Neue Behandlungs-Richtlinie Volkskrankheit Parodontitis - die unterschätzte Gefahr
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03. Juli 2021, 16:00 Uhr
Parodontitis, die Entzündung des Zahnhalteapparates, zählt zu den häufigsten chronischen Erkrankungen weltweit. Auch in Deutschland leiden etwa 11,5 Millionen Menschen an einer schweren Form dieser Volkskrankheit. Seit 1. Juli gibt es eine neue Behandlungsrichtlinie, für die auch Thüringer Zahnärzte gekämpft haben. Damit wird die Parodontitis-Behandlung in Deutschland auf den aktuellen Stand zahnmedizinischer Erkenntnisse gebracht.
Etwa 1.700 Zahnärztinnen und Zahnärzte gibt es in Thüringen, sie arbeiten in insgesamt 1.281 Praxen. Und im Jahr 2020 haben sie mehr als 15.300 Parodontitisfälle behandelt. Wie viele Menschen im Freistaat unter der Krankheit leiden, ist allerdings nicht bekannt, da viele von ihnen nicht zum Zahnarzt gehen.
Dabei ist die Parodontitis weit gefährlicher als gedacht, erzählt Zahnarzt Dr. Klaus-Dieter Panzner aus Weimar. "Es kann zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen kommen, bei Schwangeren kann sich das aufs Kind übertragen, möglicherweise kann es sogar zu Verklumpungen im Blut kommen, die zu Hirnschlag oder Herzinfarkt führen." Mittlerweile werden auch Zusammenhänge zu Alzheimer- und Demenzerkrankungen hergestellt.
Wenn man die gesamte Oberfläche aller Zahnwurzeln ausbreitet, ergibt das eine Fläche, die so groß ist wie die Haut am Oberarm.
Derzeit wird untersucht, ob der ständige Bakterienstrom, der aus dem Mund über das beschädigte Zahnfleisch auch alle anderen Erkrankungen und ihre Heilung negativ beeinflusst. Für Dr. Panzner ist das logisch: "Wenn man die gesamte Oberfläche aller Zahnwurzeln ausbreitet, ergibt das eine Fläche, die so groß ist wie die Haut am Oberarm. Und wenn so ein großer Bereich entzündet ist, fehlt natürlich der Schutz. Dadurch können alle möglichen Bakterien aus der Mundhöhle in ihren Körper eindringen. Damit verursacht jede Parodontitis eine Mini-Blutvergiftung. Und dagegen muss der Körper dann ständig ankämpfen."
Kampf um neue Regelung seit mehr als zehn Jahren
Bereits im Jahr 2004 wurde eine bundesweite Arbeitsgruppe "Parodontologie" gegründet, in der Panzner seit vielen Jahren mitarbeitet. "Seit 2009 bis heute kämpfen wir in dieser AG um eine vernünftige, wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode gegen die Parodontitis. Mit dieser neuen Richtlinie ist das jetzt endlich wahr geworden."
Die Erkenntnisse, die der Richtlinie zugrunde liegen, gibt es seit 2009, sagt Panzner. "Aber wenn Parodontitis als chronische Krankheit anerkannt ist, müssen die Kassen ja die Kosten für die Heilung der Patienten übernehmen. Die neue, deutlich aufwändigere Behandlung verursacht auch deutlich höhere Kosten. Und deshalb hat das so lange gedauert, sich mit den Kassen zu einigen."
Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) kann die Kosten für eine Parodontitis-Behandlung für einen Versicherten nicht pauschal darstellen, da dies fallbezogen ist. Die Mehrkosten für die Parodontitis-Leistungen aufgrund der neuen Richtlinie allerdings schätzt die GKV auf etwa 800 Millionen Euro bundesweit pro Jahr.
Auch Krankenkassen sehen die Vorteile
Trotzdem haben die Krankenkassen am Ende zugestimmt, da die Vorteile der neuen Richtlinie überwiegen. Vor allem die intensive Betreuung der Versicherten nach der Parodontitis-Behandlung ist wichtig, um den Behandlungserfolg nicht zu gefährden.
Dr. Arnim Findeklee ist Leiter der Landesvertretung Thüringen des Verbandes der Ersatzkassen (VDEK), der die Interessen von sechs gesetzlichen Krankenkassen vertritt. Findeklee sagt dazu: "Wir sind zuversichtlich, dass mithilfe der neuen Leistungen die Anzahl der von einer schweren Parodontitis betroffenen Versicherten langfristig sinkt und sich gleichzeitig die Lebensqualität für die Betroffenen deutlich verbessert."
Keine Erkrankung des Alters
Denn Zahnausfall und geschwollenes Zahnfleisch sind nicht die einzigen Folgen einer unbehandelten Parodontitis. Schwierigkeiten beim Kauen, Rückgang des Kieferknochens, Zahnfleischbluten und die so genannten "längeren Zähne", also frei liegende Zahnhälse durch Rückgang des Zahnfleischs, können die Lebensqualität sehr beeinträchtigen. Dabei können auch sehr junge Menschen von der Krankheit betroffen sein.
Nur bei Milchzähnen gibt es keine Parodontitis, aber sobald die bleibenden Zähne da sind, kann die Krankheit entstehen. Bei jüngeren Patienten zeigt sie sich eher durch Wucherungen am Zahnfleisch, bei älteren durch so genannte Taschen am Zahnfleisch.
Deutliche Verbesserungen für Pflegebedürftige
Um sicherzustellen, dass auch Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen die neuen Leistungen in Anspruch nehmen können, wurden Sonderregelungen geschaffen, die einen niedrigschwelligen Zugang ermöglichen. Für diese Patientengruppen entfällt beispielsweise die Antragspflicht bei der Krankenkasse.
Allein der behandelnde Zahnarzt entscheidet, ob eine Parodontitis-Behandlung vorgenommen wird. Zudem kann der Zahnarzt die Behandlungsabläufe und -kontakte an dem individuellen Gesundheitszustand der Versicherten ausrichten.
Das können Patientinnen und Patienten tun:
• Auf Veränderungen am Zahnfleisch und versteckte Warnsignale achten
• Besondere Sorgfalt auf die tägliche häusliche Mundhygiene verwenden
• Neben Zahnbürste auch Zahnzwischenraumbürstchen und Zahnseide verwenden
• Auch ohne Beschwerden regelmäßige zahnärztliche Kontrolluntersuchungen bzw. Nachsorgetermine gewissenhaft wahrnehmen
• Alle zwei Jahre im Rahmen der "Früherkennungsuntersuchung des Zahnfleischs“ den Gesundheitszustand des Zahnhalteapparates zu kontrollieren
• Gesundheitsbewusst leben, d.h. auf das Rauchen verzichten, sich ausgewogen und abwechslungsreich ernähren, für ausreichend Bewegung sorgen und psychischen Stress vermeiden
Quelle: MDR THÜRINGEN
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 01. Juli 2021 | 13:00 Uhr
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