
Porträt "Ich hätte nie gedacht, dass es klappt" - Mandy Eißing aus Altenburg ist für Die Linke neu im Bundestag
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30. März 2025, 13:43 Uhr
Mandy Eißing aus Altenburg wurde für Die Linke neu in den Bundestag gewählt. Wir haben die gelernte Friseurin in Berlin besucht und sie gefragt, was sie erreichen will und wie sie sich als Abgeordnete fühlt. Ein Porträt.
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Der Bundestag ist heute gut besucht. Denn an diesem 26. März findet die konstituierende Sitzung des 21. Bundestags statt. Die neu gewählten Abgeordneten kommen zum ersten Mal zusammen.
Das erste Mal im Plenarsaal
Eine von ihnen ist Mandy Eißing aus Altenburg. Sie wurde über die Liste der Thüringer Linke das erste Mal in den Bundestag gewählt, sie stand auf Platz Drei. Jetzt sitzt die Neu-Abgeordnete auf einem blauen Stuhl im Plenarsaal und hört sich die Rede der eben gewählten Bundestagspräsidentin an.
Das war wirklich ein bisschen wie der erste Schultag.
Ein paar Stunden später ist die Sitzung zu Ende. Es ist kurz vor halb sechs. Mandy Eißing ist noch voller Energie und beantwortet gut gelaunt Fragen zu ihrem neuen Amt. Doch zuerst erzählt die gelernte Friseurin, wie aufregend ihr erster Tag als gewählte Volksvertreterin war. "Das war wirklich ein bisschen wie der erste Schultag", sagt sie.
230 von uns sind neu in diesem Parlament.
Sie ist nicht die Einzige, die sich an diesem Tag so fühlt. Viele Abgeordnete machen Selfies, die Stimmung in den Pausen ist fröhlich, der Aufbruch, der Neuanfang, greifbar. "230 von uns sind neu in diesem Parlament", sagt die frisch gewählte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) in ihrer Antrittsrede. 400 Abgeordnete behalten ihr Mandat. Zur ersten Sitzung sind fast alle da, nur sechs Abgeordnete haben sich entschuldigt.
Nicht nur viele Abgeordnete sind neu: Auch die Verteilung der Parteien hat sich geändert, der Bundestag ist von 733 auf 630 Abgeordnete geschrumpft. In nur sechs Tagen wurden die Sitzreihen im Plenarsaal, die halbrund und fächerförmig nach vorn ausgerichtet sind, umgebaut.
Das Wahlergebnis musste in Parlamentssitze umgerechnet werden. Von vorn aus gesehen sitzt die Fraktion der AfD ganz rechts, Die Linke ganz links, dazwischen sitzen CDU, Grüne und SPD.
Eißing, die heute einen schwarzen Rock, einen schwarzen Pullover und darüber ein marineblaues kurzes Jackett trägt, sitzt in der Reihe ganz links. Seit ihrer Wahl am 23. Februar war sie zwar wöchentlich im Bundestag, aber im Plenarsaal zu sitzen, ist für sie eine Premiere. "Ich bin stolz, dass ich hier bin, das war immer so weit weg, dass es eine von uns schafft", sagt sie.
Wo redet es sich am besten über Politik? In der Kneipe und beim Friseur.
"Eine von uns" meint eine ostdeutsche Frau aus Altenburg, die nicht studiert, sondern ein Handwerk gelernt hat. Eißing hat 1993 eine Lehre als Friseurin angefangen und 16 Jahre in diesem Beruf gearbeitet. Unter ihren Kundinnen waren auch zwei Landtagsabgeordnete. Heute sagt sie: "Wo redet es sich am besten über Politik? In der Kneipe und beim Friseur."
Die 48-Jährige hat ihre eigenen Erfahrungen als angestellte Friseurin in Thüringen gemacht: Eißing musste trotz harter Arbeit Sozialleistungen beantragen, erzählt sie. Auch ihr Mann ist Handwerker.
Beide zusammen hätten damals so wenig verdient, dass sie sich die Kindergartengebühren nicht leisten konnten. "Das hat mich politisiert, diese Ungerechtigkeit, die Diskussion um soziale Gerechtigkeit und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich", sagt Eißing.
2009 trat sie in die Partei Die Linke ein und engagierte sich in der Kommunalpolitik, zuerst im Altenburger Stadtrat, später auch im Kreistag. Zugleich fing sie an, als Wahlkreismitarbeiterin bei dem Bundestagsabgeordneten Frank Tempel (Die Linke) zu arbeiten.
Wahlkreismitarbeiterin bei Martin Schirdewan (Linke)
Seit 2017 ist sie Wahlkreismitarbeiterin bei Martin Schirdewan, der für Die Linke im EU-Parlament sitzt. Eißing ist also kein politischer Neuling. Das Handwerkszeug habe sie in der Kommunalpolitik gelernt. "Da muss man alles selbst machen", etwa Anträge stellen, Reden schreiben, sich in Gesetze und Verordnungen einarbeiten.
Nach der konstituierenden Sitzung läuft sie durch die langen Gänge zum Büro von Petra Pau, die 27 Jahre lang für die Linke im Bundestag saß und nun aus dem Parlament ausscheidet. Sie war nicht noch einmal zur Wahl angetreten. Bevor Pau ganz geht, hilft sie Eißing, hier anzukommen.
Paus Büro, in dem auch Eißing vorübergehend arbeitet, steht voller Umzugskisten, es ist schon fast ganz ausgeräumt. Dass ihre Partei am Ende fast neun Prozent der Stimmen geholt hat, findet sie "prima".
"Anfang des Jahres fürchtete ich, das ich hier die letzte meiner Art bin", sagt Pau. Jetzt hat ihre Partei 64 Sitze im Parlament, 25 mehr als in der letzten Wahlperiode. "Wir sind mit einer unfassbar starken und jungen Fraktion eingezogen, das macht es mir auch leichter, dass ich jetzt wirklich fröhlich loslassen kann", sagt Petra Pau.
Alles schon vorbereitet
Mandy Eißing hat viel vor in ihrem neuen Job. Die letzten Tage und Wochen hat sie alles vorbereitet und organisiert: Sie hat sich eine Wohnung in Berlin gesucht, Arbeitsverträge unterzeichnet, IT-Anträge gestellt, E-Mail-Adressen beauftragt, Büromöbel und Sachleistungen beantragt.
Sie sei von der Arbeitnehmerseite auf die Arbeitgeberseite gewechselt, sagt sie. Jetzt hat Eißing zwei Mitarbeiterinnen in Berlin von Petra Pau übernommen. Zwei weitere Mitarbeiter arbeiten für sie im Wahlkreis in Ostthüringen. Eißing meint: "Jetzt kann ich durchstarten."
Die Linke-Politikerin wollte in den Bundestag, weil sie etwas verändern will. "Hier im Parlament kann man wirklich etwas gestalten, das eine Auswirkung auf die Menschen vor Ort hat." In der Kommune seien ihr da immer die Hände gebunden gewesen. "Genau hier in Berlin kann man ansetzen."
Ich habe gesehen, wie ganze Betriebe kaputtgegangen sind, wie Familien kaputtgegangen sind.
Vor allem will Eißing sich für die Menschen aus ihrer Heimat einsetzen. "Ich bin im ländlichen Raum geboren, aufgewachsen und lebe dort noch immer. Ich bin wirklich eine Ossi." Sie sehe und kenne die Brüche, die Existenzängste der Menschen. "Ich habe gesehen, wie ganze Betriebe kaputtgegangen sind, wie Familien kaputtgegangen sind."
Es gehe ihr um die Verkäuferin, die Zahnarzthelferin, die Friseurin, um "die, die immer da sind, die aber keiner mehr sieht. Ich bin eine von ihnen." Als Nichtakademikerin ist Eißing eher eine Ausnahme im Parlament. Denn ungefähr neun von zehn Bundestags-Abgeordneten sind Akademiker.
Eißing will gerne im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend arbeiten. Dort könne sie Gesetze und Leitlinien mit erarbeiten. Und sie will das Handwerk stärken. "Das sind die Menschen, die die Leute vor Ort bezahlen, das sind die Menschen, die die Leute vor Ort beschäftigen."
Konkret will sie sich für ein kostenfreies Mittagessen an Kindergärten und Schulen, stabile Kinderbetreuungskosten, ein längeres gemeinsames Lernen, einen Mietendeckel, eine Preisregulierung und die Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel einsetzen. "Das kann man alles im Bund anschieben", sagt Eißing.
Demut und Stolz, gewählt zu sein
Zuerst aber braucht sie ein eigenes Büro. Der 21. Bundestag ist noch jung, viele Gesichter sind neu, vieles ist im Umbruch. FDP und BSW ziehen aus, Abgeordnetenbüros werden neu vergeben, gemalert und eingerichtet. Die politische Arbeit läuft dennoch schon. Auch Mandy Eißing hat an diesem Abend noch einen Termin.
Vor den Fenstern wird es allmählich dunkel. Lange Tage würden ihr nichts ausmachen, sagt sie. Eißing strahlt Energie und Begeisterung aus. "Wenn ich hier bin, bin ich hier, dann habe ich den Kopf dafür, ich muss mich nicht um die Hausarbeit kümmern, ich kann hier durchziehen", sagt die Mutter von zwei Söhnen, die 15 und 19 Jahre alt sind.
Dann wird sie sehr ernst. Sie sei demütig und stolz, hier zu sein. "Ich hätte nie gedacht, dass es klappt. Ich habe es erst geglaubt, als das offizielle Schreiben von der Bundeswahlleiterin kam." Der Brief, in dem stand, dass Mandy Eißing aus Altenburg wirklich Abgeordnete im Deutschen Bundestag wird.
MDR (caf)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 25. März 2025 | 19:00 Uhr