Theaterskandal wird Theaterstück "Die Hundekot-Attacke" in Jena auf der Theaterbühne

28. Oktober 2023, 17:15 Uhr

Mit der Produktion "Die Hundekot-Attacke" stellt das Theaterhaus Jena einen der unappetitlichsten Theaterskandale in den Mittelpunkt, den realen Angriff des Choreografen Marco Goecke auf die Ballettkritikerin Wiebke Hüster mit dem Tierexkrement. Doch das Theaterstück ist ganz anders als das Publikum es erwarten mag - auch für die Theatermacher. Unser Kritiker Wolfgang Schilling über eine Aufführung, die mehr will, als einen Theaterskandal aufzukochen.

Das Theaterhaus Jena verspricht mit seiner aktuellen Produktion "Die Hundekot-Attacke" eine Vorstellung über "Finsternis, Schönheit und Vergebung" nach einer wahren Geschichte. Die Theatermacher nehmen damit Bezug auf den unappetitlichen und völlig unakzeptablen Exkrement-Angriff des Choreografen Marco Goecke auf Wiebke Hüster, die Ballettkritikerin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bei einer Premiere in Hannover.

Dackel aus Tierschutzgründen per Video auf der Bühne

Eins vorweg, "ganz ohne Kot und Dackel", wie es im Vorfeld hieß, kommen sie nicht aus in Jena. Ein Dackel ist mit von der Partie, wenn auch nur per Video. Ein Live-Auftritt wurde aus tierschutzrechtlichen Gründen gestrichen.

Schon der alte Goethe meinte bekanntlich, dass Hunde nichts auf der Theaterbühne zu suchen haben. Hätte sich Marco Goecke daran gehalten, hätte auch er zur Tatzeit keine Kacke zur Hand gehabt und Wiebke Hüster vielleicht nur ein Glas Wein ins Gesicht bekommen. Doch nun ist der Skandal passiert und das Theaterhaus Jena benutzt ihn als Anlass, um über das Verhältnis von Kunst und Kritik nachzudenken und gestattet dabei auch tiefe Einblicke ins Innenleben eines Theaterkollektivs.

Prolog mit falscher Tänzerin

Gleich zu Beginn will uns die niederländische Schauspielerin Linde Dercon in einem Vortrag weismachen, dass sie von frühester Kindheit an getanzt hat und mit 25 Jahren vom Nederlands Dans Theater in Den Haag engagiert wurde. Dort hat sie mit den großen Choreografen unserer Zeit gearbeitet - auch mit Marco Goecke. Am Abend der tatsächlichen Hundekot-Attacke will sie Backstage vor Ort in Hannover gewesen sein.

Was man als lustige Entree-Nummer inszenieren könnte, spielt Linde Dercon in einer derart verstörten Konzentriertheit und unterdrückten Nervosität, das man ahnt: wer es in der schillernden Ballettwelt ganz nach oben schafft, erlebt auch Dinge an Leib und Seele, die nicht immer gesund sind.

Weswegen die Fake-Tänzerin auch Abschied von der großen Ballettbühne genommen hat, um als Freie Künstlerin ihrem Traum nachzujagen, die Welt des Tanzes und des Theaters zu vereinen. Vielleicht in Jena?

Scheitern der Stückidee als neue Stückidee

Bei der Aufführung wendet sich nun der Schauspieler Leon Pfannenmüller betroffen an das Publikum, um mitzuteilen, dass man bei der Umsetzung der Stückidee gescheitert sei. Sechs Wochen Arbeit - und kein Ergebnis!

Um den Theaterabend zu retten, habe man sich entschlossen, den Email-Verkehr der Truppe von der ersten Ideenfindung an vorzulesen. Was auch geschieht und gruppendynamisch Fahrt aufnimmt. Die sechs Spieler agieren als die scheinbar echten Personen, die sie sind - führen uns dabei aber listig hinters Licht, damit uns eins aufgeht: Das funktioniert bestens, weil Walter Bart von holländischen Theaterkollektiv Wunderbaum noch einmal ans Theaterhaus Jena zurückgekehrt ist. Denn der Regisseur weiß, dass man sich bei einem solchen Spiel im Spiel des Hinterfragens, nicht mit der ersten, einfachen Antwort zufriedengeben darf, sondern alles immer wieder neu und noch einmal und aus anderer Sicht analysieren muss.

So finden Ernsthaftigkeit und Witz zueinander. Man ist ergriffen und entsetzt und mittendrin in einem Theater, das die Welt nicht von der Bühne herab erklärt, sondern sich und dem Publikum einen Spiegel vorhält. Das hat Rasanz und endet mit der letzten E-Mail, die vom Morgen des Premierentags stammt und das Scheitern eingesteht.

Es ist wieder Leon Pfannenmüller der seinen Kollegen mitteilt, dass eine Absage des Abends wegen möglicher juristischer Konsequenzen nicht denkbar und, und man deshalb auf die nicht ganz ernst gemeinte Idee von Nikita Buldyrski zurückgreife, den E-Mail-Verkehr vorzulesen.

Theater Jena auf Augenhöhe mit großen Häusern

Das Premierenpublikum nahm diese Volte amüsiert hin, musste mit dem Schlussapplaus aber warten. Es folgte ein knapp 15-minütiger Epilog. Fast ohne Worte, denn jetzt sprechen die Körper. Ein bisschen an die Stilistik von Marco Goecke erinnernd, werden da viele der Dinge, die wir vorher vorgelesen bekamen, noch einmal ins tänzerische Bild gesetzt.

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Das Theaterhaus Jena hat den renommierten Theaterpreis des Bundes erhalten. Die Auszeichnung ist mit 100.000 Euro Preisgeld verbunden. Marlene Drexler hat die Preisträger bei einer Probe besucht.

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Auch das ist kein bloßer Klamauk. Hier wurde ernsthaft gearbeitet. Mit dem Choreografen Edoardo Cino. Der Mann ist kein Fake, sondern am Staatsballett Saarbrücken engagiert.

Fazit: Mit dieser Hundekot-Attacke agiert die kleine Jenaer Truppe wieder mal auf Augenhöhe mit all den großen Häusern, an denen sie sich demnächst vielleicht bewerben, weil ihre Zeit in Jena vorbei ist. Schade, aber eine neue Chance für Pina Bergemann, Nikita Buldyrski, Henrike Commichau, Linde Dercon, Leon Pfannenmüller und Anna K. Seidel.

Quelle: MDR KULTUR (Wolfgang Schilling), Redaktionelle Bearbeitung: op

Die Aufführung "Die Hundekot-Attacke"

Regie: Walter Bart (Wunderbaum)

Von und mit, Text: Pina Bergemann, Nikita Buldyrski, Henrike Commichau, Linde Dercon, Leon Pfannenmüller, Anna K. Seidel & ein Dackel
Eine Koproduktion mit Wunderbaum

Theaterhaus Jena
Schillergässchen 1
07745 Jena

Premiere am 27. Oktober 2023

Weitere Aufführungen
28. Oktober 2023, 20:00 Uhr
23. November 2023, 20:00 Uhr
24.November 2023, 20:00 Uhr
25.November 2023, 20:00 Uhr

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 28. Oktober 2023 | 10:10 Uhr

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