in den Händen. Ihm macht es sichtbar Freude, eine alte Tradition wiederzubeleben, deren Spuren auch noch sichtbar sind: "Es gibt zum Beispiel in Meiningen verschiedene Straßennamen wie 'Linsenweg' oder 'Am Linsenacker', die an den historischen Linsenanbau in der Region erinnern", erzählt er.

Warum die Linse aus Deutschland verschwand

Etwa bis Mitte des 20. Jahrhunderts war der Linsenanbau auch in Deutschland verbreitet, dann wurde die Pflanze auch wegen der komplizierteren Ernte und Aufbereitung verdrängt. Neundorf erklärt, warum die Zeit für eine Wiederentdeckung der Linse nun jedoch günstig ist: "Die Konsumentennachfrage hat sich verändert. Menschen suchen pflanzliche Alternativen für Fleischproteine. Und auch generell besteht ein gesellschaftlicher Wunsch nach kulinarischen Neuigkeiten."

Alte, vergessene Sorten wie die "Kyffhäuser Linse" im Versuch

"Wir betreiben hier in der Versuchsstation quasi Grundlagenforschung", sagt Neudorf. Denn: Klimatische Bedingungen, aber auch technische Möglichkeiten für Anbau, Ernte und Verarbeitung haben sich verändert. Außerdem experimentiert die Versuchsstation auch mit alten Linsensorten, die beinahe vergessen, lange Zeit unangetastet in der Genbank des Leibniz-Institut im sachsen-anhaltischen Gatersleben lagen. Zum Beispiel die "Kyffhäuser Linse".

Ziel der Feldversuche in Veilsdorf ist herauszufinden, welche Linsensorte und welche Anbauverfahren unter den hiesigen Bedingungen den größten und stabilsten Ertrag bringen. Dazu gehört auch die Frage, mit welcher Stützfrucht das beste Ergebnis erzielt werden kann. Denn die Linse braucht eine Beipflanze, um in die Höhe zu wachsen. Alle Erkenntnisse werden Landwirten zur Verfügung gestellt. Zwischenergebnisse werden regelmäßig in Fachgesprächen und auf Feldtagen ausgetauscht.

Hochwertige Linsenprodukte made in Thüringen als Nische?

Torsten Graf, der die Feldversuche des Landesamts für Landwirtschaft und Ländlichen Raum thüringenweit koordiniert, sieht grundsätzlich noch viel Potenzial, den Anbau zu optimieren. Seiner Einschätzung nach könnte der Linsenanbau in Thüringen zum Beispiel auch eine bestimmte Nische besetzen. Denkbar wäre es etwa, dass die regional erzeugte Linse aus Thüringen in hochwertige Produkte verarbeitet wird.

Die Hoffnung sei dann, dass das Produkt Konsumentengruppen anspricht, die bewusster einkaufen und berei sind, für ein Produkt mit geringer CO2-Bilanz auch mehr auszugeben.

MDR (ls)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 15. Juli 2023 | 18:30 Uhr

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