Neustart in Mülverstedt Zwei junge Ärztinnen im alten Land-Ambulatorium angekommen
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26. Oktober 2023, 16:19 Uhr
Nach zwölf Jahren gibt es in Mülverstedt wieder eine eigenständige Hausarztpraxis. Die Landgemeinde Unstrut-Hainich hat 50.000 Euro für die Ausstattung dazugegeben. Seit Oktober sind nun auch zwei Medizinerinnen im Einsatz. Anja Seifert und Sophie Giesel bezeichnen sich selbst als überzeugte Landärztinnen.
Vier Räume mit neuem Team, frisch renoviert und ausgestattet mit moderner Technik. Im vermutlich ältesten Landambulatorium in der ehemaligen DDR aus den 1970er-Jahren gibt es wieder von Montag bis Freitag Sprechstunden.
Fachärztin Anja Seifert kümmert sich an vier Tagen um die Patienten; Kollegin Sophie Giesel dann freitags. Die 27-Jährige macht derzeit ihren Facharzt für Allgemeinmedizin. Dass die beiden Frauen hier in Mülverstedt ihr Glück als Landärztinnen gesucht und gefunden haben, hat mehrere Gründe.
Langjähriger Landarzt suchte Nachwuchs
Seit 24 Jahren ist Ralf Müller in Großengottern als niedergelassener Allgemeinmediziner tätig. Er hat vor wenigen Monaten eine Mail von Anja Seifert bekommen, die gern bei ihm anfangen wollte. Damit kam ein Stein ins Rollen - jetzt ist die neue Arztpraxis in Mülverstedt eröffnet. "Wir alten Ärzte müssen die Bedingungen schaffen, damit junge Ärzte hier auf dem Land anfangen können", sagt Ralf Müller.
Wir alten Ärzte müssen die Bedingungen schaffen, damit junge Ärzte hier auf dem Land anfangen können.
Parallel dazu hat die Gemeinde Unstrut-Hainich ein Netzwerk Gesundheit gegründet. Denn in den nächsten sieben bis zehn Jahren gehen alle Haus- und Zahnärzte in den Ruhestand. "Wenn wir jetzt nichts machen, ist der Zug abgefahren", sagt Bürgermeister Uwe Zehaczek.
"Der Gemeinderat hat einstimmig die Richtlinie für die finanzielle Unterstützung beschlossen. Bisher haben wir nur erlebt, dass Praxen geschlossen haben", sagt Bürgermeister Uwe Zehaczek. Deswegen sei es besonders schön, eine Arztpraxis neu zu eröffnen.
Gesundheit braucht ein Netzwerk
Der Gemeinderat hatte Ende September eine Richtlinie beschlossen, wonach neu besetzte Arztsitze mit bis zu 50.000 Euro aus der Gemeindekasse unterstützt werden können. Damit sollte für junge Ärzte ein zusätzlicher Anreiz geschaffen werden, sich in der Landgemeinde anzusiedeln.
Außerdem, sagt die Gemeinde, ginge es um die Daseinsvorsorge für weitere Praxen und Apotheken. Wenn kein Arzt mehr vor Ort ist, würden beispielsweise weniger Ergo- oder Physiotherapien gebraucht, heißt es. Eine davon befindet sich auch im Landambulatorium Mülverstedt, wo es auch noch eine Zahnarztpraxis gibt.
2011 drohte zunächst die Schließung
Das aus den 1970er Jahren stammende Landambulatorium war nicht mehr dauerhaft besetzt, seitdem der frühere Landarzt Ludwig Wunderlich 2011mit über 80 Jahren in den Ruhestand ging.
Zum Aufklappen: Was ist ein Landambulatorium?
Landambulatorien waren in der DDR mit angestellten Ärzten betriebene medizinische Einrichtungen zur Versorgung der Landbevölkerung. 1980 gab es in der DDR 414 davon.
In den 1970er Jahren versorgte ein vollbeschäftigter Allgemeinarzt rund 2.100 Einwohner. Ein Landambulatorium versorgte mit zwei Ärzten 7.500 Einwohner, die sich auf etwa 15 Gemeinden verteilten.
Fachärzte wie Gynäkologen und Zahnärzten hielten periodische Sprechstunden in den Ambulatorien ab.
Gemeindeschwestern (1950: 2620; 1980: 5279) hatten ergänzend eigene Stationen und waren erste Ansprechpartner für Kranke. (Quelle: DocCheck Community)
Mediziner Ralf Müller aus dem Nachbarort Großengottern betrieb die Räume weiter als Zweigstelle, um den Arztsitz zu erhalten. Außerdem engagiert er Schwester Helene aus Norwegen. Sie arbeitet als so genannte "nichtärztliche Praxisangestellte".
"Ich freue mich, dass unser Team größer geworden ist", sagt Ralf Müller. "Wir können jetzt in die Zukunft blicken". Sein Team besteht nunmehr aus drei Ärzten und fünf Schwestern. Ehefrau Ines Müller hält den Laden als Praxismanagerin zusammen.
Ärztin hat ihren Platz gefunden
Anja Seifert hat schon in einer Praxis in Wutha-Farnroda gearbeitet. Weil der Arbeitsweg von ihrem Wohnort Nägelstedt zu weit war, hat die Mutter einer fünfjährigen Tochter sich bei Ralf Müller beworben. "Die Begrüßung war so was von herzlich", sagt die 38-Jährige.
Ich bin Land- und Dorfärztin mit Leib und Seele.
"Ich würde es nicht mehr anders machen wollen. Wenn ich hier ankomme, höre ich die Vögel zwitschern. Ich fühle einfach: Ich bin Land- und Dorfärztin mit Leib und Seele. Das kann ich hier bis ins hohe Alter durchziehen."
Mütter sind besonders willkommen
Sophie Giesel ist im September zurückgekehrt; sie stammt aus einem Nachbarort und hat schon 2015 ein Praktikum in Großengottern gemacht. "Man ist viel näher an den Patienten dran, man kennt die Familien und begleitet die Menschen ihr Leben lang. Das macht es aus", sagt die 27-Jährige. Auch sie hat ein Kind, einen zweijährigen Sohn.
Ralf Müller versteht nicht, warum Arbeitgeber damit Probleme haben sollten. Gerade Mütter seien meist besonders belastungsfähig. Natürlich können die Kinder auch mal krank sein, das nimmt man aber gern in Kauf.
Finanzieller Anreiz als Sahnehäubchen
Es sei wundervoll, dass sich die Gemeinde für die Ansiedlung von Ärzten stark macht, sagen Anja Seifert und Sophie Giesel. Aber ausschlaggebend für die Entscheidung, aufs Land zu gehen, sei die finanzielle Unterstützung nicht, sie sei eher das "Sahnehäubchen".
Trotzdem ist es schön, den Patienten in Mülverstedt vielfältige Untersuchungen wie Ultraschall oder ein Langzeit-EKG anbieten zu können. Von dem Geld seien aber auch Praxismöbel und Computertechnik gekauft worden. Denn eine Landarztpraxis ist schließlich mehr als ein reiner Dienstleistungsbetrieb.
MDR (gh)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 25. Oktober 2023 | 17:40 Uhr
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