Leben "Und keinen interessiert's" - Herr Müller gegen die Bahn
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25. November 2023, 12:21 Uhr
Seit 33 Jahren kämpfen Sigrid und Frank Müller aus Blankenstein (Saale-Orla-Kreis) gegen die Deutsche Bahn. Denn deren Bahndamm drückt gegen ihr Grundstück und ihr Haus. Gehandelt hat die Bahn in all den Jahren nicht.
- Das Haus der Müllers in Blankenstein ist im Grunde unbewohnbar.
- Die Bahn sagt: "Aktuell wird der Fall juristisch bewertet".
- Die Müllers wollen inzwischen nur noch wegziehen.
In Blankenstein, in Sichtweite zur bayerischen Grenze, steht zwischen Straße und Bahndamm ein Haus. Auf den ersten, flüchtigen Blick erscheint es als ein Haus wie viele hier, im Saale-Orla-Kreis an der Grenze zu Bayern: nicht neu, aber stabil. Auf den zweiten Blick aber, und dies vor allem im Inneren, ist nicht zu übersehen, wie zerstört es ist: Die Wände sind gerissen, an den Tapeten klebt Schwarzschimmel, Bodenfliesen haben sich aufgestellt.
Vier der neun Zimmer sind unbewohnbar. Die Küche lässt sich nur noch eingeschränkt nutzen, das Bad gar nicht mehr: Sämtliche Rohre sind geplatzt. Das Haus ist kaputt und im Grunde unbewohnbar. Und doch wohnen zwei Menschen hier: das Ehepaar Sigrid und Frank Müller.
An einem warmen Septembertag sitzt Frank Müller in seiner kleinen Stube, vor sich eine Tasse Kaffee, und erzählt, wie verschuldet, verzweifelt und krank er sei. Vor allem aber sei er wütend. "Wir wohnen seit Jahrzehnten hier", sagt er. "Und seit Jahrzehnten ärgern wir uns mit der Bahn."
Denn die sei schuld daran, dass sein Haus so zerstört sei. Der Grund: Der Bahndamm, der an das Grundstück grenzt, schiebt sich immer näher an das Haus und dabei gegen dessen Mauer, Stück für Stück, Jahr für Jahr. "Es arbeitet im ganzen Haus", sagt Frank Müller. "Die Verrutschung sieht man mit bloßem Auge."
Frank Müller weist den Weg um das Haus. Gleich dahinter erhebt sich der Bahndamm. Zwei schwere Zaunpfähle aus Beton neigen sich Richtung Grundstück. Als Kind, erzählt der Rentner, konnte er noch hinter dem Haus spielen. Heute wäre dafür kein Platz mehr. Die Wand des Anbaus, in dem das Bad der Müllers eingebaut war, wird vom Bahndamm allmählich eingedrückt. "Damit das Ding nicht umfällt, haben wir zwei Versteifungswände gesetzt. Die sind durch den Druck von außen geplatzt." Jetzt drücke der Damm direkt gegen das Haus.
Man sagt gar nichts vonseiten der Bahn, man schweigt einfach.
Was Müller besonders frustriert: Er kann nichts dagegen tun, dass der Damm ihm immer näherkommt. Das könnte nur die Deutsche Bahn AG, sie ist dessen Eigentümer. Sie könnte den Damm befestigen. Doch die Bahn unternimmt - nichts. "Das ist ein Skandal", sagt der Landtagsabgeordnete Ralf Kalich (Linke), der in Rosenthal am Rennsteig 2010 bis 2016 (Blankenstein ist ein Ortsteil von Rosenthal) Bürgermeister war und heute dort Beigeordneter ist. Er kennt den Fall seit Langem. "Man sagt gar nichts vonseiten der Bahn, man schweigt einfach. Es wird auch nichts abgestritten. Das ist ein Zeichen dafür, dass das Problem bekannt ist."
Keine Auskünfte von der Deutschen Bahn
So ist es. Auf Nachfrage von MDR THÜRINGEN antwortet eine Sprecherin: "Die DB ist seit einigen Jahren im Austausch mit der Familie Müller. Aktuell wird der Fall juristisch bewertet. Wir bitten um Verständnis, dass wir dazu keine Auskünfte geben können." Nach Abschluss dieser Bewertung werde man "selbstverständlich" auf die Familie Müller zugehen.
Ich habe immer wieder bei der Bahn angerufen, habe versucht, freundlich ins Gespräch zu kommen.
"Seit einigen Jahren" heißt übersetzt: seit 33 Jahren. Tatsächlich versucht Frank Müller seit 1990 regelmäßig, das Problem mit der Bahn zu lösen. "Ich habe immer wieder dort angerufen, habe versucht, freundlich ins Gespräch zu kommen", erzählt er. Viele Mitarbeiter der Bahn seien schon bei ihm gewesen, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Von keinem habe er je wieder etwas gehört, erzählt Müller verwundert und erbittert. Woher diese Ignoranz rühre, könne er nicht verstehen.
Dabei treibt ihn noch etwas um: die Gefahr, dass ein Zug vom Bahndamm kippen könnte. Das Gleis auf dem Damm wird zwar seit Jahren nur noch zum Rangieren genutzt. Doch die Waggons, die täglich hier bewegt werden, sind besonders schwer. Sie transportieren nach Aussage von Frank Müller und Ralf Kalich Chemikalien und Material der nahen Zellstoff- und Papierfabrik Rosenthal GmbH.
Wie viel genau, ist nicht bekannt. Mehrfache schriftliche und telefonische Anfragen von MDR THÜRINGEN dazu und zum Bahndamm ließ das Papierwerk unbeantwortet. Laut der Unternehmensseite im Internet beträgt die Produktionskapazität der GmbH rund 360.000 Tonnen Kraftzellstoff pro Jahr. 380 Mitarbeiter seien hier beschäftigt.
Müller: Kesselwagen mit Chemikalien könnten kippen
Der Rangierbetrieb führe zu starken Erschütterungen des Dammes und des Wohnhauses, sagt Müller. "Dieser Bahndamm rutscht. Das heißt, der Zug steht schief, direkt am Hang." Falls die Kesselwagen mit Chemikalien kippen sollten, würden sie unten in der Selbitz landen, einem Fluss, der in die nahe Saale fließt. "Vonseiten der Bahn brauchen sie nicht zu sagen, das haben sie nicht gewusst", sagt Frank Müller. "Vor 30 Jahren hätte man noch sehr vieles retten können."
Es besteht zumindest dringender Handlungsbedarf, das Problem zu lösen.
Die Problemlage sieht nicht nur der Rentner, sondern auch die Gemeinde. "Es besteht zumindest dringender Handlungsbedarf, das Problem zu lösen. Sei es durch eine Klärung der Statik oder neuerliche Befestigung des Bahndammes", sagt Bürgermeister Alex Neumüller (CDU). Und fügt hinzu: "Dies ist aber Aufgabe für Experten und kann nicht von Familie Müller geleistet werden." Die Gemeinde könne auch nichts tun, denn sie sei "kein Besitzer des Grundstückes".
Frank Müller hatte inzwischen mehrere Schlaganfälle
Der Kampf hat Frank Müller mürbe gemacht. Seit 2006 hatte er mehrere Schlaganfälle und Herzinfarkte, heute ist er invalide. Wenn er läuft, muss er sich auf einen Gehstock stützen. Auch seiner Frau Sigrid geht es gesundheitlich nicht gut. Beide haben Lungenprobleme. Sie sagen, das Haus, der Schimmel, die ständige Feuchtigkeit habe sie krank gemacht.
Im Haus riecht es - sagen wir, wie es ist - nach Abwasser.
Die Feuchtigkeit stamme vom Regenwasser, das vom Bahndamm direkt auf ihr Grundstück in die Mauern fließe. Die dicken Lehmsteinwände ziehen Wasser und Feuchtigkeit in jeder Form. Es ist also nicht nur so, dass der Bahndamm rutscht, es sei auch keine Entwässerung eingebaut. "Im Haus riecht es - sagen wir, wie es ist - nach Abwasser", sagt Frank Müller. "Wir machen im Frühjahr alle Fenster auf und im Herbst, wenn die Heizperiode beginnt, wieder zu." Acht Lüfter liefen rund um die Uhr.
Das Bad sei so nachhaltig zerstört, da könne man nichts mehr machen. Und so waschen sich Herr und Frau Müller in seinem Büro am Waschbecken. Einmal die Woche wird bei der Tochter gebadet und das schon seit 1989. Durch den Zustand ihres Zuhauses seien sie zudem sozial isoliert. "Wir empfangen schon keinen Besuch mehr, weil wir uns so schämen." Auch Fotos möchten sie keine von innen zeigen.
Der Abschnitt der "Höllentalbahn im Frankenwald", um den es hier geht, wurde 1901 eröffnet. Damals baute man ebenerdig, erzählt Ralf Kalich, "da wurde jeder Hügel ausgeglichen." Freilich seien die Achslasten vor 120 Jahren andere als heute gewesen. Frank Müller glaubt, dass damals einfach nur Baumaterial aufgeschüttet wurde, ohne einen Anker oder überhaupt irgendeine Befestigung einzubauen.
1998 hat Frank Müller ein Baugutachten auf eigene Kosten erstellen lassen. Darin heißt es: "Die bahnseitige Außenwand […] wurde im Laufe der Jahre so stark in Mitleidenschaft gezogen, dass ein Abbruch und Wiederaufbau […] erforderlich ist."
Rechtsweg zu kompliziert
Doch Frank Müller hat die Sache nie vor Gericht gebracht. "Ich bin kein Streithammel. Wir sind Nachbarn, die Bahn und ich, wir müssen miteinander leben", sagt er. Das mag seltsam erscheinen, aber Müller hat sich von einem Anwalt beraten lassen. Der Rechtsweg stellte sich als zu kompliziert heraus. "Die Deutsche Bahn ist mit dem Mauerfall in mehrere Unternehmen zerfallen und deshalb sind mehrere Unternehmen Eigentümer des Bahndamms." Wen also solle er verklagen?
600 Euro Kreditabzahlung monatlich
Vor allem fehlt der Familie nach all den Jahren nicht nur die Kraft, sondern auch das Geld. Die beiden leben von seiner Rente und ihrem Verdienst als Teilzeitkraft in der Altenpflege, das seien knapp 2.000 Euro im Monat. Es laufen Kredite auf das Haus, 600 Euro müsse er monatlich abzahlen, sagt Müller. Erst mit 75 sei er mit dem Ratenzahlen fertig. "Ich bin weiter in der Zahlungspflicht, egal, ob ich hier wohne oder nicht." Das sei der Grund, weshalb man nicht ausziehen könne.
Neuerdings gibt es ein zusätzliches Problem: Der Gastank hat sich mit dem Grundstück verschoben und steht nun schief. Der Gasbetreiber habe den Tank deshalb nur zu 75 Prozent gefüllt. "Ich kann den Tank nicht ausgraben und ausrichten. Mit einer Hand an der Krücke", sagt Müller. Seine Befürchtung ist, dass ihn der Gasbetreiber bald gar nicht mehr beliefert.
Ich will hier kein Geschäft machen. Ich will nur, wenn es geht, in einer gesunden Umgebung alt werden.
Die Nachbarn, sagt Müller, hätten schon aufgegeben. Alle seien ausgezogen, die Häuser, die baufällig waren, wurden auf Kosten der Gemeinde abgerissen. Müller sagt, er hatte nie vor, hier wegzugehen. "Das ist mein Elternhaus, da hängt man anders dran." Aber jetzt seien sie so weit.
"Wir müssen einsehen, dass das hier nicht mehr zu halten ist." Er möchte fort von hier, raus aus diesem Haus. Dafür möchte er von der Bahn 200.000 Euro Entschädigung.
"Ich will hier kein Geschäft machen. Ich will nur, wenn es geht, in einer gesunden Umgebung alt werden. Aber ich kann hier nicht raus." Frank Müller ist 66, seine Frau 62 Jahre alt. "Meine Frau sagt: Gib endlich auf. Aber das kann ich nicht."
MDR (caf)
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