"Fakt ist!" aus Erfurt Marode Turnhallen, veraltete Sportplätze in Thüringen: Warum Vereine oft die größte Last tragen
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30. Januar 2025, 01:40 Uhr
Fakt ist! aus Erfurt: Über eine Milliarde Euro - so groß wird der Sanierungsbedarf für marode Turnhallen und veraltete Sportplätze in Thüringen geschätzt. Die Kommunen sind oft am Limit, die Vereine auch. Wie reagiert der neue Sportminister?
Für Martin Schneider hat der Talk "Fakt ist! aus Erfurt" am Mittwochabend im MDR außer warmen Worten wohl wenig positive Signale für die Zukunft gebracht. In der Sendung ging es um marode Sportstätten in Thüringen - und mögliche Auswege. Der Trainer und Aktive beim SV Eintracht Camburg im Saale-Holzland-Kreis fragte dazu: "Wie kann das sein, in so einem reichen Land wie Deutschland?"
Marode Sportstätten: Vereine helfen sich selbst
Was er meint, ist die weitgehend fehlende finanzielle Unterstützung: "Jahr für Jahr" brächten er und viele ehrenamtliche Mitstreiter mit einem enormen Einsatz das Camburger Sportgelände auf Vordermann: neue Duschen, neues Flutlicht, neue Fenster und Türen sowie ein neuer Spielplatz. Und trotz der vielen Sanierungsschritte mussten laut Schneider nicht einmal die Beiträge erhöht werden. Möglich machten dies vor allem private Sponsoren, Einnahmen aus Festen - und natürlich der Einsatz der Vereinsmitglieder.
Enttäuscht über fehlende staatliche Unterstützung ist auch Michael Linke, Vorstand und Trainer bei den Sportfreunden Marbach nahe Erfurt. Mehrere Sportvereine, Karnevalsverein und Kindergartenkinder nutzen den Sportplatz. Bis zu vier Mannschaften, darunter auch Fußballerinnen, spielen zeitgleich dort. Doch es gibt nur zwei Kabinen.
Daher ist der Verein sogar in Vorleistung gegangen, hat ein Architekturbüro planen lassen, wie das Vereinshaus ausgebaut werden könnte - und was das kosten würde. "Einige Politiker waren vor Ort, aber dann kam nichts mehr", berichtet er und klingt inzwischen auch resigniert: "Wir kommen langsam an unsere Grenzen". Doch wegschicken wolle er trotzdem keinen, der beim Sportverein mitmachen wolle.
Sanierungsbedarf auf mehr als eine Milliarde Euro geschätzt
Der Kampf von unermüdlich Engagierten wie Schneider und Linke um bessere Bedingungen für Sportvereine kann für Thüringen nun erstmals auch in nüchternen Zahlen ausgedrückt werden. Auf 1,3 Milliarden Euro schätzt der Landessportbund (LSB) den Sanierungsbedarf. Er hat dafür die Thüringer Kommunen und Landkreise befragt, denen in den allermeisten Fällen die Sportplätze und Turnhallen gehören.
Zustand der Sportstätten in Thüringer Kommunen
- 40 Prozent der rund 4.500 Sportplätze, Sporthallen, Sportbäder oder anderer Sportanlagen sind sanierungsbedürftig.
- Zwei Drittel aller Thüringer Gemeinden verweisen auf mindestens einen Sportplatz mit Sanierungs- oder Modernisierungsbedarf.
- Nahezu jede zweite Gemeinde hat mindestens eine Sportanlage wie Kegelbahn, Schießsport-Anlage oder Tennisplatz, die saniert werden müsste.
- Jede dritte Gemeinde hat eine sanierungs- oder modernisierungsbedürftige Sporthalle.
- 120 der 200 Thüringer Hallen- und Freibäder müssten saniert oder modernisiert werden.
- In fünf Jahren benötigen Kommunen und Kreise für Sportplätze in Thüringen rund 170 Millionen Euro, für Sporthallen sogar 270 Millionen Euro zur Sanierung und Instandhaltung.
An der Thüringer Sportstättenbefragung des LSB nahmen ein Drittel der 605 Gemeinden und mehr als die Hälfte der 17 Landkreise teil. Der Verband schätzt die Ergebnisse als "sehr aussagekräftig" ein.
Doch dem stehen jährlich gerade einmal 15 Millionen Euro an Landesgeldern in Thüringen entgegen, mit denen die Sportstätten auf Vordermann gebracht werden können. Und das auch erst seit diesem Jahr, weil die CDU der rot-rot-grünen Minderheitsregierung eine Verdopplung der Gelder herausverhandelt hatte, wie der neue Thüringer Sportminister Stefan Gruhner (CDU) am Abend hervor hob. Doch nötig wäre mindestens das Doppelte, schätzt der LSB.
Sportstätten-Unterhalt ist "freiwillige Leistung" der Kommunen
Dazu kommt, dass die Unterhaltung der Sportstätten eine so genannte "freiwillige Leistung" der Kommunen ist. Wenn das Geld in den Gemeinden oder Kreisen knapp wird, müsste zuerst hier gespart werden.
Wen vertritt der Landessportbund? (zum Ausklappen)
Der Landessportbund Thüringen (LSB) ist die freiwillige Vereinigung der Turn- und Sportvereine sowie sonstiger Sportgemeinschaften des Freistaats Thüringen.
Unter seinem Dach sind in 23 Kreis- und Stadtsportbünden derzeit circa 376.000 Mitglieder in rund 3.250 Sportvereinen organisiert. Insgesamt 51 Landessportverbände und 19 Anschlussorganisationen organisieren in ihrer Sportart den Breiten- und Freizeitsport sowie Wettkampfbetrieb und sichern die sportfachliche Ausbildung.
Wegen der Mitgliederzahlen spricht der Thüringer Landessportbund von sich als "größte Bürgerorganisation des Landes".
Er könne "die Frustration und Enttäuschung nachvollziehen", sagte Gruhner zum Kampf von Schneider und Linke um mehr Unterstützung. Doch die Mittel seien angesichts äußerst klammer Landeskassen "begrenzt", der Investitionsstau "nicht sofort lösbar". Deshalb wollte Gruhner, zudem Staatskanzlei-Chef und damit rechte Hand von Ministerpräsident Mario Voigt, "nicht zu viel" versprechen - und blieb stattdessen allgemein und damit eher blass.
Zudem muss die Thüringer Landesregierung trotz des erstmaligen Zustandsberichtes des LSB wohl auch noch ein paar Hausaufgaben erledigen. Sachsen-Anhalt ist Thüringen etwa einen großen Schritt voraus, in dem es einen digitalen Sportatlas anbietet. Gruhner sprach da von einer "tollen Idee" und dass er dies auch in Thüringen angehen wolle.
Die Leipziger Sportsoziologin Dr. Petra Tzschoppe betonte unterdessen, wie enorm wichtig der Sport für die Gesellschaft als sozialer Kitt, als Begegnungsort auf dem Land und für die Gesundheit sei.
Der Camburger Martin Schneider hob neben der Gesundheitsvorsorge auch die Bedeutung als Mittel gegen Vereinsamung oder zur Wertevermittlung für Kinder und Jugendliche hervor. Dem konnte Tzschoppe nur beipflichten. Bei Muskel- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen habe Mitteldeutschland bundesweit den höchsten Anteil und die Kosten pro erkrankter Person seien in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt "mit Abstand am höchsten".
Sportminister fordert Wiederauflage des "Goldenen Plans Ost" für Sportstätten
Nicht nur Tzschoppe, auch Sportminister Gruhner forderte daher, dass sich die Bundesregierung an der Sanierung der Sportstätten beteiligen müsse. Die Kommunen, denen die Sportstätten in aller Regel gehören, "sind klamm und können die Sanierung nicht leisten", sagte sie. Gruhner schlug gar die Wiederauflage des "Goldenen Plans Ost" vor. Finanziert von Kommunen, Ländern und Bund flossen von 1992 bis 2007 Milliarden in die Sportinfrastruktur in den ostdeutschen Bundesländern. Viel konkreter wurde er am Abend aber nicht mehr.
Warum Leistungssport eher gefördert wird als Breitensport
Doch nach welchen Kriterien gibt das Land das wenige Geld überhaupt aus? Oberste Priorität haben Bundesstützpunkte vor allem für den Leistungssport in Oberhof, Erfurt, Jena und Suhl. Danach folgen Sportstätten, deren Schließung droht oder bei denen Klimaschutzmaßnahmen anstehen. Auf der Liste an dritter Stelle steht die Verhinderung von Schäden.
Die Bevorzugung von Bundesstützpunkten begründete Thomas Zirkel vom Landessportbund damit, dass diese vom Bund gefördert würden. Und wenn das Land nicht Geld dazu gebe, würde die Förderung aus Berlin gestrichen. Doch Sportsoziologin Tzschoppe brachte noch eine andere Perspektive mit: Die meisten Menschen gebe es nicht im Leistungssport, sondern im Breitensport. "Und für die bleibt am Ende kaum noch was übrig, wenn das, was die Priorisierung vorgibt, vorwiegend in den Spitzensport geht." Vier von weltweit 15 international wettbewerbsfähigen Bob- und Rodelbahnen ständen in Deutschland - dabei steckt der Bund allein in die nach einem Unwetter zerstörte Bahn im bayerischen Königssee mehr als 50 Millionen Euro.
Keiner wollte an diesem Abend aber die Prestigeprojekte, mit denen Thüringer Wintersportler regelmäßig Medaillen holen, gegen den Breitensport ausspielen. Sportminister Gruhner verwies etwa darauf, dass Spitzensport vom Bund und der Breitensport vom Land sowie den Kommunen unterstützt werden müsse. Warum das Land sich dann trotzdem am Bundesstützpunkt beteiligt, blieb offen.
Als zumindest ein positives Zeichen sah Landessportbund-Vertreter Thomas Zirkel, dass das Thema Sportstätten-Förderung im Koalitionsvertrag der drei Thüringer Regierungsparteien verankert ist.
Der Sanierungsstau im Bereich der Sportstätten wird durch eine systematische Analyse ermittelt. Deren Erhalt, Sanierung und Neubau ist die sportpolitische Herausforderung der Legislaturperiode. Die notwendigen Investitionsprogramme für Sportstätten sollen diese politische Schwerpunktsetzung angemessen widerspiegeln.
Doch bis die recht allgemeine Problembeschreibung aus dem Koalitionsvertrag vielleicht doch noch zu mehr Unterstützung führt, wird die Hauptlast für den Erhalt und den Ausbau der Thüringer Sportstätten wohl weiter an den Kommunen und vor allem auch an Menschen wie Martin Schneider in Camburg oder Michael Linke in Marbach hängen. An ihrem Einsatz, Engagement - und ihrem Durchhaltewillen.
MDR (rom)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Fakt ist! | 29. Januar 2025 | 20:15 Uhr
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