Uraufführung "Oase": Theaterhaus Jena lässt Publikum in Endzeit-Komödie mitspielen
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21. Dezember 2024, 04:00 Uhr
Im Theaterhaus Jena ist seit dem Sommer ein neues künstlerisches Leitungsteam am Werk, das für ein "anderes" Theater steht. Beispielhaft dafür ist das neue Stück "Oase": Die Endzeit-Komödie von Robert Maximilian Rausch hat viele mögliche Enden – denn das Publikum darf über den Verlauf der apokalyptischen Handlung bei jeder Aufführung mitentscheiden. Ein Konzept, das aufgeht, findet unser Kritiker, der die Uraufführung des Stücks erlebte.
- Das neue Stück am Theaterhaus Jena "Oase" von Robert Maximilian Rausch entführt das Publikum in eine dystopische Welt.
- Dabei stimmt das Publikum mittels Karte über den Verlauf des Stückes ab.
- Für Kritiker Matthias Schmidt war es eine gelungene Gratwanderung zwischen Ernst und Parodie.
Der Abend beginnt damit, dass Lukas Pergande, seit dieser Spielzeit Mitglied der künstlerischen Theaterleitung, die Bühne betritt, und zwar in Unterwäsche – die natürlich ein Kostüm ist – und die Spielregeln des Abends erklärt. Das Publikum soll mitspielen, soll über den Verlauf des Abends abstimmen.
Um das gleich vorwegzunehmen, damit niemand Angst vor diesem "Mitmach-Element" bekommt – ich fand das, was diese junge, sehr internationale Theaterbesatzung hier gezeigt hat, über weite Strecken regelrecht bezaubernd, so leicht und heiter und zugleich auch thematisch sehr ernst.
Raffiniertes Spiel mit dystopischen Motiven
Die Oase ist ein Endzeit-Königreich, umgeben von einer großen Mauer, dahinter ist nichts als Wüste. Hinter der großen Mauer, draußen in der Wüste, leben die "Maskierten", seltsame halbmenschliche Wesen. "Oase" ist ein faszinierendes, raffiniert mit den Motiven von Dystopien spielendes Stück. Man kann die Gegenwart darin erahnen – explizit drin steht sie nicht. Einmal werden Plasteflaschen erwähnt, die sich seit Jahrhunderten an den Sanddünen aufstapeln.
Ein andermal war es das Meer, das es nicht mehr gibt, weil die Menschen des Königreichs es ausgetrunken haben. Eine Metapher natürlich, und sie zeigt eine Stärke des Stückes: Seine Sprache, die Verse nicht scheut, die historisierendes Pathos erlaubt: "Doch wenn die Tage sich zu Monden türmen". Und die voller trockener Pointen steckt: "Alle, die denken, dass die Welt nicht untergehen wird, weil sie sich noch immer weitergedreht hat, glauben auch, dass sie nicht sterben werden, da sie noch nie gestorben sind."
Publikum stimmt über den Handlungssverlauf ab
Ziemlich schnell versteht man, dass man als Publikum Bewohner der "Oase" ist und mit seinen Abstimmungen beispielsweise darüber mitentscheidet, ob es zu einer Revolution gegen die Königin und ihren bösewichtigen obersten "Diener" kommt. Oder eben nicht. Soll ein Verräter sofort umgebracht werden?
Alle, die denken, dass die Welt nicht untergehen wird, weil sie sich noch immer weitergedreht hat, glauben auch, dass sie nicht sterben werden, da sie noch nie gestorben sind.
Nein, sagt das Publikum. Sollen die Maskierten umgebracht werden? Nein, sagt das Publikum. Es ist sich schnell einig gegen "die da oben". Manche im Laufe des Abends einmal so sehr, dass sie, etwas von Antifa und Cops murmelnd, kurz aufspringen, um einen Verrat am Aufstand der Unterdrückten zu verhindern, der aus den hinteren Reihen droht.
Oase und Oasis – zwischen Ernst und Parodie
Dass dieses Konzept aufgeht, verdankt die Inszenierung ihrer Leichtigkeit. Regisseur Simon Jensen gelingt es, sie genau auf dem Grat zwischen Ernst und Parodie zu halten, zwischen "die spielen nur" und "das Thema ist ernst und geht uns alle an". Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung in einem!
Es ist zugleich kitschig-traurig und urkomisch, wenn die Königin zu sphärischem Enya-Pop sehnsuchtsvoll in ihre leere Badewanne steigt. Wenn alle zusammen "Wonderwall" von Oasis singen, ist das in Anspielung auf den Stücktitel kalauerhaft, und zugleich wirkt es kultig. Wenn als Lückenfüller scheinbar spontan Roy Blacks "Sand in deinen Augen" gesungen wird, verhält sich das vorwiegend junge Publikum nicht anders als das einer Schlagershow.
Große Ensemble-Leistung am Theaterhaus Jena
"Oase" ist ein schräges Off-Theater-Erlebnis und hält zugleich den Spannungsbogen eines klassischen Dramas, zumindest sehr lange. Das ist ein Verdienst des Ensembles. Souverän wie "alte Hasen" und doch cool und frei wie Schauspielstudenten spielen sie, singen sie, entertainen sie, wechseln sie immer wieder die Kostüme.
Saba Hosseini ragt heraus, sie ist ein veritabler Bühnensturm, wenn sie singt und schreit und flüstert und intrigiert und die komplexen Handlungsfäden zusammenzuhalten versucht. Iona Nitulescu als Königin beherrscht klassischen Gesang und Girlie-Gesten und zeigt so viele Facetten, dass man momentweise zu atmen vergisst.
Wo "Oase" hinter seinen Möglichkeiten bleibt
Nach der Pause allerdings zeigen die Abstimmungen des "Variablendramas" Folgen, es wird teilweise sogar für das Bühnenteam selbst zu verwirrend: Geht es jetzt zu Szene 46 oder doch zu 45? Man hat plötzlich das Gefühl, dass der Text durch das Mitmach-Prinzip ein bisschen Schaden nimmt.
Man kann die vielen Bezüge, die der reiche Text enthält, immer noch erahnen: die Hütten, die Paläste, seinen Pessimismus, was die Wandlungsfähigkeit der Menschen und der Gesellschaft angeht, aber man merkt eben: "Möglichkeiten-Orgie" kann auch bedeuten: es gab zu viele Möglichkeiten. Da steckte mehr Potential drin. Was "Oase" dennoch alle Male ist: eine wirklich gelungene "apokalyptische Komödie".
Mehr Informationen zum Stück
"Oase. Variablendrama/Apokalyptische Komödie/Möglichkeiten-Orgie"
Autor: Robert Maximilian Rausch
Regie: Simon Jensen
Mit: Josef Bäcker, Saba Hosseinie, Iona Nitulescu, Jonathan Perleth, Thomas Schmale, Florian Thongsap Welsch
Theaterhaus Jena
Schillergässchen 1, 07745 Jena
Aufführungen:
19. Dezember 2024, 20 Uhr (Uraufführung)
20. Dezember 2024,
Weitere Termine auf der Website des Theaters.
Quelle: MDR KULTUR (Annett Mautner, Matthias Schmidt), redaktionelle Bearbeitung: lm
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR am Vormittag | 20. Dezember 2024 | 12:10 Uhr