Zivilcourage Demokratie beginnt im Kleinen: Was Bürgerinitiativen in Thüringen erreichen wollen
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11. Juni 2024, 05:00 Uhr
Ein demokratisches Miteinander gestalten, sich auszutauschen und für Werte wie Toleranz und Weltoffenheit einstehen - das wollen die Initiativen "Dorfliebe für alle" und "Nordhausen zusammen". Wir haben nachgefragt, wie das funktionieren kann.
Als im Januar deutschlandweit Tausende Menschen gegen Rechtsextremismus demonstriert haben, hatten sich in Thüringen längst Bürgerinitiativen für Demokratie gebildet. Zum Beispiel die Initiative "Dorfliebe für alle" im Saale-Orla-Kreis und "Nordhausen zusammen" in Nordhausen. Der Grund für ihre Gründung war der große Zuspruch für die AfD, der Anlass die jeweiligen Landrats- und Oberbürgermeisterwahlen.
Aufwärtstrend der AfD
Zuvor schien sich ein Trend abzuzeichnen: Die AfD, die in Thüringen als gesichert rechtsextremistisch gilt, befand sich in einem Aufwärtstrend. Als im Juni 2023 in Sonneberg Robert Sesselmann zum ersten Landrat der AfD gewählt wurde, schien sich die Entwicklung zu bestätigen. Nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa schaute auf Thüringen. Umfragen bestätigten auch danach eine hohe Zustimmung zur AfD. Daran erinnert sich auch Lena Grundmann aus Neustadt an der Orla: "Die AfD-Plakate wurden immer häufiger."
Diesem Trend wollte sie mit einer Gruppe von etwa zehn bis 15 Menschen etwas entgegensetzen und so gründeten sie im Herbst 2023 die Initiative "Dorfliebe für alle" im Saale-Orla-Kreis. Sie wollten verhindern, dass ihr Kreis ein zweites Sonneberg wird. Denn im Januar stand auch hier eine Landratswahl hier an. Sie wollten, so erzählt es Lena Grundmann, vorher aktiv werden.
Weckruf in Nordhausen
Auch in Nordhausen gründete sich das Bündnis "Nordhausen zusammen", weil Bürgerinnen und Bürger vor Ort die Wahl eines AfD-Oberbürgermeisters verhindern wollten. Im ersten Wahlgang hatte der Kandidat der AfD, Jörg Prophet, 42 Prozent der Stimmen erhalten. Das sei für viele Nordhäuser wie ein Weckruf gewesen, sagte Stephanie Tiepelmann-Halm vom Verein Schrankenlos.
Am 24. September kam es zur Stichwahl zwischen Prophet und dem Parteilosen Kai Buchmann. "Nordhausen zusammen" trommelte für ein weltoffenes Nordhausen und für Buchmann. Die Initiative organisierte am Tag vor der Stichwahl ein Bürgerfest, ein offener Brief des Bündnisses bekam fast 4.500 Unterschriften. Neben engagierten Nordhäusern waren auch Gewerkschaften, Kirchen und Vereine dabei.
Uns haben tatsächlich Menschen angesprochen, die ihre Wahl überdacht haben.
Mitorganisatorin Stephanie Tiepelmann-Halm sagte damals MDR THÜRINGEN: "Uns haben tatsächlich Menschen angesprochen, die ihre Wahl überdacht haben. Die konnten wir zum Wechsel auf Buchmann in der Stichwahl umstimmen." Letztlich siegte der Amtsinhaber in der Stichwahl deutlich.
Auch das Bündnis im Saale-Orla-Kreis organisierte vor der Landratswahl eine Veranstaltung, um "möglichst viele Menschen zu motivieren, ihr Kreuz bei einem demokratischen Kandidaten/Kandidatin zu machen", wie auf ihrer Website zu lesen ist.
Landratswahl im Saale-Orla-Kreis
Und die Mitglieder des Bündnisses schrieben ebenfalls einen offenen Brief, um an die Menschen im Kreis zu appellieren, "eine demokratische Wahl" zu treffen. Man sei besorgt, "dass ein Kandidat außerhalb des demokratischen Spektrums gewählt werden könnte". Der Brief bekam 1.622 Unterschriften. Statt Uwe Thrum (AfD) gewann Christian Herrgott (CDU) die Stichwahl am 28. Januar und wurde neuer Landrat des Kreises.
Wir haben mit unserem offenen Brief so vielen Leuten aus dem Herzen gesprochen.
"Wir haben mit unserem offenen Brief so vielen Leuten aus dem Herzen gesprochen", sagt Michael Pape vom Bündnis. Die Menschen seien froh gewesen, dass da endlich eine Gegenbewegung aufkomme. Denn sich offen gegen AfD- und extremistische Positionen zu stellen, sei viel zu selten vorgekommen. Viele Leute hätten sie darauf angesprochen und sich bedankt.
Niemanden ausgrenzen
Dabei gehe es der Initiative keinesfalls darum, AfD-Wähler auszugrenzen. "Es funktioniert hier nicht, mit AfD-lern oder Nazis nicht zu reden. Außerdem wird das, glaube ich, viel zu schnell Menschen auf die Stirn gedrückt", sagt Lena Grundmann. "Wir sehen ja nicht das Problem in den Menschen, in den Personen, sondern darin, dass faschistische Ideen wieder Platz in den Köpfen bekommen."
Wenn ich jetzt einfach sagen würde, ich rede nicht mit Rechten oder ich rede nicht mit AfD-Leuten, dann müsste ich hier bei mir im Ort sehr viele Leute ausblenden. So einfach können wir es uns nicht machen.
Es gehe darum, "die Gesamtsituation zu verbessern", fügt Michael Pape hinzu. "Wenn ich jetzt einfach sagen würde, ich rede nicht mit Rechten oder ich rede nicht mit AfD-Leuten, dann müsste ich hier bei mir im Ort sehr viele Leute ausblenden. So einfach können wir es uns nicht machen."
Respektvolles Leben gestalten
Die beiden erzählen, dass sie vor allem dazu beitragen wollen, ein demokratisches, solidarisches und respektvolles Leben in ihrem Kreis zu gestalten, "damit Leute hierbleiben oder zurückkommen". Dieses Anliegen geht weit über die Wahlen hinaus. Demokratie sei eben viel mehr, als nur einen Wahlzettel einzuwerfen, sagt Lena Grundmann. "Wir reden hier von einer langfristigen Perspektive", sagt die 24-Jährige.
Inzwischen machen bei der "Dorfliebe für alle" mindestens 20 Personen mit, es gibt einen hohen Anteil an jungen Menschen, auch wenn alle Altersgruppen vertreten sind. Sie wollen Raum für Austausch und Kontakt schaffen, Diskussionsangebote machen, "damit sich Menschen auch gesehen fühlen." Konkret haben sie zum Beispiel Mitte Mai zu einem Parkfest im Stadtpark Neustadt (Orla) eingeladen. Sie wollen mit Menschen ins Gespräch kommen, zuhören, vielleicht Gemeinsamkeiten finden. Zum Parkfest habe das gut geklappt.
Sagen, wenn Grenzen überschritten werden
Michael Pape betont: "Es ist schon so, dass ich versuche, klare Kante zu zeigen." Das fange damit anfängt zu sagen, wann Grenzen überschritten werden. "Wenn man Sprüche hört wie 'den müsste man an die Wand stellen', dass man dann gleich sagt: Das ist nicht witzig."
Lena Grundmann: "Es ist gut, diese Gespräche gezielt und entschlossen, aber trotzdem mit Behutsamkeit und auch mit Wohlwollen zu führen." Es gehe ihnen darum, anstelle der "faschistischen, extrem rechten Ideen, die so viel Platz in den Köpfen bekommen haben", solidarische und demokratische Werte zu setzen.
Angebote schaffen
Das ist etwas, das "Nordhausen zusammen" teilen kann. "Das, was wir auch im Fokus haben, ist, in die Regionen hineinzuschauen, in die umliegende Stadtgesellschaft und da zu überlegen, wie man Angebote schaffen kann für Begegnungen, für Austausch, für ein Sich-Einbringen, sich einsetzen für sein eigenes Dorf, für seine eigene Gemeinde", sagt Stephanie Tiepelmann-Halm.
Was kann ich denn tun, was ist mein Anteil, wie kann ich mich einbringen, wo kann ich etwas bewirken, wo kann ich auch im Kleinen, über den Gartenzaun ins Gespräch kommen?
"Wie können wir positive Geschichten erzählen, wie können wir positives Erreichtes erzählen, wo können wir die Leute ermuntern und ermutigen?" Nicht zu sagen, die Politik müsse etwas machen, sondern zu sagen: "Was kann ich denn tun, was ist mein Anteil, wie kann ich mich einbringen, wo kann ich etwas bewirken, wo kann ich auch im Kleinen, über den Gartenzaun ins Gespräch kommen?"
Es geht um die kleinen Gesten, um kleine Gespräche, um einen Anfang. Letztendlich um Demokratie auf einer Ebene, die jeder mitgestalten kann.
MDR (caf)
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