Leben "Einfach zum Heulen": Wie Familie Müller weiter gegen die Bahn kämpft
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07. Juni 2024, 18:31 Uhr
Vor einem halben Jahr haben wir Frank Müller in Blankenstein besucht, der seit Jahrzehnten gegen die Deutsche Bahn kämpft. Denn sein Haus ist kaputt, weil ein Bahndamm dagegen drückt. Wir haben nachgefragt, ob die Bahn inzwischen reagiert hat und wie es ihm geht.
Die Ausgangslage: Müllers Haus ist kaputt
Als wir vor einem halben Jahr mit Frank Müller aus Blankenstein (Saale-Orla-Kreis) gesprochen haben, ging es ihm gar nicht gut. Er war verschuldet, verzweifelt, krank und wütend. Der Grund: Sein Haus ist kaputt und so gut wie unbewohnbar, an den Wänden klebt Schwarzschimmel, Rohre sind geplatzt, Wände gerissen, Fußböden aufgeworfen. Müllers Bad ist seit Jahren unbenutzbar, ebenso vier der neun Zimmer. Der Grund: Der Bahndamm hinter dem Haus drückt Jahr für Jahr stärker gegen Müllers Grundstück und richtet dadurch all die Schäden an.
Deshalb hatte der Rentner die Bahn, die Eigentümerin des Bahndammes ist, darum gebeten, den Damm zu befestigen. Doch die ignoriert den Fall und das schon seit Jahrzehnten. "Das ist ein Skandal", sagte uns damals der Landtagsabgeordnete Ralf Kalich (Linke), der in Blankenstein von 2010 bis 2016 Bürgermeister war und heute dort Beigeordneter ist.
Auch uns gegenüber äußerte sich die Bahn im September 2023 nicht zur Situation. Als Antwort kam lediglich, dass man den Fall juristisch bewerten wolle und deshalb keine Auskunft dazu geben könne. Stattdessen verwies eine Sprecherin der Bahn auf die Zukunft: "Wir planen im November 2023, den Faden mit Familie Müller wieder aufzunehmen."
Keine Reaktion der Bahn
Doch das ist niemals passiert. Weder im November noch all die Monate danach. "Da kam überhaupt nichts von der Bahn", sagt Frank Müller enttäuscht und fügt hinzu: "Die wissen genau, dass sie hier etwas falsch machen, aber es interessiert sie nicht." Er habe über die Jahre schon mit sehr vielen Mitarbeitern der Bahn telefoniert, viele seien schon bei ihm gewesen, um sich vor Ort ein Bild zu machen. "Aber herausgekommen ist nichts", sagt er. Niemand fühle sich zuständig.
Selbst Bodo Ramelow hat nichts erreicht
"Ich habe wirklich auch Unterstützung von Kommune und Kreis, die haben sich alle da reingekniet. Aber die Bahn interessiert das nicht. Das ist einfach nur eine Frechheit." Selbst Bodo Ramelow sei bei ihm gewesen, doch auch er habe nichts erreicht.
Frank Müller will eine Petition beim Bundestag einreichen
Nun will der Rentner einen neuen Schritt gehen. Er sagt: "Ich sehe die letzte Möglichkeit, die ich habe, in einer Petition an den Deutschen Bundestag."
Denn der Bund sei Hauptträger der Bahn. Damit hat Frank Müller recht: Die Deutsche Bahn AG (DB) "befindet sich zu 100 Prozent im Eigentum des Bundes", heißt es auf der Website des Bundesfinanzministerium. Müller hofft, dass er mit dieser Petition endlich etwas erreicht. Denn während des letzten halben Jahres hat sich die Situation der Müllers nicht entspannt, sondern noch weiter verschlechtert. "Es ist einfach nur zum Heulen", sagt Frank Müller.
Neue Probleme mit den Zügen
Da ist zum Beispiel die Lärmbelästigung durch die Züge, die oben auf dem Damm fahren. "Die Geräusche haben sich verzehnfacht", sagt Müller. Früher habe er, wenn ein Zug eingefahren ist, den Dieselmotor gehört. "Heute hören wir richtig tief jede Bewegung oben auf den Schienen, jedes Rollen." Müller vermutet, das liegt daran, dass sich der Bahndamm weiterbewegt hat und an einer Stelle nun die Schwingung besonders laut ins Haus überträgt. "Vor zwei Jahren hatten wir das noch nicht", sagt er.
Überdies sei da "ein Riesenriss" in seiner Garage, die an das Nebengrundstück grenzt. Das Haus, das dort einst stand, wurde vor Jahren auf Kosten der Gemeinde abgerissen. Damit seine Garagenwand nicht herausfalle, habe die Kommune einen Haufen Erde dort aufgeschüttet, sagt Frank Müller. "Die Wand hatte sich schon nach außen bewegt. Wir hoffen jetzt, dass mich die Garage überlebt."
Außerdem ist da noch der Gastank, der ihm Sorgen macht. Weil er so schräg auf dem Grundstück liegt, dass laut Gasbetreiber Gefahr bestehe. Deshalb hatte der den Tank vor dem Winter nur zu 75 Prozent gefüllt und Müller befürchtete, dass das Gas nicht reichen würde zu Heizen. Aber er habe durch den milden Winter Glück gehabt "wie alle anderen auch." Doch bald muss Müller neues Gas bestellen. Zwar habe er vom Gasbetreiber noch ein Jahr Aufschub bekommen, um den Tank auszurichten. Doch er sagt: "Ob ich die Gasmenge bekomme, die ich gern hätte, das steht in den Sternen." Krank wie er sei, könne er den Tank, der sich mit dem Grundstück verschoben hatte, nicht ausgraben und ausrichten.
Die Angst, dass ein Zug von den Gleisen kippt
Vor allem aber ist da neben allen persönlichen Belastungen die stetige Angst, dass ein Zug vom Bahndamm kippen könnte. Die Waggons, die täglich hier rangiert werden, sind besonders schwer. Sie transportieren nach Aussage von Frank Müller und Ralf Kalich Chemikalien und Material der nahen Zellstoff- und Papierfabrik Rosenthal GmbH. Wie viel genau, ist nicht bekannt.
Mehrfache schriftliche und telefonische Anfragen von MDR THÜRINGEN dazu und zum Bahndamm ließ das Unternehmen unbeantwortet. Laut Website beträgt die Produktionskapazität der GmbH rund 360.000 Tonnen Kraftzellstoff pro Jahr. 380 Mitarbeiter sind hier beschäftigt.
Es besteht zumindest dringender Handlungsbedarf, das Problem zu lösen.
Der Rangierbetrieb führe zu starken Erschütterungen des Dammes und des Wohnhauses, sagt Müller. "Dieser Bahndamm rutscht. Das heißt, der Zug steht schief, direkt am Hang." Falls die Kesselwagen mit Chemikalien kippen sollten, würden sie unten in der Selbitz landen, einem Fluss, der in die nahe Saale fließt.
Das bestätigte auch die Gemeinde, als wir vor einem halben Jahr nachfragten. Damals sagte Bürgermeister Alex Neumüller (CDU): "Es besteht zumindest dringender Handlungsbedarf, das Problem zu lösen. Sei es durch eine Klärung der Statik oder neuerliche Befestigung des Bahndammes."
Sie könnten doch verdammt nochmal ihren Bahndamm sichern.
Frank Müller schimpft: "Sie könnten doch verdammt nochmal ihren Bahndamm sichern. Nur kostet das Geld." Er habe nur eine kleine Rente, seine Frau noch weniger. "Das heißt, wir haben hier keine Möglichkeiten mehr, diesem Verfall Widerstand zu leisten so wie wir das vierzig Jahre lang gemacht haben." Er habe nicht einmal Geld, um sein Bad "wieder in einen menschenwürdigen Zustand herzurichten, damit ich nicht mehr zu meiner Tochter zum Baden gehen muss." Seine Frau sei über alldem verzweifelt. Doch trotz allem sagt der Blankensteiner: "Ich würde gern hier wohnen bleiben."
Seine Hoffnung, dass der Bund seinen Einfluss auf die Bahn geltend macht, ist groß. Sobald der Rentner gesundheitlich dazu in der Lage ist, will er die Petition beim Bundestag einreichen. Er sagt: "Wir versprechen uns davon, dass von oben die Frage kommt, was ist da los, wieso redet ihr nicht mit dem Mann?" Die Petition sei das letzte, was er probiere. "Ich habe dann wirklich alles durch."
Die Reaktion der Bahn
Kurz vor Redaktionsschluss hat die Bahn doch noch geantwortet. Eine Sprecherin schreibt: "Es bleibt ein schwieriger Fall: Die DB recherchiert weiterhin zu den Rahmenbedingungen, die beim Bau des Hauses maßgeblich waren. Die nächsten Schritte hängen jedoch von den Ergebnissen der Recherche ab."
Wenn dieser Anbau zusammenfällt, ist die Sicherheit eben nicht gewährleistet.
Frank Müller findet diese Aussage absurd. Denn die Fundamente und Mauern seines Hauses seien rund 500 Jahre alt, wie auf einem alten Kupferstich zu sehen sei. "Da bin ich mal neugierig, wie sie die Rahmenbedingungen herauskriegen wollen." Er selbst habe lange nach Unterlagen und Dokumenten gesucht. Doch während der Wende seien alle Akten vernichtet worden, sagt Müller. "Hier in Blankenstein existiert überhaupt nichts mehr." Eines sei klar für ihn: Die Rahmenbedingungen beim Bau des Hauses spielen keine Rolle im Streit mit der Bahn. "Denn die Bahn gab es noch gar nicht, als unser Haus gebaut wurde. Das ist eine reine Ausflucht, mehr nicht."
Weiter heißt es von der Bahn: "Aus Sicht der DB ist die Sicherheit gewährleistet." Frank Müller lacht verbittert auf. Denn das Einzige, das den Bahndamm noch halte, sei sein Anbau, der arg baufällig sei, weil der Bahndamm dagegen drücke. "Wenn dieser Anbau zusammenfällt, ist die Sicherheit eben nicht gewährleistet."
Und dann schreibt die Bahn noch: "Die DB ist selbstverständlich an einer Einigung interessiert." Diese Aussage kann Frank Müller nicht ernst nehmen. Es sei ein reines Zeitspiel, sagt er. "Mehr ist es nicht."
MDR (caf)