Kulturpolitik Theaterstreit in Erfurt: Darum geht es
Hauptinhalt
31. Januar 2024, 05:00 Uhr
In gleich zwei Sondersitzungen im Erfurter Rathaus geht es am Mittwoch um die Zukunft des dortigen Theaters. In der einen sollen offene Fragen bezüglich des Gutachtens zu den Missbrauchsvorwürfen am Erfurter Theater geklärt werden. In der anderen geht es um die Entscheidung, ob Generalintendant Guy Montavon nach seiner Freistellung wieder zurück ans Theater darf. Wir haben Hintergründe sowie aktuelle Stimmen aus der Politik und dem Kulturbetrieb für Sie zusammengefasst.
- Darum geht es am Theater Erfurt: Eine chronologische Übersicht der Ereignisse.
- Beobachter sehen im Intendantenvertrag am Theater Erfurt eine Ursache für eine problematische Führungskultur am Theater.
- Das sind die wichtigsten kritischen Stimmen aus der Politik und der Kulturszene.
Am Mittwoch finden gleich zwei Sondersitzungen in Erfurt statt, die über die Zukunft des Theaters entscheiden: In der Sitzung des Werkausschusses am Nachmittag werden Vertreter der Kanzlei, des Personalrats am Theater sowie die Werkleitung befragt. In der Sitzung des Stadtrats geht es um die Entscheidung, ob Generalintendant Guy Montavon nach seiner Freistellung wieder zurückkehren darf.
Marc Grandmontagne, ehemaliger Geschäftsführer des Deutschen Bühnenvereins, hat von 2022 bis 2023 den Transformationsprozess am Theater Erfurt begleitet – in dem schon damals eine neue Leitungsstruktur Thema war. Im Gespräch mit MDR KULTUR hat er erklärt, warum eine Intendanz heute andere Aufgaben habe als vor 20 Jahren und wie es nun in Erfurt zu einer Lösung kommen könne.
Eine Zusammenfassung der Ereignisse am Erfurter Theater
Im Herbst 2023 hat die Gleichstellungsbeauftrage der Stadt Erfurt, Mary-Ellen Witzmann, in der "Thüringer Allgemeinen" Machtmissbrauchsvorwürfe am Theater Erfurt öffentlich gemacht. Dabei ging es um sechs Personen, die mutmaßlich Übergriffe von Theater-Mitarbeitern erlebt haben. Nach der Veröffentlichung wurde Witzmann fristlos gekündigt – aus Sicht der Stadt hat sie gegen Dienstanweisungen verstoßen. Gegen die Kündigung hat Witzmann geklagt, der Prozess läuft seit Dezember 2023.
Als Reaktion auf die Vorwürfe rief der Oberbürgermeister der Stadt Erfurt, Andreas Bausewein (SPD), im Oktober eine Kommission unter der Leitung des Erfurter Kulturdezernenten Tobias Knoblich ins Leben. Die Stadt Erfurt schaltete außerdem die Anwaltskanzlei FS-PP Berlin Part mbB ein. Diese startete im November mit der Befragung von Zeuginnen und Zeugen. Der Stadt wird am 4. Januar ein Gutachten vorgelegt. Es bestätigt Rechts- und Regelverstöße am Theater Erfurt, "denen mit Maßnahmen zu begegnen ist". Es werden jedoch keine verfolgbaren Straftaten festgestellt. Gegen wen sich die Vorwürfe konkret richten und welchen Umfang sie haben, ist bisher nicht bekannt.
Der Bericht wurde am 17. Januar im nicht-öffentlichen Teil der Beratung des Werkausschusses vorgestellt, einem Kontrollgremium des Theaters. Am 19. Januar gab die Stadtverwaltung die Beurlaubung von Generalintendant Guy Montavon und Verwaltungsdirektorin Angela Klepp-Pallas bis zur nächsten Stadtratssitzung bekannt. Eine tiefergehende Prüfung der Vorfälle, die unter anderem die Führungskultur des Theaters betreffen, sollte folgen.
Auch weitere Ergebnisse der Untersuchung durch die Berliner Anwaltskanzlei wurden bekannt: Es herrsche eine "nicht zeitgemäße Führungskultur", bei der sich die Macht vollkommen in Richtung des Generalintendanten Guy Montavon verschoben habe. Einen Neustart mit der derzeitigen Werkleitung sieht die Kanzlei als nicht möglich an.
Am 26. Januar erfolgte die Kehrtwende: Guy Montavon soll doch bis zum Ende der Spielzeit im Amt bleiben. Wie Oberbürgermeister Bausewein bekannt gab, haben sich darauf die Stadtspitze und Montavon verständigt. Grund sei, dass keine verfolgbaren Straftaten festgestellt worden seien. Als Werkleiter mit Personalverantwortung solle Montavon jedoch abberufen werden, es sei ein Aufhebungsvertrag ausgehandelt worden. Diese Entscheidung muss vom Stadtrat bestätigt werden. Dafür ist eine Sondersitzung am 31. Januar geplant. Vor der Sitzung kündigten bereits zwei der sieben Fraktionen Widerstand an. Montavon selbst äußerte sich bis jetzt nicht öffentlich zu den Vorwürfen.
Verwaltungsdirektorin verliert Posten
Am 30. Januar wurde bekannt, dass die ehemalige Verwaltungsdirektorin Angela Klepp-Pallas eine andere Aufgabe innerhalb der Stadtverwaltung übernehmen wird. Sie habe einer Abberufung als zweite Werkleiterin zugestimmt. Am selben Tag wurde auch publik, dass die AfD-Fraktion im Erfurter Stadtrat auf Grundlage des Berichts Strafanzeige gegen Guy Montavon erstattet hat. Außerdem macht die Stadt das arbeitsrechtliche Gutachten öffentlich. Laut Kulturdezernent Tobias Knoblich soll mit diesem Schritt gezeigt werden, dass es zwar Regelverstöße gab, aber nichts strafrechtlich Relevantes.
Am 31. Januar findet neben der Stadtratssitzung auch eine Sondersitzung des Werkausschusses statt, um das Gutachten zu besprechen. Hier sollen Vertreter der Kanzlei, des Personalrats am Theater sowie die Werkleitung angehört und befragt werden.
Beantwortet werden soll auch die Frage, wie ein Neuanfang beziehungsweise ein Übergang in den Tranformationsprozess des Theaters aussehen kann. Denn in der neuen Spielzeit 2024/25 soll der Theaterbetrieb laut Oberbürgermeister Bausewein in Erfurt grundlegend erneuert werden. Das Amt des Generalintendanten soll vollständig entfallen – die neue Struktur hätte dann keinen regieführenden Intendanten mehr.
Die Führungskultur am Theater Erfurt
Erste Kritik an Guy Montavon hatte es bereits 2020 gegeben. Die Ständige Kulturvertretung, ein Zusammenschluss der freien kulturellen Szene Erfurts, hatte in einem offenen Brief eine stärkere Öffnung des Theaters in die Stadt hinein gefordert. Stefanie Müller-Durand, eine Vertreterin des Bündnisses, sagte damals bei MDR KULTUR, sie vermisse kulturelle Vielfalt und neue Impulse. Mehrere Medien berichteten von Kritik am Führungsstil Montavons und der inhaltlichen Ausrichtung des Hauses. Auch im Erfurter Stadtrat herrschte Uneinigkeit über die Personalie Montavon – 13 Abgeordnete stimmten gegen seine Vertragsverlängerung.
Die "nicht zeitgemäße Führungskultur", die in dem Bericht der Berliner Anwaltskanzlei beschrieben wird, liegt laut Thomas Schmidt, dem Mitbegründer des neuen Schauspiels in Erfurt und Professor für Theatermanagement in Frankfurt am Main, vor allem an dem sogenannten Intendantenvertrag des Bühnenvereins. "Dieser Vertrag räumt den Intendanten so viele Rechte und so viel Macht ein", so Schmidt bei MDR KULTUR. "Montavon war mit seinem Vertrag als eine Art Alleinherrscher eingesetzt", erklärte er. Guy Montavon will sich nach Angaben seines Anwaltes vom 1. Februar derzeit nicht in einem Interview äußern. Im aktuellen Untersuchungsbericht gebe es allerdings keinen Verdacht eines Rechtsverstoßes gegen Montavon.
Dass auch die kaufmännische Direktorin Angela Klepp-Pallas ihren Posten räumen muss, ist laut Schmidt nicht fair: "Weil Montavon alleine verantwortlich ist, auch für die Finanzen, für die Personalfragen, für alles."
Aktuelle Stimmen aus der Politik
Dass Guy Montavon bis zum Sommer Generalintendant des Erfurter Theaters bleiben soll, sorgt aktuell im Stadtrat für Kritik. Vor der kommenden Sondersitzung sagte Jana Rötsch von der Fraktion Mehrwertstadt: "Mit uns wird es keine Rehabilitierung von Guy Montavon geben. Dass er noch einmal auf einer Erfurter Bühne steht und Applaus empfängt, ist undenkbar." Der Schritt der Stadtverwaltung, den Generalintendanten im Amt zu belassen, sei eine Ohrfeige für alle Betroffenen, die unter den Bedingungen am Theater Erfurt gelitten hätten.
So sieht es auch Laura Wahl von den Grünen: "Guy Montavon ist als Intendant nicht mehr tragbar." Die CDU-Fraktion kritisiert vor allem, dass die Stadt damit auch künftig auf rechtliche Schritte gegen Montavon verzichtet.
Mit uns wird es keine Rehabilitierung von Guy Montavon geben.
Die Fraktion der AfD erstattete sogar Strafanzeige gegen Guy Montavon. "Aus unserer Sicht sind die im Gutachten aufgezählten Sachverhalte zum Teil derart schwerwiegend, dass strafrechtliche Ermittlungen und die Prüfung zivilrechtlicher Ansprüche der Stadt gegen den Intendanten zwingend erforderlich sind", heißt es in einer Pressemitteilung. Das Vorgehen der Rathausspitze diene offenbar dem Ziel, "die Angelegenheit schnell wieder herunterzukochen."
Erfurts Kulturbeigeordneter Tobias Knoblich kündigte an, die Stadtspitze werde entschlossen Konsequenzen ziehen. Aber: "Wir brauchen ein bisschen Zeit, um das auszuwerten."
Aktuelle Stimmen aus der Kulturszene
In einem Brief an Oberbürgermeister Andreas Bausewein und die Stadtratsfraktionen äußerte sich auch das Philharmonische Orchester Erfurt kritisch. "Wir sind entsetzt, irritiert, frustriert. Unser Vertrauen in Entscheidungsträger der Stadt Erfurt ist erschüttert", heißt es dort deutlich. Eine weitere Zusammenarbeit mit dem Generalintendanten sieht das Orchester nicht als gegeben an. "Leider lässt diese Entscheidung Transparenz vermissen und ist nicht nachvollziehbar", so der Orchestervorstand. Er fordert eine Veröffentlichung des Berichts der Berliner Kanzlei.
Wir sind entsetzt, irritiert, frustriert. Unser Vertrauen in Entscheidungsträger der Stadt Erfurt ist erschüttert.
Der Vorsitzende des Werkausschusses, Steffen Präger, möchte bei der laufenden Aufklärung nicht die Betroffenen aus den Augen verlieren: "So eine Situation können wir nicht tolerieren, auch als Stadtgesellschaft nicht."
Aufgrund der inzwischen juristisch umstrittenen Details zwischen Politik und Theater möchte sich die geschäftsführende Direktorin des Deutschen Bühnenvereins, Claudia Schmitz, nicht konkret zum Fall in Erfurt äußern. Doch so viel sei klar: "Es funktioniert dann, wenn Personen auch Ahnung haben, was Führung bedeutet. Wenn sie auch eine Vorstellung davon haben, wie sie die Macht, die sie haben, vernünftig in eine Verantwortung für den Betrieb transformieren."
Quellen: MDR KULTUR, Stadt Erfurt, Redaktionelle Bearbeitung: as
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR am Morgen | 31. Januar 2024 | 08:40 Uhr