Rassismusdebatte Koloniale und indianische Exponate in sächsischen Museen
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28. Mai 2021, 13:19 Uhr
Das Deutsche Kaiserreich startete in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts zu spät in das Rennen um Kolonien und konnte nur wenige Gebiete für sich beanspruchen. Die Niederlage im Ersten Weltkrieg machte dem deutschen Traum von Kolonien nach vergleichsweise kurzer Zeit ein jähes Ende. Dennoch finden sich heute auch in mitteldeutschen Museen Objekte aus ehemaligen Kolonien, die heute für hitzige Debatten sorgen, weil oft unklar ist, ob sie moralisch einwandfrei erworben wurden. Auch Exponate, die von indigenen Völkern Nordamerikas stammen, wie im Karl-May-Museum in Radebeul, werden aus diesem Grund kritisch hinterfragt.
Die sogenannte Provenienzforschung beschäftigt sich mit der Herkunft von Kulturgütern. Lange konzentrierte sie sich besonders auf Kunstwerke, die vom NS-Regime geraubt wurden, doch spätestens seit der "Black Lives Matter"-Debatte rückt auch das Sammlungsgut aus den Kolonien und von indigenen Völkern Nordamerikas in den Fokus der Forscher. Sie stellen unter anderem die Frage, ob Ausstellungsstücke durch Unrecht in den Besitz der Museen gekommen sind. Denn die Kolonialherren bemächtigten sich unter anderem durch Raub, Zwang und Gewalt der Gegenstände, die in Europa damals begehrtes Sammelgut waren und den Grundstock der meisten ethnographischen Museen bildeten. Nordamerikanische Indianer widerum waren durch die Not in den Reservaten gezwungen, wertvolle Gegenstände an Händler und Abenteurer aus Europa zu veräußern.
Karl-May-Museum: Fragwürdiger Skalp bringt Stein ins Rollen
Große Häuser wie die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden beschäftigen sich schon länger mit ihrer kolonialen Vergangenheit. Aber auch kleinere Museen scheuen die Herausforderung nicht. Im Radebeuler Karl-May-Museum kam der Anstoß, sich genauer mit der Herkunftsgeschichte der Sammlung auseinanderzusetzen, von außen: 2014 hatte der Indianerstamm der "Sault Ste. Marie Tribe of Chippewa Indians" aus Michigan in den USA um die Herausgabe eines Skalps gebeten, der sich im Depot der Sammlung befand. Das Museum stellte daraufhin gemeinsam mit nordamerikanischen Indianergruppen Nachforschungen an, doch die Herkunft des Skalps konnte nicht eindeutig geklärt werden. Aus ethischen Gründen entschied sich der Museumsvorstand dafür, ihn dennoch zurückzugeben, damit er in den USA bestattet werden konnte.
Robin Leipold, wissenschaftlicher Direktor des Radebeuler Museums, verweist auf die zahlreichen Schwierigkeiten der Provenienzforschung in seiner Einrichtung: Das Karl-May-Museum entstand nicht als wissenschaftliche Sammlung ethnographischer Gegenstände, sondern wurde 1928 von Klara May zur Illustration der Werke und Geschichten ihres 1912 verstorbenen Ehemannes gegründet. Dazu tat sie sich mit dem Indianerforscher und -sammler Patty Frank zusammen. Der 1876 in Wien geborene Artist, der mit bürgerlichem Namen Ernst Tobis hieß, richtete den Sammlungsschwerpunkt zwar später neu aus, um die Vielfalt der indigenen Völker Nordamerikas zu repräsentieren, trotzdem blieb das Karl-May-Museum eher Liebhabersammlung als wissenschaftliches Schaudepot.
Fälschungen erschweren Forschung
Frank verfügte über ein weltumspannendes Kontaktnetzwerk zu Händlern, die teilweise halbjährlich Kataloge herausbrachten, aus denen er sich wie aus einem Warenhauskatalog Gegenstände für seine Indianersammlung bestellen konnte. Dabei war nie ganz klar, woher sie genau kamen. Außerdem weist Leipold auf ein weiteres Problem hin: In Nordamerika herrschte zur Zeit der Entstehung der Sammlung ein anderer Kolonisationsdruck als zum Beispiel in Afrika. Die allermeisten indigenen Völker lebten um 1900 in Reservaten, wo sie von staatlichen Zuteilungen abhängig waren. Schnell wurde ihnen klar, dass sich mit der Herstellung angeblich authentischer Stücke die Dollar verdienen ließen, von denen nun ihr Überleben abhing. Die Händler waren natürlich nicht sonderlich erpicht darauf, diesen Herstellungskontext herauszukehren und verschleierten ihn gezielt. Eine weitere Taktik war, Gegenstände wie Tabaksbeutel, Tomahawks oder perlenbesetzte Hemden aufzuwerten, indem ihnen eine prominente Herkunft angedichtet wurde. Das erschwert die Provenienzforschung.
Doch gefälscht wurde auch in Europa. Vor wenigen Monaten erst fand Leipold einen Briefwechsel zwischen Patty Frank und einem Münchner Cowboy-Club, aus dem hervorgeht, dass der Radebeuler Kustos den Indianerfans Leder schickte, aus dem sie Hosen für eine Kostümfigurengruppe schneidern sollten.
Bisher hatten diese Comanche-Hosen als Originale gegolten, das Museum konnte sich rühmen, gleich zwei dieser seltenen Stücke sein Eigen zu nennen.
Karl-May-Museum sieht in der Provenienzforschung vor allem Chancen
Trotz solcher unangenehmer Überraschungen würde der Radebeuler Museumsleiter gern mehr Zeit in die Provenienzforschung investieren können. Einerseits freut er sich über jedes Detail, das er in der spannenden Detektivarbeit herausfindet, andererseits sieht er auch einen klaren Vorteil in der mit 4.000 Stücken überschaubaren ethnografischen Sammlung: Wenn es ihm gelänge, alle 1.800 Objekte aus Nordamerika auf ihre Provenienz zu untersuchen, könnte sich daraus ein interessanter Querschnitt über das Privatsammlernetzwerk indianischer Gegenstände in Deutschland vor 100 Jahren ergeben.
Das Naturalienkabinett Waldenburg stellt sich seinem kolonialen Erbe
In Waldenburg hat sich Fanny Stoye, Leiterin des Naturalienkabinetts Waldenburg, die Provenienzforschung auf die Fahnen geschrieben. Im Kern besteht das Waldenburger Museum aus einer Wunderkammersammlung, deren Ursprung auf das späte 17. Jahrhundert zurückgeht: Die Naturaliensammlung der Leipziger Apothekerfamilie Linck kam 1840 in den Besitz Fürst Victor I. von Schönburg-Waldenburg, wo sie eine kleine Mineralien- und eine Gliedertiersammlung ergänzte. Später kam unter anderem eine ägyptische Mumie dazu.
Ein Paar Schmuckringe, die ostafrikanische Massai-Frauen an den Ohren trugen, werden nun genauer untersucht. Die Fürstenfamilie erhielt sie als Ausgleich für finanzielle Unterstützung von christlichen Missionen wie der Herrnhuter Brüdergemeine. Doch ist unklar, wie die Missionare in den Besitz der wertvollen Schmuckstücke kamen. Von den Massai ist bekannt, dass diese unter Zwang Schmuck abgeben mussten, um zum Beispiel christlich getauft zu werden.
Koloniale Exponate sorgen für hitzige Debatten im Stadtrat
Fanny Stoye ist seit August 2018 die Leiterin des Naturalienkabinetts Waldenburg. Die ethnographischen Gegenstände haben gleich nach ihrer Ankunft ihr Interesse geweckt und so stellte sie bei der Stadt als Eigentümerin des Museums einen Antrag, deren Herkunft untersuchen zu dürfen. Sie wählte 150 Objekte aus, deren Provenienz sie nun in einem vom Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste (DZK) geförderten einjährigen Projekt genauer erforschen lässt.
In einem ersten Schritt soll ab April 2021 geprüft werden, welche Stücke überhaupt als problembehaftet angesehen werden müssen. Deren Herkunftsgeschichte wird dann im Detail untersucht. Eine Mammutaufgabe, wie Stoye vermutet, da die Fürsten von Schönburg-Waldenburg sehr umtriebig waren und Akten zur Herkunft der Exponate daher in Archiven und Sammlungen weltweit zu erwarten sind. Am Ende dieses langwierigen Prozesses steht dann möglicherweise die Frage, ob man Sammlungsstücke zurückgeben muss. Eine Frage, die im Waldenburger Stadtrat hitzig diskutiert wurde. Die Museumsleiterin rechnet es der Stadt aber hoch an, dass sie sich der Diskussion gestellt und ihr Forschungsvorhaben von Anfang an unterstützt hat.
Noch viel Arbeit, aber keine Angst vor leeren Museen
Fanny Stoye vermutet, dass die 150 zu bearbeitenden Ethnographika erst der Anfang sein werden. Die Dimension des kolonialen Erbes beschränkt sich bei weitem nicht nur auf menschliche Überreste - im Fachjargon Human Remains - und Ethnographika, sondern umfasst ebenso die Tier- und Pflanzenwelt. Am Wiener Naturhistorischen Museum werden beispielsweise bereits erste Debatten über die Legitimation der Ausschlachtung der Flora und Fauna in kolonialen Kontexten geführt. Dies führt jetzt schon zu einer fundamental veränderten Eigenwahrnehmung von Museen und einer radikalen Neubewertung der eigenen Sammlungsgeschichte, die fast immer koloniale Wurzeln hat.
Angst vor einem leeren Museum hat die Waldenburger Museumsleiterin dennoch nicht. Sie will nicht in vorauseilendem Gehorsam alle fremden Gegenstände zurückgeben, sondern sich unbequemen Fragen stellen und so ein Museum mit ein paar blinden Flecken weniger führen. Hilfreich wäre es, so Fanny Stoye, dafür eine übergeordnete Stelle zu schaffen, die sich mit dem kolonialen und indigenen Erbe der Museen befasst.
Gab es Provenienzforschung in der DDR?
Welche Rolle die kolonialen und indigenen Wurzeln der Sammlungen in der DDR spielten, ist bisher kaum erforscht. Robin Leipold weist darauf hin, dass die indianischen Gegenstände des Radebeuler Museums auf der anderen Seite des Atlantiks intensiver besprochen wurden als in der DDR. Auch Fanny Stoye bedauert, dass die DDR-Geschichte ihres Hauses bisher noch fast gar nicht aufgearbeitet wurde. Einige interessante Anhaltspunkte hat sie aber trotzdem schon gefunden: So wurden die Ethnographika in der DDR-Zeit in der sogenannten "Ethnovitrine" zusammengefasst, die extra für diesen Zweck gebaut wurde. Stoye könnte sich denken, dass dadurch die Verbindung zu den sozialistischen Ländern in Afrika untermauert werden sollte. Die Massai sind auch in dem damals sozialistischen Tansania ansässig, mit dem die DDR enge Beziehungen unterhielt. Die Museumschefin hofft, diese völlig neue Perspektive im Laufe des Jahres weiter erforschen zu können.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Zeitreise | 17. Januar 2021 | 22:20 Uhr