Generalintendant Guy Montavon
Seine Zeit als Intendant am Theater Erfurt ist vorbei: Guy Montavon klagt jedoch gegen die Kündigung. Bildrechte: IMAGO/Funke Foto Services

Vorwürfe, Kündigungen, Klagen Erfurt: Darum geht es beim Theaterstreit

29. Januar 2025, 03:30 Uhr

Derzeit beschäftigt sich die Stadt Erfurt mit dem finanziellen Jahresabschluss des Theaters im Jahr 2023, dem letzten vor der Beurlaubung und Kündigung des Intendanten Guy Montavon. Das Minus beträgt fast vier Millionen Euro. Vor einem Jahr ist Montavon von seinem Posten abberufen worden, weil er seine Macht missbraucht haben soll. Die Stadt hat ihm mittlerweile drei Mal gekündigt. Gekündigt ist auch die Gleichstellungsbeauftragte Mary-Ellen Witzmann, die die Vorwürfe sowie mutmaßliche Fälle von sexueller Belästigung am Theater öffentlich gemacht hatte. Beide klagen momentan unabhängig voneinander gegen die Stadt. MDR KULTUR hat die Hintergründe für Sie zusammengefasst.

Was ist am Theater in Erfurt passiert?

Im Herbst 2023 hat die damalige Gleichstellungsbeauftrage der Stadt Erfurt, Mary-Ellen Witzmann, in der "Thüringer Allgemeinen" Machtmissbrauchsvorwürfe am Theater Erfurt öffentlich gemacht. Dabei ging es um mehrere Personen, die mutmaßlich Übergriffe von Theater-Mitarbeitern erlebt haben sollen. Nach der Veröffentlichung wurde Witzmann fristlos gekündigt – aus Sicht der Stadt hat sie gegen Dienstanweisungen verstoßen. Gegen die Kündigung hat Witzmann geklagt, der Prozess läuft seit Dezember 2023. Seit Januar 2025 gibt es eine neue Gleichstellungsbeauftrage.

Die ehemalige Erfurter Gleichstellungsbeauftragte Mary-Ellen Witzmann.
Die ehemalige Gleichstellungsbeauftrage der Stadt Erfurt, Mary-Ellen Witzmann, klagt gegen ihre Kündigung. Bildrechte: Privat

Welche Vorwürfe gibt es gegen Guy Montavon?

Guy Montavon wird mutmaßlicher Machtmissbrauch und mutmaßliche sexualisierte Gewalt durch Mitarbeitende im Umgang mit Sängerinnen und Darstellerinnen unter seiner Leitung als Intendant während seiner Zeit in Erfurt vorgeworfen, darunter auch namhafte Regisseure am Theater, die derartige Verstöße begangen haben sollen. Zu diesen Vorwürfen hat die Staatsanwaltschaft bislang keine Anklagen gegen Beschuldigte erhoben.

Zudem werden der ehemaligen Theaterleitung finanzielle Ungereimtheiten vorgeworfen.

Guy Montavon steht mit schwarzer Kleidung vor einem schwarzen Hintergrund
Guy Montavon soll das Theater Erfurt schlecht geführt haben. Bildrechte: picture alliance / Zentralbild/dpa-Zentralbild/dpa | Zentralbild

Mehrere Medien berichteten von Kritik am Führungsstil Montavons und der inhaltlichen Ausrichtung des Hauses. Auch im Erfurter Stadtrat herrschte vor seiner letzten Vertragsverlängerung Uneinigkeit über die Personalie Montavon – 13 Abgeordnete stimmten gegen seine Vertragsverlängerung.

Welche Belege gibt es für die Vorwüfe?

Als Reaktion auf die Vorwürfe durch die Gleichstellungsbeauftrage rief der damalige Oberbürgermeister der Stadt Erfurt, Andreas Bausewein (SPD), im Oktober 2023 eine Kommission unter der Leitung des Erfurter Kulturdezernenten Tobias Knoblich ins Leben. Die Stadt Erfurt schaltete außerdem die Anwaltskanzlei FS-PP Berlin Part mbB ein. Diese startete im November mit der Befragung von Zeuginnen und Zeugen.

Der Stadt wurde am 4. Januar 2024 ein Gutachten der Anwälte aus Berlin vorgelegt. Es bestätigte Rechts- und Regelverstöße am Theater Erfurt, "denen mit Maßnahmen zu begegnen ist". Es wurden jedoch keine verfolgbaren Straftaten festgestellt.

Der Bericht wurde am 17. Januar 2024 im nicht-öffentlichen Teil der Beratung des Werkausschusses vorgestellt. Der Werkausschuss ist ein Kontrollgremium des Theaters. Am 19. Januar gab die Stadtverwaltung die vorübergehende Beurlaubung von Generalintendant Guy Montavon und Verwaltungsdirektorin Angela Klepp-Pallas bis zur nächsten Stadtratssitzung bekannt.

Angela Klepp-Pallas, eine Frau mit tittellangen blonden Haaren und Guy Montavon, ein Mann on orangenem Anzug mit Brille
Januar 2024: Verwaltungsdirektorin Angela Klepp-Pallas und Generalintendant Guy Montavon vom Theater Erfurt wurden vorübergehend beurlaubt. Bildrechte: IMAGO / Karina Hessland

Auch weitere Ergebnisse der Untersuchung durch die Berliner Anwaltskanzlei wurden bekannt: Es herrsche eine "nicht zeitgemäße Führungskultur", bei der sich die Macht vollkommen in Richtung des Generalintendanten Guy Montavon verschoben habe.

Zum Aufklappen: Montavon als "Alleinherrscher"?

Die "nicht zeitgemäße Führungskultur", die in dem Bericht der Berliner Anwaltskanzlei beschrieben wird, lag laut Thomas Schmidt, dem Mitbegründer des neuen Schauspiels in Erfurt und Professor für Theatermanagement in Frankfurt am Main, vor allem am Intendantenvertrag des Bühnenvereins. "Dieser Vertrag räumt den Intendanten so viele Rechte und so viel Macht ein", so Schmidt bei MDR KULTUR. "Montavon war mit seinem Vertrag als eine Art Alleinherrscher eingesetzt", erklärte er.

Ein zweites Gutachten vom April 2024 stellte zudem fest, dass Guy Montavon bei der Vergabe von Aufträgen den Werkausschuss des Stadtrats nicht einbezogen sowie seine Informationspflicht in Bezug auf Missbrauchsvorwürfe verletzt hatte. Mehrfach habe er Stadtrat und Personalrat ignoriert.

Was wurde aus der beurlaubten Verwaltungsdirektorin Angela Klepp-Pallas?

Ende Januar 2024 wurde öffentlich, dass die ehemalige Verwaltungsdirektorin Angela Klepp-Pallas versetzt werden soll und eine andere Aufgabe innerhalb der Stadtverwaltung übernehmen wird. Sie habe einer Abberufung als zweite Werkleiterin zugestimmt. Damit verlor die städtische Angestellte ihren bisherigen Posten.

Der Mitbegründer des neuen Schauspiels in Erfurt und Professor für Theatermanagement, Thomas Schmidt, empfand das als nicht fair, "weil Montavon alleine verantwortlich ist, auch für die Finanzen, für die Personalfragen, für alles."

Warum erstattete die AfD-Fraktion im Erfurter Stadtrat Anzeige?

Die AfD-Fraktion im Stadtrat erstattete auf Grundlage des ersten anwaltlichen Gutachtens Strafanzeige gegen Guy Montavon. "Aus unserer Sicht sind die im Gutachten aufgezählten Sachverhalte zum Teil derart schwerwiegend, dass strafrechtliche Ermittlungen und die Prüfung zivilrechtlicher Ansprüche der Stadt gegen den Intendanten zwingend erforderlich sind", hieß es im Januar 2024 in einer Pressemitteilung. Das Vorgehen der Rathausspitze diene offenbar dem Ziel, "die Angelegenheit schnell wieder herunterzukochen."

Wie Sascha Schlösser von der Erfurter AfD-Stadtratsfraktion auf Anfrage von MDR KULTUR mitteilte, informierte ihn die Staatsanwaltschaft Erfurt im März 2024 darüber, kein Ermittlungsverfahren gegen Montavon einzuleiten, da der hierfür erforderliche Anfangsverdacht nicht vorliege.

Sadtrat Schlösser hatte zudem die außerordentliche Kündigung Montavons beantragt, da er die damals bereits bekannten Sachverhalte als schwerwiegend empfand. "Dies lehnte der Stadtrat jedoch ab", so Schlösser.

Wie reagierte die Kulturszene in Erfurt?

In einem Brief an den ehemaligen Oberbürgermeister Andreas Bausewein und die Stadtratsfraktionen äußerte sich beispielsweise das Philharmonische Orchester Erfurt kritisch. "Wir sind entsetzt, irritiert, frustriert. Unser Vertrauen in Entscheidungsträger der Stadt Erfurt ist erschüttert", hieß es dort. Eine weitere Zusammenarbeit mit dem Generalintendanten sah das Orchester nicht als gegeben an. "Leider lässt diese Entscheidung Transparenz vermissen und ist nicht nachvollziehbar", so der Orchestervorstand. Er fordert eine Veröffentlichung des Berichts der Berliner Kanzlei.

Wir sind entsetzt, irritiert, frustriert. Unser Vertrauen in Entscheidungsträger der Stadt Erfurt ist erschüttert.

Philharmonisches Orchester Erfurt

Der Vorsitzende des Werkausschusses, Steffen Präger, wollte bei der laufenden Aufklärung nicht die Betroffenen aus den Augen verlieren: "So eine Situation können wir nicht tolerieren, auch als Stadtgesellschaft nicht."

Warum durfte Montavon weiter im Amt bleiben?

Anders als die Verwaltungsdirektorin sollte Guy Montavon zunächst bis zum Ende der Spielzeit 2024 im Amt bleiben. Wie der damalige Oberbürgermeister Bausewein bekannt gab, hatten sich Stadtspitze und Montavon darauf verständigt. Grund sei, dass keine verfolgbaren Straftaten festgestellt worden seien. Als Werkleiter mit Personalverantwortung sollte Montavon jedoch abberufen werden – es sei ein Aufhebungsvertrag ausgehandelt worden. Gegen diese Entscheidung gab es Widerspruch von mehreren Seiten im Erfurter Stadtrat, darunter von den Fraktionen Mehrwertstadt, Grüne und CDU.

Andreas Bausewein (SPD), Oberbürgermeister von Erfurt, kurz nach der Niederlage gegen den CDU-Kandidaten in der Stichwahl um das Oberbürgermeisteramt in der Landeshauptstadt Thüringen.
Andreas Bausewein (SPD) war Oberbürgermeister, als die Vorwürfe gegen Guy Montavon bekannt wurden. Bildrechte: picture alliance/dpa | Martin Schutt

Wann und warum hat die Stadt Erfurt den Intendanten dann doch gekündigt?

Wahrscheinlich gab das zweite Gutachten vom April 2024 den Ausschlag. Offenbar war der ausschlaggebende Punkt, dass er Leistungen der Theaterwerkstätten privat in Anspruch genommen haben soll.

Die Stadt hält sich allerdings bedeckt. Was bekannt ist: Der Stadtrat hat den Weg für die Kündigung im Sommer 2024 frei gemacht. Ein genaues Datum ist nicht öffentlich geworden. Sicher ist jedoch: Guy Montavon wurde mittlerweile ganze drei Mal von der Stadt gekündigt.

Aus der Lokalpolitik ist immer wieder Kritik wegen mangelnder Aufarbeitung zu hören. Stadträte sagten MDR KULTUR, die Bürgerinnen und Bürger würden eine große Ungerechtigkeit empfinden: Während die damalige Gleichstellungsbeauftrage Witzmann binnen weniger Tage vor die Tür gesetzt worden sei, habe sich alles rund um den Intendanten sehr lange hingezogen. Zudem muss jeder, der sich im Erfurter Theaterskandal in den Medien äußert, damit rechnen, Post vom Anwalt Guy Montavons zu bekommen.

Montavon zog gegen seine Kündigung vor Gericht – wie ist der Stand?

Seine Anwälte haben gegen die außerordentliche Kündigung Klage beim Arbeitsgericht Erfurt eingereicht. Die 5. Kammer kam nach wochenlanger Prüfung zu dem Schluss, dass das Arbeitsgericht zuständig ist und nicht das Landgericht. Montavon sei als Generalintendant am Theater Arbeitnehmer der Stadt Erfurt und kein Geschäftsführer, stellte das Gericht klar. Für Vertragsangelegenheiten von Geschäftsführern sind die Zivilkammern an den Landgerichten zuständig, für Kündigungen von Arbeitnehmern sind es die Arbeitsgerichte. Ein erster Verhandlungstermin vor dem Arbeitsgericht war im September 2024 abgesagt worden, weil die Anwälte der Stadtverwaltung der Meinung waren, das Landgericht sei für den Fall zuständig. Ein neuer Verhandlungstermin steht noch nicht fest.

Guy Montavon 5 min
Die Probleme am Theater Erfurt beschäftigen seit Monaten auch die Politik. Blanka Weber berichtet. Bildrechte: IMAGO / Funke Foto Services
5 min

Vor einem Jahr wurde der Erfurter Theaterintendant Guy Montavon von der damaligen Stadtspitze beurlaubt. Darauf folgten drei Kündigungen. Eine Aufarbeitung des Skandals steht indes noch aus. Blanka Weber berichtet.

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Die Stadt Erfurt hat für den Fall einer Niederlage im Rechtsstreit 1,5 Millionen Euro zur Seite gelegt, wie aus dem Prüfbericht zum Jahresabschluss des Theaters für 2023 hervorgeht. Die Rücklage soll eine mögliche Nachzahlung der Gehälter Montavons und Klepp-Pallas' absichern.

Welche Konsequenzen hat das Theater Erfurt aus dem Fall gezogen?

In der neuen Spielzeit 2024/25 sollte der Theaterbetrieb laut Ex-Oberbürgermeister Bausewein in Erfurt grundlegend erneuert werden. Das Amt des Generalintendanten sollte vollständig entfallen – die neue Struktur hätte dann keinen regieführenden Intendanten mehr.

Quellen: MDR KULTUR, Stadt Erfurt
Redaktionelle Bearbeitung: lk, bh

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 29. Januar 2025 | 08:30 Uhr

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