Flüchtlingspolitik Karte statt Bargeld: Kreise Greiz und Eichsfeld starten mit Bezahlkarte für Asylbewerber

01. Dezember 2023, 13:23 Uhr

Zwei Thüringer Landkreise haben begonnen, rund 160 Bezahlkarten für Asylsuchende auszugeben. Ein Testlauf, der bei Erfolg deutschlandweit Schule machen könnte. Doch Bezahlkarten gab es bereits früher in Thüringen.

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Immer am letzten Werktag des Monats ist der Hof im Landratsamt Greiz voller Menschen. Denn dann bekommen die Asylsuchenden, die im Landkreis leben, die ihnen zustehenden Asylbewerberleistungen ausbezahlt. So auch am Donnerstagvormittag. Einzeln werden die Menschen in Greiz zur Kasse gebracht.

Asylbewerber und Geduldete, deren Asylantrag abgelehnt wurde, die aber nicht abgeschoben werden, erhalten in Deutschland bei Bedarf bestimmte Sozialleistungen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Je nach Alter erhalten sie dabei ein "Taschengeld" zwischen 100 und 180 Euro pro Monat. Normalerweise kommt dazu noch das Geld für Sachleistungen. Davon zahlen die Asylsuchenden etwa Lebensmittel, Kleidung, Fahrscheine, Drogerieprodukte und Handykosten. Gleichzeitig ist der Zugang für Geflüchtete zum Arbeitsmarkt in Deutschland vor allem in den ersten Monaten stark reglementiert.

Doch das Prozedere soll sich im Kreis Greiz ändern: Das Geld für diese Sachkosten wird künftig auf eine Bezahlkarte gebucht. Zum monatlichen Aufladen der Karte muss der Karteninhaber persönlich zum Landratsamt kommen. Sonst gibt es kein Geld. Unabhängig davon bezahlt der Landkreis jedoch weiterhin etwa die Unterkunftskosten für die Geflüchteten.

Landrätin: Geld soll im Kreis Greiz bleiben

Die Bezahlkarten sind personalisierte Prepaid-Mastercards. Optisch sehen sie aus wie normale Geldkarten. Sie funktionierten auch ähnlich - aber mit Einschränkungen, sagt Landrätin Martina Schweinsburg (CDU). Denn bezahlen kann man damit ausschließlich im Landkreis Greiz. Das sei auf dem Chip der Karte so programmiert. Einkaufen in Gera zum Beispiel ist also nicht möglich.

Ich möchte, dass das Geld auch hier bleibt und nicht ins Ausland zur Familienstütze überwiesen wird.

Martina Schweinsburg Landrätin des Landkreises Greiz (CDU)

Geld abheben am Bankautomat oder der Supermarktkasse - Fehlanzeige. Überweisungen sollen damit ebenso wenig möglich sein wie die Karte zu überziehen. Bei Missbrauch kann sie das Landratsamt sogar einziehen. Auch tricksen soll nicht funktionieren: Ein Flaschenpfand zum Beispiel wird nicht ausbezahlt, gekaufte Waren können nicht in Geld zurückgetauscht werden: "Es wird nur auf die Karte zurückgebucht. Es gibt kein Bargeld", sagt Schweinsburg.

Bezahlkarte zunächst für 29 Geflüchtete im Kreis Greiz

Mit dem Kartenanbieter Givve hätten die Mitarbeiter des Landratsamtes Greiz in den vergangenen Wochen fast rund um die Uhr an der Umsetzung gearbeitet. Sechs Euro zahlt der Landkreis pro Karte an Givve. Dazu monatlich einen Euro beim Neuaufladen. "Das macht derzeit monatlich rund 7.000 Euro", sagt Schweinsburg. "Aber wir sparen dennoch. Allein beim Geldauszahlen brauche ich weniger Personal. Und auch die Polizei muss nicht mehr - wie bislang - vor Ort sein, weil wir nun deutlich weniger Bargeld im Haus haben." Wie und wo die neue Bezahlkarte funktioniert, das wird den Nutzerdazu ausführlich erklärt. In zwölf Sprachen gibt es dazu Infoblätter.

Die Bezahlkarten werden im Kreis Greiz im Dezember zunächst nur an Asylbewerber, die einen Folgeantrag stellen, vergeben. Dabei handelt es sich zunächst um 29 Menschen. Diese kommen laut Schweinsburg im Herbst nach Deutschland und stellen einen Asylantrag.

"Sie kommen in der Regel aus sicheren Drittstaaten und kennen das System der Bearbeitung. Im Frühjahr, kurz bevor sie den ablehnenden Bescheid haben, fahren sie wieder nach Hause, um eine Wiedereinreisesperre zu vermeiden. Sonst dürften sie nicht wieder einreisen. Wir haben hier Folgeantragsteller, die das schon mehrere Jahre machen", sagt Schweinsburg. Ganz gezielt wurden an diese nun die Karten ausgereicht.

"Wir wollen das System dieser Kettenanträge besser kontrollieren. Und wir wollen auch wissen: Sind sie hier im Landkreis? Wir hoffen, dass die Bundesregierung Wort hält und die Asylverfahren beschleunigt. Wir möchten, dass sie das Geld, was sie von uns bekommen, in der Region ausgeben. Und wir wollen verhindern, dass sie abtauchen, wenn eine Maßnahme wie das Abschieben ansteht", sagt die Greizer Landrätin.

Geflüchtete aus Ukraine nicht betroffen

Doch die Karten für Asylbewerber mit einem Folgeantrag ist nur ein erster Schritt. 740 Asylsuchende gibt es derzeit im Landkreis Greiz. Ab Januar sollen sie alle die neue Bezahlkarte erhalten. Nicht betroffen davon sind Empfänger von Bürgergeld, also auch etwa die aus der Ukraine geflüchteten Menschen.

Karte für 135 geduldete Flüchtlinge im Eichsfeld

Auch der Landkreis Eichsfeld führt ab Freitag eine Bezahlkarte für geduldete Flüchtlinge ein. Das hatte Landrat Werner Henning (CDU) bei der Sitzung des Kreistages am Mittwoch angekündigt. Laut einem Bericht der "Thüringer Allgemeinen" sind davon 135 Menschen im Landkreis betroffen, deren Asylanträge bereits abgelehnt worden sind.

Insgesamt leben den Angaben zufolge etwa 1.800 Geflüchtete im Landkreis Eichsfeld. Henning sagte der Zeitung, es handele sich dabei um einen "reinen Verwaltungsvorgang", der keiner Zustimmung des Kreistags bedürfe.

Ziel sei, hauptsächlich Sachleistungen auszugeben. Die betroffenen Menschen bekommen den Angaben zufolge monatlich 150 Euro Bargeld sowie die Karte, mit der sie unter anderem in Lebensmittelmärkten bezahlen können. Auch in einigen anderen Läden sei die Karte nutzbar.

Im Gegensatz zum Landkreis Greiz, wo die Karte nur im Kreis genutzt werden kann, sei die Karte im Eichsfeld sowie in den Kreisen Göttingen, Unstrut-Hainich, Nordhausen und Werra-Meißner einsetzbar. Die Kosten der erworbenen Sachleistungen würden von einem Konto des Landkreises abgebucht. Für die Geduldeten gilt ein monatliches Limit, nach welchem die Karte laut Henning gesperrt wird.

Starke Kritik an Bezahlkarten - Betroffene findet es in Ordnung

Die Thüringer Migrationsbeauftragte Mirjam Kruppa hat die Einführung von Bezahlkarten verurteilt. "Diese Form der Bezahlkarte stigmatisiert die Menschen und schränkt sie einschneidend und ungerechtfertigt ein", sagte sie am Freitag. Ihrer Ansicht nach gehe es mit dem System nicht um einen Bürokratieabbau: "Vielmehr scheint es das Ziel, den betroffenen Menschen das Leben so schwer wie möglich zu machen, mit der Absicht, sie damit zur Ausreise zu bewegen." Sie fragt: "Weshalb soll es verwerflich sein, wenn der afghanische junge Mann so sparsam wie irgendwie möglich lebt, um einen Teil der ohnehin geringen Leistungen, die er erhält, nach Afghanistan zu seiner Frau und seinen Kindern zu schicken, damit diese überleben können?"

Weshalb soll es verwerflich sein, wenn der afghanische junge Mann so sparsam wie möglich lebt, um einen Teil der ohnehin geringen Leistungen, die er erhält, nach Afghanistan zu seiner Frau und seinen Kindern zu schicken, damit diese überleben können?

Mirjam Kruppa Thüringer Migrationsbeauftragte

Kruppa ist dabei nicht generell gegen Bezahlkarten, sofern diese nicht für bestimmte Geschäfte oder Produkte sperrbar sein sowie damit Geld abgehoben werden kann. Das würde den bürokratischen Aufwand massiv verringern. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen würde seit Jahren mit entsprechenden Prepaid-Karten in Flüchtlingslagern in Griechenland und Jordanien arbeiten.

Ähnlich argumentiert der Flüchtlingsrat Thüringen. Solche Karten würden "eine unzulässige Stigmatisierung von geflüchteten Menschen" bedeuten. Das Bundesverfassungsgericht habe 2010 entschieden, dass zum Existenzminimum auch ein Minimum an sozialer Teilhabe gehöre.

Trotzdem: Als eine der ersten Personen in Thüringen erhielt am Donnerstag im Landratsamt Greiz die dreifache Mutter Kegavan Magzdar aus Georgien eine der Bezahlkarten. "Für mich ist es sehr okay", sagt sie. "Kleidung und Essen mit Karte kaufen können - das ist gut."

Gutscheine für Flüchtlinge in Thüringen bis 2015

Schon seit vielen Jahren können Thüringer Landräte selbst entscheiden, ob Asylbewerber Geld- oder Sachleistungen erhalten. Vor acht Jahren, im Jahr 2015, beendeten in Thüringen das Weimarer Land und der Kreis Greiz - damals auch schon unter Landrätin Schweinsburg - als letzte Regionen in Thüringen die Ausgabe von Lebensmittelgutscheinen anstatt von Geld an Asylbewerber. Auch wegen des hohen bürokratischen Aufwandes und der eingeschränkten Akzeptanz im Handel zahlten alle Thüringer Behörden bis zum November die Leistungen für Asylbewerber nur noch als Geld aus.

Standards für bundesweite Bezahlkarten bis Ende Januar geplant

Bund und Länder hatten sich Anfang November darauf geeinigt, dass Asylbewerber in Deutschland mindestens einen Teil ihrer Leistungen künftig als Guthaben auf eine Bezahlkarte bekommen sollen. Bis Ende Januar sollen Vorschläge für bundesweit einheitliche Mindeststandards erarbeitet werden. Als Begründung für diesen Schritt wurde etwa genannt, dass Schutzsuchende so kein Geld aus staatlicher deutscher Unterstützung an Angehörige und Freunde im Herkunftsland überweisen könnten.

Mehr zur Bezahlkarten für Flüchtlinge

MDR (KaBe/mm)/dpa

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 30. November 2023 | 19:00 Uhr

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