FAQ Alles rund um den Thüringer Verfassungsgerichtshof
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27. September 2024, 17:44 Uhr
Der Verfassungsgerichtshof ist als ranghöchstes Gericht des Freistaats Thüringen zur Kontrolle der Exekutive, der Legislative und gerichtlicher Entscheidungen des Landes berufen. Doch worüber genau entscheidet der Verfassungsgerichtshof? Und wie setzt er sich zusammen?
Inhalt des Artikels:
- Worüber entscheidet der Thüringer Verfassungsgerichtshof?
- Was kann eine Verfassungsbeschwerde erreichen?
- Setzen Verfassungsbeschwerden Gesetze außer Kraft?
- Wann ist eine Verfassungsbeschwerde zulässig?
- Welche Kosten entstehen durch eine Verfassungsbeschwerde?
- Wie ist das Verfassungsgericht zusammengesetzt?
- Wie entstand der Thüringer Verfassungsgerichtshof?
Der Verfassungsgerichtshof ist ein allen anderen Verfassungsorganen gegenüber selbständiges und unabhängiges Gericht des Landes. Er ist selbst Verfassungsorgan. Artikel 80 der Thüringer Verfassung bestimmt seine Zuständigkeiten.
Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs binden die Verfassungsorgane des Landes sowie alle Thüringer Gerichte und Behörden. Sie haben Gesetzeskraft, soweit Landesrecht für mit der Landesverfassung unvereinbar oder nichtig erklärt wird.
Worüber entscheidet der Thüringer Verfassungsgerichtshof?
- über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt des Freistaats Thüringen in seinen in der Thüringer Verfassung verbürgten Grundrechten, grundrechtsgleichen Rechten oder staatsbürgerlichen Rechten verletzt zu sein (sogenannte Individualverfassungsbeschwerde)
- über Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und Gemeindeverbänden wegen der Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung nach Art. 91 Abs. 1 und 2 der Thüringer Verfassung (sogenannte Kommunalverfassungsbeschwerde),
- über die Auslegung der Thüringer Verfassung aus Anlass von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Landesorgans oder anderer Beteiligter, die durch die Landesverfassung oder in der Geschäftsordnung des Landtags oder der Landesregierung mit eigener Zuständigkeit ausgestattet sind, auf deren Antrag (sogenannter Organstreit),
- bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche oder sachliche Vereinbarkeit von Landesrecht mit der Thüringer Verfassung auf Antrag eines Fünftels der Mitglieder des Landtags, einer Landtagsfraktion oder der Landesregierung (sogenannte abstrakte Normenkontrolle),
- über die Vereinbarkeit eines Landesgesetzes mit dieser Verfassung auf Antrag eines Gerichts, wenn es ein Landesgesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für unvereinbar mit der Thüringer Verfassung hält (sogenannte konkrete Normenkontrolle),
- über die Zulässigkeit von Volksbegehren nach Art. 82 Abs. 5 der Thüringer Verfassung,
- über die Verfassungswidrigkeit des Untersuchungsauftrages nach Art. 64 Abs. 1 Satz 2 der Thüringer Verfassung,
- über die Anfechtung der Prüfung der Gültigkeit der Landtagswahl nach Art. 49 Abs. 3 der Thüringer Verfassung.
Jede Verfahrensart folgt dabei eigenen Regeln und Besonderheiten. Die jeweiligen Einzelheiten sind im Gesetz über den Thüringer Verfassungsgerichtshof (ThürVerfGHG) bestimmt. Der Verfassungsgerichtshof kann im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung auch vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist (§ 26 Abs. 1 ThürVerfGHG).
Was kann eine Verfassungsbeschwerde erreichen?
Jedermann kann Verfassungsbeschwerde erheben, wenn er sich durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte verletzt glaubt.
Der Thüringer Verfassungsgerichtshof kann die Verfassungswidrigkeit eines Aktes der öffentlichen Gewalt des Freistaats Thüringen feststellen, ein vom Thüringer Landtag beschlossenes Gesetz für nichtig erklären oder eine verfassungswidrige Entscheidung eines Gerichts des Freistaats Thüringen aufheben.
Andere Klageziele (z.B. Verfolgung von Schadensersatzansprüchen, Stellung von Strafanträgen u.ä.) können im Wege der Verfassungsbeschwerde nicht erreicht werden. Der einzelne Staatsbürger hat grundsätzlich auch keinen mit der Verfassungsbeschwerde verfolgbaren Anspruch auf ein bestimmtes Handeln des Gesetzgebers.
Setzen Verfassungsbeschwerden Gesetze außer Kraft?
Verfassungsbeschwerden gegen gerichtliche Entscheidungen führen nicht zu deren Überprüfung im vollen Umfang, sondern nur zur Nachprüfung auf verfassungsrechtliche Verstöße.
Dass die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes, die Auslegung eines Gesetzes oder seine Anwendung auf den einzelnen Fall möglicherweise Fehler enthalten, bedeutet für sich allein und ohne weiteres nicht schon eine Grundrechtsverletzung. Verfassungswidrig ist ein solcher Fehler nur dann, wenn er bei Anwendung von Landesrecht ein Grundrecht der Landesverfassung verletzt.
Wann ist eine Verfassungsbeschwerde zulässig?
Sie ist schriftlich einzureichen und zu begründen. Die Begründung muss beispielsweise den eigentlichen Akt oder das Gesetz nennen, gegen den sich die Beschwerde richtet, es muss gesagt werden, welches Grundrecht verletzt wurdeund es ist darzulegen, worin im Einzelnen die Grundrechtsverletzung gesehen wird.
Die Verfassungsbeschwerde gegen Entscheidungen der Gerichte und Behörden ist nur innerhalb eines Monats zulässig. Sie muss daher innerhalb dieser Frist eingereicht und begründet werden.
Die Anrufung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs ist grundsätzlich erst dann zulässig, wenn alle anderen Rechtsbehelfe (also z.B. Berufung, Revision oder Beschwerde zur nächst höheren Instanz) vergeblich waren.
Gesetze, Rechtsverordnungen oder Satzungen können mit der Verfassungsbeschwerde nur ausnahmsweise angegriffen werden und zwar dann, wenn sie den Beschwerdeführer selbst, gegenwärtig und unmittelbar beschweren. Die Verfassungsbeschwerde muss in diesem Fall innerhalb eines Jahres seit dem Inkrafttreten der Rechtsvorschrift erhoben werden.
Wer entscheidet darüber, welche Verfassungsbeschwerden begründet sind?
Verfassungsbeschwerden können durch einstimmigen Beschluss eines von dem Verfassungsgerichtshof bestellten Ausschusses zurückgewiesen werden, wenn sie unzulässig oder offensichtlich unbegründet sind.
Der Ausschuss besteht aus dem Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs, einem Mitglied, das Berufsrichter sein oder die Befähigung zum Richteramt haben muss, und einem weiteren Mitglied des Verfassungsgerichtshofs.
Welche Kosten entstehen durch eine Verfassungsbeschwerde?
Das Verfahren vor dem Thüringer Verfassungsgerichtshof ist kostenfrei. Ist eine Verfassungsbeschwerde allerdings unzulässig oder offensichtlich unbegründet, so kann der Verfassungsgerichtshof dem Beschwerdeführer eine Gebühr bis zu 550,00 Euro auferlegen.
Außerdem kann der Thüringer Verfassungsgerichtshof dem Beschwerdeführer eine Gebühr bis zu 2600,00 Euro auferlegen, wenn die Einlegung der Verfassungsbeschwerde einen Missbrauch darstellt.
Können Anträge zurückgenommen werden?
Bis zur Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs ist die Rücknahme einer Verfassungsbeschwerde oder eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich möglich. Eine Gebühr wird in diesem Fall nicht erhoben.
Wie ist das Verfassungsgericht zusammengesetzt?
Der Verfassungsgerichtshof besteht aus dem Präsidenten und acht weiteren Mitgliedern; ein weiteres Mitglied führt die Bezeichnung Vizepräsident.
Der Präsident und die weiteren Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs werden vom Thüringer Landtag einzeln und in geheimer Wahl mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der gesetzlichen Mitgliederzahl des Landtages auf die Dauer von sieben Jahren gewählt. Einmalige Wiederwahl ist möglich.
Die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs dürfen weder dem Landtag oder der Landesregierung noch entsprechenden Organen des Bundes oder eines anderen Landes angehören. Sie dürfen, außer als Richter oder Hochschullehrer, beruflich weder im Dienst des Landes noch einer Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts unter Aufsicht des Landes stehen.
Wer sind derzeit die Mitglieder des Thüringer Verfassungsgerichts?
- Dr. Klaus von der Weiden, Richter am Bundesverwaltungsgericht, Mitglied: 2015 bis 2022, Präsident: 2022 bis 2029
- Dr. Lars Schmidt, Vorsitzender Richter am Landgericht Erfurt, Vizepräsident: 2022 bis 2029
- Barbara Burkert, Vizepräsidentin des Landgerichts Mühlhausen, Mitglied: 2022 bis 2029
- Jörg Geibert, Rechtsanwalt, Stellvertreter: 2020 bis 2022, Mitglied: 2022 bis 2029
- Dr. Klaus Hinkel, Präsident des Thüringer Oberverwaltungsgerichts, Mitglied: 2019 bis 2026
- Prof. Dr. Anika Klafki, Universitätsprofessorin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Mitglied: 2022 bis 2029
- Prof. Dr. Christoph Ohler, Universitätsprofessor an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Stellvertreter: 2010 bis 2015, Mitglied: 2015 bis 2029
- Jens Petermann, Richter am Sozialgericht Gotha, Mitglied: 2015 bis 2029
- Renate Wittmann, Richterin am Arbeitsgericht Nürnberg, Mitglied: 2022 bis 2029
Wie entstand der Thüringer Verfassungsgerichtshof?
Die Neuerrichtung des Landes Thüringen am 3. Oktober 1990 machte die Normierung einer vorläufigen Ordnung bis zur Verabschiedung einer Landesverfassung notwendig.
Die verschiedenen in das Verfassungsgebungsverfahren eingebrachten Entwürfe einer Thüringer Verfassung sahen von Anfang an eine eigenständige Verfassungsgerichtsbarkeit vor. Vor dem Hintergrund zweier Diktaturen schuf der Thüringer Verfassungsgeber wie alle neuen Länder und im Gegensatz zu einer Reihe der bisherigen Länder eine umfassende Verfassungsgerichtsbarkeit.
Diese sollte nicht im Sinne eines Staatsgerichtshofs auf die Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Staatsorganen oder die Kontrolle von Landesgesetzen beschränkt sein. Vielmehr sollte sich der Bürger gegen jeden hoheitlichen Akt zur Wehr setzen können.
Die Verfassung des Freistaats Thüringen vom 25. Oktober 1993 sieht die Errichtung eines Verfassungsgerichtshofs vor. Die nähere Ausgestaltung des Verfahrens und der Organisation wird dem Gesetzgeber überlassen.
Mit dem Gesetz über den Thüringer Verfassungsgerichtshof vom 28. Juni 1994 bestimmte der Thüringer Landtag den Sitz des Verfassungsgerichtshofs in Weimar und regelte das Verfahren beim Verfassungsgerichtshof. Der Gerichtshof nahm am 13. September 1995 seine Arbeit auf. (Quelle: Thüringer Verfassungsgerichtshof)
MDR (gh)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 27. September 2024 | 10:00 Uhr